"Wer Flüchtlingselend beenden will, muss aufhören, Kriege zu führen und Waffen zu liefern"
Rede von Claudia Klimt-Weithaler beim Sonderlandtag am 7. September
Wenn man in den letzten Tagen und Wochen Zeitungen gelesen, sich in sozialen Netzwerken bewegt oder ferngesehen hat, dann konnte man sich eines Themas sicher nicht entziehen. Die FPÖ nennt es „Asylchaos“. Man kann aber schlicht und einfach von Menschen sprechen, die auf der Flucht sind, weil sie um ihr Leben fürchten.
Viele von ihnen schaffen es aber gar nicht, sich in Sicherheit zu bringen: Sie ertrinken im Mittelmeer, sie ersticken in Autos von Schleppern. Männer, Frauen und Kinder, die ihr Heimatland verlassen müssen, weil Krieg herrscht. Krieg, das bedeutet Gewalt, Hunger, Angst, kein Dach mehr über dem Kopf. Krieg, das bedeutet, geliebte Menschen verloren zu haben, Krieg, das bedeutet Not und Elend.
Alle, die hier anwesend sind, haben das Glück, in einem Land zu einer Zeit geboren worden zu sein, wo sie all das nicht miterleben mussten. Hoffentlich müssen wir und unsere Kinder, Enkel, alle Nachgeborenen auch in Zukunft nicht erleben, was die Menschen, von denen wir heute reden, erleiden müssen. Dieses Glück haben andere nicht.
Jemand, der seine Heimat verlässt, hat immer Gründe dafür. Jemand, der seine Heimat verlässt und dabei sein Leben riskiert, hat praktisch nichts mehr zu verlieren, außer eben seinem Leben. Ein Flüchtling aus Syrien hat in einem ORF-Interview am Tag nach der Entdeckung der 71 in einem LKW erstickten Menschen seine Entscheidung, das Risiko der Flucht auf sich zu nehmen, folgendermaßen beziffert: In Syrien wären seine Überlebenschancen bei einem Prozent gelegen. Eine Flucht habe die Chance auf 50 % erhöht – das bedeutet auch, dass dieser junge Mann einkalkuliert hat, auf der Flucht zu sterben.
Selbstverständlich steht es für die KPÖ außer Frage, dass diesen Menschen, die jetzt zu uns kommen und noch kommen werden, geholfen werden muss. Die Alternative wäre ja, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Und dieses Schicksal wäre in sehr vielen Fällen der sichere Tod. Wir unterscheiden nicht zwischen „guten“ und „bösen“ Flüchtlingen. Hier kommen Menschen, die Schutz und Hilfe brauchen.
Und es kommen sehr viele. Ein Teil von ihnen wird einen positiven Bescheid erhalten, d.h. sie werden länger bleiben. Das ist die Situation, mit der sich die Gemeinden, das Land Steiermark, der Bund und die EU auseinandersetzen müssen.
Die FPÖ hat also diesen Sonderlandtag einberufen und verwendet in zwei von drei Dringlichen Anfragen den Begriff „Asylchaos“. Die Frage, die ich mir zuerst gestellt habe war: Ist das gerechtfertigt? Ist es gerechtfertigt, zum Thema „Flüchtende Menschen“ einen Sonderlandtag einzuberufen? Und: Ist es gerechtfertigt, von „Asylchaos“ zu sprechen?
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gerechtfertigt, einen Sonderlandtag dazu abzuhalten. Aber müsste es eigentlich nicht so sein, dass die politisch Verantwortlichen in diesem Land, also der LH, der LH-STv. und die zuständige Soziallandesrätin, diesen einberufen?
Von mir aus hätte es nicht zwingend ein Sonderlandtag sein müssen, auch eine Einladung zu einem Informationsgespräch, ein runder Tisch, ein Gipfeltreffen – wie auch immer man es benannt und in welcher Form es stattgefunden hätte. Angesichts der vielen Menschen, die nach Europa strömen, durch Österreich durchreisen oder hier bleiben wollen, ist es notwendig, dass sich Bund, Land und Gemeinden ein Konzept überlegen und dieses transparent machen. Damit die Bevölkerung informiert ist, damit Ängste abgebaut werden und damit jene, die helfen wollen, auch eingebunden werden können.
Nicht jede Frage, die heute gestellt wird, bringt uns weiter, aber: Von der steirischen Landesregierung hat man bis heute nur gehört, dass nun ein „Flüchtlingskoordinator“ eingesetzt wird. Verstehen sie mich bitte nicht falsch – jede Maßnahme, die dazu beiträgt, dass sich die Unterbringung und Versorgung der zu uns geflüchteten Menschen verbessert – ist zu begrüßen, aber ist das nicht ein bisschen wenig?
So gesehen, kann sich die FPÖ natürlich auf ihre Fahnen heften, dass sie diejenige Partei ist, die dieses Thema aufgreift. Die KPÖ teilt die Ansicht über die Notwendigkeit, wir haben jedoch grob unterschiedliche Ansichten darüber, wie dieses Thema behandelt werden soll. Chaos ist ein hartes Wort. In Traiskirchen hat die Bundespolitik völlig versagt, dort wäre der Ausdruck angebracht. Oder auch in Kärnten, wo die herrschende Politik zu Zeiten eines FP-Landeshauptmannes das Land derartig ruiniert hat, dass noch Jahre später niemand weiß, wie es dort weitergehen soll.
