Landtagssitzung 10. März 2020

35-Stunden-Woche im Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich

Befragung eines Mitgliedes der Landesregierung (§ 69 GeoLT) - Frage an LR Doris Kampus

Die Kollektivvertragsverhandlungen für die Beschäftigten im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich sind auch nach der siebenten Runde ohne Ergebnis geblieben. Die Gewerkschaften GPA-djp und vida fordern im Namen von 125.000 Beschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden Normalarbeitszeit pro Woche bei gleichbleibendem Lohn bzw. Gehalt für Vollzeitbeschäftigte, bei gleichbleibendem Stundenausmaß für Teilzeitbeschäftigte und bei vollem Personalausgleich.

Viele Beschäftigte leisten Großartiges – und arbeiten am Limit: Die Arbeit ist psychisch und physisch hochgradig belastend. Schichtdienste und Randarbeitszeiten machen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oft schwierig, die Arbeitsintensität ist gestiegen, die Bezahlung ist ausbaufähig. Zum Leben reicht es kaum, dem intensiven Arbeitsleben folgt eine magere Pension. Und zu oft droht die Altersarmut, besonders bei Frauen, die lange in Teilzeit arbeiten. Gute Arbeitsbedingungen und faire Gehälter wirken zudem besser gegen Personalmangel als jede Imagekampagne.

Der Pflegenotstand wird dramatischer, der Personalmangel ist in aller Munde. Deshalb kommt den laufenden Kollektivvertragsverhandlungen der Sozialwirtschaft eine so wichtige Rolle zu.

Es wird folgende Anfrage gestellt:

Unterstützen Sie als Soziallandesrätin die Forderung der Gewerkschaften und der Beschäftigten zur Einführung einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 35 Stunden im Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich?

Pflege darf nicht gewinnorientiert sein

Unselbstständiger Entschließungsantrag (§ 51 GeoLT) (Zustimmung KPÖ, Grüne)

Der vorliegende Rechnungshofbericht hat wieder aufgezeigt, woran es in der Steiermark im Bereich Pflege krankt. In keinem anderen österreichischen Bundesland gibt es so viele stationäre Pflegeeinrichtungen wie in der Steiermark. Und in keinem anderen österreichischen Bundesland gibt es so viele gewinnorientierte private Pflegeheime wie in der Steiermark!

Von 219 Pflegeheime in der Steiermark sind 184 in der Hand privater BetreiberInnen!

Die gewinnorientierten Einrichtungen sind auch für die enormen Kostensteigerungen in der Pflege verantwortlich: 2005 lagen die Ausgaben der öffentlichen Hand für die gewinnorientierten Heime noch bei 96 Mio. Euro; 2013 waren sie auf 267 Mio. Euro angestiegen und haben sich damit in nur acht Jahren beinahe verdreifacht! Im selben Zeitraum sind die Kosten für die landeseigenen Heime nur um 58 % gestiegen.

Zahlreiche private HeimbetreiberInnen haben zur Erzielung zusätzlicher Gewinne ihre Immobilien nach der Baukosten-Refinanzierung durch das Land Steiermark an ausländische Fonds oder Finanzgesellschaften weiterverkauft. Nach den lukrativen Verkäufen werden die Objekte dann von den neuen BesitzerInnen zurückgemietet, während die Tagsätze aber völlig unverändert weiter fließen und weiterhin den Bau, die Ausstattung, die Instandhaltung und den laufenden Betrieb refinanzieren! Die BetreiberInnen können ihr Geschäftsmodell als besonders sicher und risikolos bewerben, sind doch die laufenden Einnahmen staatlich gesichert.

Profitstreben aber hat in einem sensiblen Bereich, wie es die Pflege betagter Menschen ist, nichts zu suchen!

Schon derzeit haben Pflegeheimbetreiber in Oberösterreich, Tirol und Wien verpflichtend gemeinnützig zu sein. Auch im Burgenland dürfen Pflegeheime künftig nur mehr gemeinnützig betrieben werden, wenn sie Landesförderungen bekommen wollen. Für Betreiber von Einrichtungen auf gewinnorientierter Basis gibt es eine vierjährige Übergangsfrist. Das wurde mit dem Burgenländische Sozialeinrichtungsgesetz im vergangenen Jahr fixiert.

