"Zwischen Lenin und Kaltenegger"
Zeitschrift "Falter" über den 90. Geburtstag der KPÖ
Ein schmuckloses Bankerl in einem Korridor des Grazer Rathauses. Ein buntes Grüppchen wartet vor dem Büro der kommunistischen Wohnungsstadträtin Elke Kahr. „Die helfen, die wähl’ ich“, meint eine Frau. „Du musst ehrlich zu ihnen sein, dann helfen sie auch in Notlagen“, erklärt ein Pensionist. Eine Frau sekundiert: „Und das nicht nur vor der Wahl!“
Es ist Donnerstagvormittag und Elke Kahr hat Parteienverkehr. „Dienstag und Donnerstag mache ich von acht bis 18 Uhr nichts Anderes“, erzählt sie, immer wieder durch Handyanrufe Hilfesuchender unterbrochen. Viele kämen mit Anliegen, die das Wohnungsressort betreffen, aber auch mit Jobsorgen und finanziellen Schwierigkeiten: „Das ist wie eine sozialarbeiterische Tätigkeit.“ Monatlich 5300 Euro netto plus Zulagen verdient die Stadträtin: „1800 Euro behalte ich mir, mit dem Rest helfe ich, wenn andere Einrichtungen es nicht können oder dürfen.“ Ihre Kontakte notiert Kahr penibel auf Karteikarten, im Büro gibt es davon Tausende, Auszahlungen werden in einem Kassenbuch festgehalten. Im Computer, so Kahr, sei all dies jedoch nicht erfasst: „Wobei das gar nicht so blöd wäre!“
1983 haben es die Kommunisten mit dem Neokandidaten Ernest Kaltenegger gerade in den Grazer Gemeinderat geschafft, erst in den Neunzigern haben sie sich etabliert. 2003 eroberte die KPÖ, oft als „Kaltenegger-Partei Österreichs“ interpretiert, bedingt durch den Niedergang der FPÖ sensationelle zwanzig Prozent. 2005 schaffte die Partei unter Kaltenegger den Wiedereinzug in den Landtag. Elke Kahr, die 2008 erstmals in Graz als Spitzenkandidatin antrat, konnte bei den diesjährigen Gemeinderatswahlen immerhin elf Prozent absichern, verlor aber einen der zuletzt zwei Stadtratssitze.
Die Anfänge waren stürmisch. Am 3. November 1918, wenige Tage vor der Ausrufung der Republik Österreich, gründete sich die KPÖ in Wien – und damals hätten die Kommunisten durchaus die Macht im Land erobern können. Anfang 1919 waren sie auch in der Steiermark zu einer Massenbewegung avanciert, vor allem bei aus Sowjetrussland heimkehrenden Kriegsgefangenen und Arbeitslosen. Mitte Februar 1919 versammelten sich 4000 Menschen am Freiheitsplatz und lauschten dem steirischen KP-Chef Heinrich Brodnig, der neben sozialen Forderungen eine „Diktatur des Proletariats“ nach russischem Vorbild forderte. Das steirische Establishment bekam es mit der Angst zu tun. Am 22. Februar gab es vier Tote und zahlreiche Verletzte, nachdem das bewaffnete Studentenkorps auf linke Demonstranten geschossen hatte. Geld, das aus der kurzlebigen ungarischen Räterepublik im Jahr 1919 an die steirische KP floss, wurde beschlagnahmt – wie der Historiker Heimo Halbrainer erzählt, investierte die Polizei es ausgerechnet in zwei Panzerwägen zur Bekämpfung der Kommunisten.
Fortan agierten Deutschnationale, Konservative und auch Sozialdemokraten gemeinsam gegen die Kommunisten, 1933 wurde die KP verboten. Dennoch wechselten nach dem austrofaschistischen Verbot der Sozialdemokratischen Partei 1934 zahlreiche linke Sozialdemokraten zur illegalen KP. Nach dem Anschluss waren steirische Kommunisten aktiv im Widerstand, nach 1945 kurzfristig auch in der Landesregierung. Bei den Wahlen danach pendelte sich die KPÖ auf niedrigem Niveau ein. Aber auch vor den Erfolgen Kalteneggers war sie in einigen Gemeinderäten vertreten. Und ist es noch immer, ganz im Unterschied zur realpolitisch bedeutungslosen Bundes-KPÖ, mit der die Steirer nicht viel mehr als Historie verbindet.