Der Begriff findet sich für uns also in einem völlig anderen Zusammenhang wieder: Nicht die unbegleiteten Kinder und erschöpften, kranken, traumatisierten Menschen, die zu uns kommen, verursachen ein Chaos, sondern die politisch Verantwortlichen, die völlig überfordert mit einer Situation zu sein scheinen, die absehbar war, sie haben „unzumutbare Zustände“ zu verantworten. Oder wie sollte man es sonst nennen, wenn Menschen in Schlafsäcken bei Hitze und Regen im Freien schlafen müssen und weder ausreichend medizinisch versorgt noch psychologisch betreut werden?
Wenn man die von den Freiheitlichen gestellten Dringlichen Anfragen aufmerksam liest, gewinnt man den Eindruck, dass die FPÖ von folgenden Überlegungen ausgeht: Es flüchten zu viele Menschen, diese kosten zu viel und sie schleppen Krankheiten ein, die die österreichische Bevölkerung dahinraffen werden. Das sind auch genau jene Feststellungen, die sie als Begründung ihrer Petition „Asylchaos stoppen“ angeben.
Was bei all ihren Überlegungen gänzlich fehlt, und das haben sie im Übrigen mit den Regierungsparteien in der Steiermark und im Bund gemein, das ist die Tatsache, dass sie sich in keiner Weise mit den Ursachen auseinandersetzen. Oskar Lafontaine hat es erst kürzlich in einem Satz zusammengefasst: Er hat gesagt, „Wer das Flüchtlingselend beenden will, muss aufhören Kriege zu führen und Waffen zu liefern!“
Kriege passieren nicht, Kriege werden geführt. Meistens geht es um politischen Einfluss, um Rohstoffe und darum, dass jemand sehr gut an diesen Kriegen verdient. Und da kann Europa nicht so tun, als wäre es nicht involviert. Größter Profiteur kriegerischer Auseinandersetzungen wie in Syrien oder im Irak ist die Waffenindustrie. Eine gemeinsame Recherche der Frankfurter Rundschau und des Fernsehsenders NDR hat ergeben, dass die islamistischen Al-Nusra-Milizen 2014 im Irak mit in Deutschland produzierten Panzerabwehrraketen gegen KurdInnen kämpften. Auch der „Islamische Staat“ kämpft mit Raketen, die Deutschland an Syrien geliefert hat. Gewehre aus der österreichischen Steyr-Mannlicher-GmbH tauchen laut Recherchen des Nachrichtenmagazins Profil regelmäßig im irakisch-syrischen Kriegsgebiet auf.
Dass weltweit immer mehr Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen, ist Ausdruck einer verfehlten Politik. Es ist eine neoliberale Politik, die von Konzernen und Banken diktiert wird. Die Profiteure und Drahtzieher dieser – Jean Ziegler nennt sie kannibalistischen – Weltordnung haben Namen und Adressen und sie sind in erster Linie in den USA und in Europa beheimatet. Sie sitzen auf Regierungsbänken und in den Vorstandsetagen multinationaler Konzerne, in der Weltbank und im Internationalen Währungsfonds, an den Börsen und in den Geheimdiensten. Darüber verlieren Sie alle kein Wort!
Mit der Zerstörung sozialstaatlicher Errungenschaften, der Kapitulation vor Banken und Konzernen, Privatisierungen, Sozialkürzungen und der bedingungslosen Erfüllung neoliberaler EU-Vorgaben haben diese Parteien alles dafür getan, um den Lebensstandard des Großteils der Bevölkerung zu senken. Und genau damit werden Zukunftssorgen und Ängste geschürt. Was wiederum dazu führt, dass Rassismus und Hass immer öfter offen ausgelebt werden.
Aber nicht flüchtende Menschen haben Österreich in diese Lage gebracht, sondern ein System, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer macht. Und die Armen werden gegeneinander ausgespielt.
Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen und nicht die Flüchtenden!
Es kann nicht sein, dass manche Staaten gar keine Flüchtlinge aufnehmen. Die verantwortlichen EU-Konstruktionen, Schengen und Dublin, sind völlig ungeeignet. Was man unserer Meinung nach beim Durchgriffsrecht des Bundes berücksichtigen muss, ist, wie viele Asylwerbende bereits in einer Gemeinde untergebracht sind, damit es wirklich zu einer gerechten Aufteilung kommt. Und man darf die Gemeinden nicht alleine lassen, sie brauchen Ressourcen, damit sie Rahmenbedingungen für eine gute Versorgung der Menschen schaffen können.
Die Geschäftemacherei mit dem Not und dem Elend der Menschen muss unterbunden werden! Das gilt für die Waffenindustrie ebenso wie für Schlepper und Quartierbetreiber, denen es nicht um die Menschen, sondern um ihre Profite geht!
Es gibt von ExpertInnen eine Reihe von Vorschlägen, wie man diese Krise bewältigen kann. Das geht von der Novellierung des Asylgesetzes – verkürzte Verfahren, Antragsstellung in Botschaften, sichere Einreise – bis hin zur verbesserten Betreuung.
Damit muss man sich so schnell wie möglich auseinandersetzen, damit man baldigst gute Lösungen am Tisch hat.
Größter Respekt gebührt allen Einrichtungen und Initiativen und vor allem den freiwilligen HelferInnen in Heimen, an den Bahnhöfen und überall dort, wo sie sich eingesetzt haben. Sie haben Großartiges geleistet und gezeigt, dass in unserer Gesellschaft jene, die anderen uneigennützig Hilfe zukommen lassen, mehr sind, als jene, die hetzen und hassen. Und das gibt Hoffnung für die Zukunft!
Veröffentlicht: 7. September 2015