Für die Steiermark ist eine derartige Regelung besonders erforderlich, um wenigstens für die Zukunft auszuschließen, dass die für die Pflege dringlich erforderlichen Landesmittel zur Subventionierung privater Gewinne verwendet werden.

Es wird daher der Antrag gestellt: Der Landtag wolle beschließen:

Die Landesregierung wird aufgefordert, eine Gesetzesvorlage nach dem Vorbild des Burgenländischen Sozialeinrichtungsgesetz auszuarbeiten und dem Landtag zur Beschlussfassung vorzulegen, mit der die Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln künftig auf gemeinnützige und öffentliche Pflegeheimträger beschränkt wird.

Ausstieg Österreichs aus EURATOM

Unselbstständiger Entschließungsantrag (§ 51 GeoLT) (abgelehnt von SPÖ, ÖVP und NEOS)

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, EURATOM, ist einer der drei Gründungsverträge der heutigen Europäischen Union. Seit seinem Inkrafttreten 1958 hat er kaum Änderungen erfahren.

In der Präambel des EURATOM-Vertrages heißt es:

"In dem Bewusstsein,

dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt;

entschlossen die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernenergie zu schaffen, welche die Energieerzeugung erweitert, die Technik modernisiert und auf zahlreichen anderen Gebieten zum Wohlstand ihrer Völker beiträgt; …

haben wir beschlossen, eine europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) zu gründen."

Aufgrund seines Status als „lex specialis“ darf die weiterentwickelte EU-Umweltpolitik nicht regulierend in Fragen der Kernenergie eingreifen. Das europäische Parlament hat keine Mitentscheidungsmöglichkeit bei der Finanzierung von Atomkraftwerken durch die EURATOM-Milliardenkredite. Auch die inzwischen im EU-Recht etablierten Formen der europaweiten Bürgerbeteiligung gelten nicht für Akte im Rahmen des EURATOM-Vertrags. Er muss damit als ein Relikt aus der Frühphase der europäischen Politik betrachtet werden.

Sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Themensetzung als auch mit Blick auf Transparenz und Entscheidungsverfahren ist EURATOM nicht mehr zeitgemäß. Er war ein Ausdruck der allgemeinen Kernenergie-Euphorie der 1950er Jahre. Die Lehren aus Tschernobyl und Fukoshima finden sich darin nicht.

Immer wieder wird der EURATOM-Vertrag von der Europäischen Kommission als Grundlage für die Behauptung herangezogen, dass der Ausbau von Atomkraft gemeinsames Interesse der EU ist. Der Atomwirtschaft werden durch den EURATOM-Vertrag EU-weite Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Energieträgern eingeräumt.

Dabei wird außer Acht gelassen, dass in der EU nur 14 von 28 Staaten Kernenergie nutzen. Insgesamt elf Mitgliedstaaten lehnen die Nutzung der Kernenergie ab und haben kein eigenes Nuklearprogramm.

Als „unentbehrlich“ kann die Atomkraft heute nicht mehr gelten. Es gibt Alternativen zur Atomkraft, die billiger und sicherer sind. Und diese wären ohne die massive Subventionierung der Atomkraft und bei Einbeziehung aller Kosten auch kostengünstiger.

Die EU-Kommission schätzt bis zum Jahr 2050 die nötigen Investitionen im Nuklearbereich auf mindestens 650 Milliarden Euro, davon 250 Milliarden allein für die Entsorgung von Altlasten und die Suche nach Endlagerstellen. Etwa 400 Milliarden werden für den Bau neuer AKWs veranschlagt. Ohne die finanzielle Förderung der Atomkraft durch EURATOM wäre die Kernkraft schon längst nicht mehr konkurrenzfähig.

Atomkraftwerksbetreiber haften zudem nur sehr begrenzt für eventuelle Schäden und sind nur ungenügend versichert. In den meisten Ländern liegt die Haftungsbeschränkung für Atomkraftwerke bei wenigen hundert Millionen Euro. In Deutschland deckt der Versicherungspool der Betreiberseite Schäden bis zu 256 Mio. Euro ab. Eine Studie Münsteraner Wissenschaftler kam zu dem Ergebnis, dass eine Kernschmelze in Deutschland Schäden in Höhe von 5 Billionen Euro verursachen könnte. Um einen Schaden von 5 Billionen Euro zu versichern, wäre nach Berechnungen des Forums ökologisch-soziale Marktwirtschaft eine Haftpflichtprämie von 287 Mrd. Euro pro Jahr fällig. Atomkraft wäre unter Berücksichtigung dieser Kosten unbezahlbar.