„Die Bedeutung der steirischen KPÖ hängt primär damit zusammen, dass sie die soziale Dimension vor die Ideologiedebatte gestellt hat“, analysiert der Wiener Historiker Oliver Rathkolb. In der Partei sieht man das ähnlich. Kahr spricht davon, wie wichtig es sei, vom „bloßen Papierkommunismus“ weggekommen zu sein: „Eine Partei wie die KPÖ kann Menschen eher überzeugen, wenn sie sehen, dass wir nicht nur reden, sondern etwas tun.“ Und man tat insbesondere im Wohnungsbereich etwas, installierte 1991 einen „Mieternotruf“, Ernest Kaltenegger konnte sich schließlich als gewählter Wohnbaustadtrat profilieren. Und von seinem passablen Stadtratsgehalt eine beträchtliche Summe an Bedürftige auszahlen – was sich politisch lohnte.
Seit Kaltenegger als Klubobmann im Landhaus residiert, ist es eher ruhig um ihn geworden. Selbst beim neuen Steckenpferd der Kommunisten, der Spielsucht, hält sich der Erfolg in Grenzen. Zwar hat sie damit ein von den anderen Parteien kaum beackertes Feld gefunden, so viel wie mit dem Wohnthema ist damit aber bei Weitem nicht zu holen. Und mit der Forderung, die Abgabe für Spielautomaten auf das deutlich höhere Wiener Niveau zu heben, blitzte die KPÖ bislang ab – auch bei der SPÖ. Kaltenegger: „Fünf Tage vor einem vereinbarten Gesprächstermin berichtete eine SPÖ-Homepage über ein neues Rettungsauto des steirischen Arbeiter-Samariter-Bundes. Die Spender: Novomatic und Admiral Sportwetten.“ Eine Verbindung? „Man kann nichts unterstellen, was man nicht beweisen kann. Aber nachdenklich wird man schon.“
Nachdenklich wird er auch, wenn er wie zuletzt in Bezug auf die Finanzkrise wiederholt Andeutungen hört: „Ich fürchte einen neuen Antisemitismus.“ Und das aktuelle FPÖ-Wahlergebnis? Man könne FPÖ-Wähler nicht automatisch als Neonazis einordnen, man müsse um sie kämpfen. Den Vorwurf, dass sich seine Partei in „Ausländerfragen“ oft nicht übertrieben deutlich positioniert, kommentiert er so: „Es gibt Vorfälle, wo man öffentlich Klartext reden muss. Plakatives Auftreten freut oder beruhigt die eigenen Anhänger. Aber in der Sache selbst kommt man damit vielleicht nicht so weit.“
Aber nicht nur Kalteneggers Pragmatismus, auch die Ideologie lebt. So hält der Leobener Landtagsabgeordnete Werner Murgg die Erinnerung an die russische Oktoberrevolution in Form einer kleinen Lenin-Statue in seinem Büro hoch. Heute noch sieht er die Oktoberrevolution – ganz im Sinne einer fragwürdigen sowjetischen Darstellung – als „eine der unblutigsten Revolutionen“.
Zurück ins Jahr 2008. Da ärgert sich der Widerstandskämpfer Willi Gaisch, ein KP-Urgestein, dass die Bundes-KPÖ im Nationalratswahlkampf nicht einmal die Vergesellschaftung von Banken und Großindustrie gefordert hat. Die Steirer sind anders. „Wir wollen ein anderes Gesellschaftssystem als den Kapitalismus. Wir sind für die Vergesellschaftung aller Banken und Versicherungen unter demokratischer Kontrolle. Jetzt werden die Menschen nicht mehr so aufschreien wie noch vor Kurzem“, sieht der steirische KP-Chef Franz-Stephan Parteder marxistische Ideen im Aufwind. Emotional wird Parteder, wenn er über die EU spricht, die diese Krise doch mitvorbereitet habe. „Jetzt sagen diese Leute: Wir sind der Schutzwall gegen die Krise. Das ist Mumpitz. Diese EU gehört weg!“
Ein KP-Erfolgsrezept funktioniert auch nach neunzig Jahren. Vergangene Woche musste die Partei einen Dalai-Lama-kritischen Vortrag eines bayrischen Jesus-Christus-Lookalike kurzfristig von der Uni in ihre eigenen Räumlichkeiten in der Lagergasse verlegen. Gerade der öffentliche Disput mit dem Uni-Rektorat garantierte großen Zulauf. Wie bereits 1919: Damals beklagten sich KPÖler, in Graz keinen Saal zu bekommen – wenig später hätte man fast die Macht übernommen.
Veröffentlicht: 5. November 2008