Zur Kandidatur von Irmgard Griss
Eine Kandidatin des Establishments - von F.St. Parteder
Franz Stephan Parteder
Ein Teil des Establishments
Die Präsidentschaftskandidatur von Irmgard Griss
Bei der Bundespräsidentenwahl tritt die ehemalige Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Irmgard Griss als von den Parlamentsparteien unabhängige Kandidatin auf. Der von ihr verantwortete Kommissionsbericht über das Debakel der Hypo Alpe-Adria hat ihre Person einer breiten Öffentlichkeit sympathisch und als Gegengewicht zur Dominanz der Parlamentsparteien - Hubert Patterer, Chefredakteur der Grazer „Kleinen Zeitung“ schreibt sogar von einem „verhassten System“ - wählbar gemacht.
Auch für Linke? Das wohl nicht. Oliver Pink weist in der „Presse“ (23.12. 2015) auf die unleugbare Tatsache hin, dass „Irmgard Griss, die bürgerlich-liberale Anti-Establishment-Kandidatin (...) als ehemalige OGH-Präsidentin natürlich Teil des Establishments ist.“
Nicht nur das. Bei der Kandidatur von Frau Griss dürfte es sich um eine durchdachte und geplante Operation eines Teils der österreichischen Großkapitals zur direkten Durchsetzung seiner Interessen auf dieser Ebene handeln. Nach der Etablierung der Retortenpartei Neos im Parlament sieht man es für möglich, in Konkurrenz und Auseinandersetzung mit ÖVP und SPÖ auch in den Kampf um das Bundespräsidentenamt einzugreifen. Dass Irmgard Griss eine erfolgreiche Frau ist, spielt in diesen Kalkulationen keine kleine Rolle.
Bartenstein, Andritz ,AVL List; Steiermärkische Sparkasse
Wer mit der österreichischen Innenpolitik vertraut ist, der musste aufhorchen, als der frühere ÖVP-Minister, VP-Verbindungsmann zu Jörg Haider und Pharma-Unternehmer Martin Bartenstein seine Sympathie für die Kandidatur von Frau Griss erkennen ließ. Die erste Großspende – 100.000 Euro – kam dann von Cattina Leitner, der Ehefrau von Wolfgang Leitner, der wiederum Vorstandsvorsitzender des weltweit tätigen Andritz-Konzerns mit Hauptsitz in Graz ist. Leitner wird vom Wirtschaftsmagazin trend mit einem geschätzten Vermögen von 1,36 Milliarden Euro auf Platz 21 der reichsten Österreicher geführt. Er hat übrigens gemeinsam mit seinem Studienkollegen Martin Barteinstein das Pharma-Unternehmen Genericon gegründet. Mittlerweile sind bereits über 500.000 Euro an Spenden zusammengekommen, wobei die Großspenden von Unternehmern und Exponenten der juristischen Elite stammen, eine Kleinspende - 10 Euro – auch von Hermes Phettberg.
Diese Tatsachen machen es unumgänglich, Informationen über das familiäre Umfeld von Frau Griss einzuholen. Schließlich macht es einen Unterschied, ob das Staatsoberhaupt mit der Tochter eines Widerstandskämpfers und Emigranten verheiratet ist wie Heinz Fischer oder mit einem im Establishment bestens vernetzten Rechtsanwalt wie dies bei einem Erfolg von Irmgard Griss der Fall wäre.
Dr. Gunter Griss führt in Graz die Rechtsanwaltskanzlei Griss und Partner. Sein Tätigkeitsfeld liest sich auf der Homepage der Kanzlei wie folgt: „Dr. Gunter Griss fungiert als Aufsichtsrat verschiedener Unternehmen und ist ständiger Rechtsberater zahlreicher in- und ausländischer Gesellschaften aus Handel und Industrie, Banken- und Versicherungswirtschaft. Dr. Griss ist regelmäßig in internationalen Schiedsverfahren tätig - sowohl als Parteienvertreter als auch als Schiedsrichter.“
In welchen Unternehmen ist Dr. Gunter Griss im Aufsichtsrat? Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der Steiermärkischen Bank und Sparkassen AG, die zur Erste Group gehört. Seine Stellvertreter im Aufsichtsrat sind übrigens Dr. Oswin Kois, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des steirischen Energieunternehmens ESTAG und zuvor Büroleiter von SPÖ-Landeshauptmannstellverterter Dr. Peter Schachner-Blazizek - und Ilse Bartenstein, die Ehefrau von Martin Bartenstein.
Weiters ist er Aufsichtsratsvorsitzender der AVL List GmbH (einer der weltweit führenden Firmen für die Entwicklung von Verbrennungsmotoren mit dem Sitz in Graz) und Vorstandsvorsitzender der List Privatstiftung, in der das Vermögen der Besitzerfamilie dieses Betriebes verwaltet wird.
Und die Inhalte?
Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass die Frau eines Rechtsanwaltes, für den internationale Schiedsgerichtsverfahren tägliche Praxis sind, etwas gegen das Freihandelsabkommen TTIP unternehmen wird. Ihre öffentlichen Aussagen zu TTIP deuten darauf hin.
Auch andere Aussagen der in öffentlichen Stellungnahmen sonst sehr vorsichtigen Irmgard Griss gehen in eine Richtung, die für fortschrittliche Menschen nicht akzeptabel ist.
Die immerwährende Neutralität Österreichs lehnt sie ab. Auf die Frage der Vorarlberger Nachrichten: „Soll die Neutralität weiterbestehen“ gab sie folgende Antwort: „Das weiß ich nicht“. Dafür positioniert sie sich in der Diskussion über die verschiedenen EU-Krisen eindeutig: Wie alle MainstreampolitikerInnen sieht sie die Lehre daraus „nicht in weniger, sondern in mehr Europa“. Dieser Stehsatz passt ausgezeichnet zu den aktuellen Versuchen, die Repressionsinstrumente der EU unter dem Vorwand von Terrorgefahr und Flüchtlingsströmen massiv auszubauen. Ihre Aussagen zu diesem Thema passen auch zur Agitation von Außenminister Kurz und der ÖVP. Bei einer Bundesregierung, die den Austritt Österreichs aus der EU im Programm hat, würde sie zurücktreten.
Ihre Aussagen zu wirtschaftspolitischen Fragen lesen sich wie Paraphrasen auf die aktuellen Forderungen der Industriellenvereinigung.
Eine Bundespräsidentin Irmgard Griss würde darüber hinaus gut zu Versuchen passen, in Österreich eine rechtsbürgerliche Regierung unter Ausschluss der SPÖ zu installieren. Darauf deuten nicht nur ihre Aussagen zur möglichen Angelobung von Strache als Bundeskanzler sondern vor allem die Erfahrung mit der Rolle hin, welche die steirische ÖVP und Martin Bartenstein persönlich bei der Anbahnung einer Zusammenarbeit mit der FP gespielt haben. Martin Bartenstein ist übrigens Mitglied der Akademischen Sängerschaft Gothia, die nur deshalb nicht als deutschnationale Burschenschaft bezeichnet werden kann, weil dort nicht Mensur gefochten wird.
Die sich abzeichnende Konstellation bei der Bundespräsidentschaftswahl im April 2016 macht auf schmerzliche Weise deutlich, wie fatal das Fehlen einer gesamtösterreichischen fortschrittlichen, sozialen und mit einem großen Teil der Bevölkerung verbundenen Alternative auf politischer Ebene ist. Das Establishment macht sich nämlich schon seit langem Gedanken über die Erosion des Zuspruchs zu den traditionellen Volksparteien. Dabei will man sich den rechtspopulistischen Bewegungen nicht vollends ausliefern und bringt deshalb Retortenbabies ans Tageslicht. Die Industriellenvereinigung hat jetzt mehrere Eisen im Feuer. Das Antreten von Irmgard Griss gehört zu dieser Operation.
Steirer für die Steirerin?
Frau Irmgard Griss ist im Bezirk Deutschlandsberg geboren worden und lebt in Graz. Deshalb ist deutlich zu spüren, dass über das bisher Gesagte hinaus einflussreiche Medien und auch Teile der ÖVP unter der Hand Stimmung für die Kandidatin machen. Der frühere ÖVP-Landesrat Gerhard Hirschmann nahm im Februar gemeinsam mit der Kandidatin in Graz am Podium an der Präsentation eines unkritischen Buches über Irmgard Griss teil. Nach Bartenstein erklärte sich auch der Grazer ÖVP-Stadtrat Hohensinner für wählbar, wobei diese facebook-Eintragung sehr rasch den Weg in die Medien fand.
Die Grazer „Kleine Zeitung“ ist eine sehr willige Tribüne für die Wahlkampfaussagen von Frau Griss, während beim offiziellen VP-Kandidaten Khol eher kritikwürdige Aspekte seines Antretens berichtet werden.
Deshalb sollten fortschrittliche Menschen in der Steiermark hellhörig werden. Eine Stimme aus lokalpatriotischen Gründen für die steirische Kandidatin wäre eine Stimme gegen die eigenen sozialen Interessen.
Niemand von den Personen, die in den Medien derzeit als aussichtsreiche Bundespräsidentschaftskandidaten genannt werden, vertritt eine Plattform des sozialen Wandels. Lediglich im Fall einer Stichwahl zwischen dem FP-Kandidaten Hofer und – angenommen – Griss, Hundstorfer oder Van der Bellen wäre es sinnvoll, eine Stimme gegen die weitere Rechtsentwicklung unseres Landes und gegen Fremdenfeindlichkeit abzugeben.
Veröffentlicht: 1. März 2016