Österreich ist - trotz seines Neins zur Nutzung der Atomenergie - Mitglied bei EURATOM und zahlt jährlich mehr als 40 Millionen Euro an Fördermittel für die europäische Atomenergie.

Mit dem Vertrag von Lissabon 2009 hat EURATOM seine Stellung als erste Säule der Gemeinschaft verloren. In den EU-Verträgen (EUV und AEUV) von 2009 wird EURATOM nicht mehr erwähnt. Aber EURATOM existiert nach wie vor als Rechtsperson des Völkerrechts, beruhend auf völkerrechtlichem Vertrag, und verpflichtet die unterzeichnenden Staaten, die Atomenergie zu fördern.  

Die unverhältnismäßige Atomsubventionierung muss der Vergangenheit angehören, denn sie führt zu einer enormen Verzerrung des europäischen Energiemarktes zum Nachteil der erneuerbaren Energien.

Das Gesamtbudget des EURATOM-Programms für den Zeitraum 2014-2018 betrug 1,6 Milliarden Euro. Der finanzielle Rahmen für 2019-2020 betrug 770,2 Mio. Euro. Und im Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) für 2021-2027 sind für EURATOM 2,4 Milliarden Euro vorgesehen.

Diese gewaltigen Summen wären weit sinnvoller für Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer nachhaltiger Energieerzeugung und Technologien eingesetzt. Österreich sollte daher ein deutliches Zeichen setzen und endlich aus dem EURATOM-Programm aussteigen. Es ist sicherzustellen, dass Österreich keine öffentlichen Gelder für Atomkraft zur Verfügung stellt. Konsequenterweise muss daher Österreich auch aus EURATOM aussteigen.

Entgegen anderer Behauptungen ist der Ausstieg auch möglich, ohne dass damit die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union berührt würde. Drei Rechtsexperten (Univ.-Prof. Manfred Rotter/Linz, Univ.-Prof. Michael Geistlinger/Salzburg und Univ.-Prof. Bernhard Wegener/Erlangen-Nürnberg) haben in Gutachten unabhängig voneinander die völkerrechtliche Möglichkeit eines Austritts aus dem EURATOM-Vertrag bestätigt:

Da der EURATOM-Vertrag keine Kündigungsbestimmung enthält, sind die völkerrechtlichen Bestimmungen über die Beendigung völkerrechtlicher Verträge anwendbar, insbesondere die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969.

Ergänzend ist auch eine Kündigung gem. Art. 62 Abs. 1 WVK zulässig („Wegfall der Geschäftsgrundlage“). Die Umstände, unter denen der EURATOM-Vertrag geschlossen wurde, sind nämlich heute grundlegend geändert und die mit dem Vertragsschluss verbundenen Erwartungen nicht mehr erfüllbar, was ebenfalls einen Kündigungsgrund darstellt.
Die Einbettung der Europäischen Atomgemeinschaft in die EU ist dabei kein Hindernis, da er rechtlich selbständig ist und eine eigene Gemeinschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen hat. Auch folgt aus dem Beitritt zur EU im Falle Österreichs (im Gegensatz etwa zu Gründungsstaaten der Europäischen Atomgemeinschaft) nicht die Unmöglichkeit der Kündigung eines Gemeinschaftsvertrages.

Jahrelange Versuche, eine umfassende Reform des EURATOM-Vertrages einzuleiten, scheiterten am Einstimmigkeitsprinzip. Eine Änderung der Situation ist weder kurz- noch mittelfristig in Aussicht, zu verschieden sind die Auffassungen der Mitgliedsstaaten. Die vorliegende Stellungnahme der Bundesregierung greift daher zu kurz. Konsequent wäre nur ein Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag.

 

Es wird daher der Antrag gestellt: Der Landtag wolle beschließen:

 

  1. Der Landtag Steiermark spricht sich für den Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag aus.
  2. Die Steiermärkische Landesregierung wird ersucht, die Bundesregierung aufzufordern, im Sinne einer aktiven Anti-Atompolitik den Austritt Österreichs aus EURATOM konsequent zu betreiben.

10. März 2020