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Ein Bericht über Armut am Land (Falter, Steiermark)

Sozialhilfe: Armut am Land ist besonders bitter. Denn statt dem Anspruch auf Geld gibt es manchmal nur Spott.

Christian Maier schreibt im Falter vom 29. August 2007 von der Armut am Land nach Erfahrungsberichten von Sozialberaterin Karin Gruber (KPÖ-Landtagsklub).

Frau Steiner (Name von der Redaktion geändert) hätte der Sachbearbeiterin auf der Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld gerne gesagt, dass niemand vor Armut gefeit ist. Und dass sie selbst niemals gedacht hätte, so tief zu fallen. Dass sie zweimal ihre Wohnung gegen eine kleinere tauschte, ehe sie um Sozialhilfe ansuchte. Und dass ihr Tonfall deswegen unangebracht sei. Aber Frau Steiner  hat all das nicht gesagt, sie legte lediglich ihr Einkommen von 576,- Euro offen und hörte: "Ihnen geht es ja gut, was wollen Sie überhaupt hier?"

Das war im Jahr 2001, Frau Steiner hatte sich gerade von ihrem Mann getrennt und eine kleine Plattenbauwohnung in einer obersteirischen Gemeinde bezogen. Da die Unterhaltszahlungen ihres Ex-Gatten kaum ausreichten, um Miete, Strom und Lebensmittel zu bezahlen, musste sie mit ihren alten Möbeln siedeln. Frau Steiner machte das Beste daraus. Von dem Geld, das sie nach der Scheidung zugesprochen bekam, ließ sie sich einen neuen Boden in die Küche legen, mit selbst gestickten Gobelinbildern behängte sie die kahlen Wände. Sie wollte nicht auch noch daheim an ihre Armut erinnert werden.

Die 65-Jährige sitzt in ihrer Küche, auf einem Stapel neben ihr liegen Lidl-, Hofer- und Intersparprospekte. Spricht sie über die Armut, findet sie klare Worte: "Ich ernähre mich hauptsächlich von Sonderangeboten. Gewand kaufe ich eigentlich nur im Abverkauf." Sie trägt ein simples schwarzes Shirt, das sie mit einer silbernen Kette aus ihren Ehejahren kombiniert. Plötzlich merkt sie, dass sie noch nichts zu trinken angeboten hat: "Entschuldigung, aber ich bekomme nicht mehr so oft Besuch." Seit Frau Steiner keine Ausflüge mehr mit ihren Freundinnen unternehmen kann, hat sie sich zunehmend zurückgezogen. Sie will nicht, dass die ehemaligen Freundinnen, die Nachbarn oder der Kaufmann an der Ecke merken, dass ihr das Notwendigste zum Leben fehlt. In kleinen Ortschaften haben die Wände Ohren, sprechen sich Neuigkeiten schnell herum.

So kommt es, dass bis auf eine Nachbarin niemand im Plattenbau von den Geldsorgen der Frau weiß. Das ist nicht ungewöhnlich: In der Steiermark leben  70.000 Menschen von weniger als 600,- Euro monatlich, die meisten bemühen sich, nicht aufzufallen. Viele von ihnen sparen lieber bei den Lebensmitteln als bei der Kleidung, manche verscherbeln ihr ganzes Familiensilber, ehe sie Sozialhilfe beantragen.

In ländlichen Gebieten wissen viele zudem gar nicht, dass sie ein Ansuchen auf Sozialhilfe stellen können. Denn währen es in den Städten eine Vielzahl von Beratungsstellen gibt, sind Menschen, die am Land leben, häufig auf sich allein gestellt. Die KPÖ-Informationstage in den Gemeinden sind immer gut besucht. Sozialarbeiterin Karin Gruber: "Zu uns kommen Menschen, die Anspruch auf 200,- Euro Sozialhilfe hätten, aber stattdessen mit Lebensmittelgutscheinen abgespeist werden. Da heißt es dann, sie wären zu jung, um Sozialhilfe zu beziehen." Hinzu kommt, dass für viele der Gang zum Sozialamt zur unüberwindbaren Hürde wird, wenn dort ehemalige Schulfreunde oder Bekannte arbeiten. Aud die Sozialarbeiterin Angelika Beer vom Liezener Sozialverein Avalon bestätigt, dass trotz Verschwiegenheitspflicht immer wieder etwas durchsickert. Viele bitten daher lieber ihre Freunde um Geld als die Gemeinde.

Frau Steiner hat keine reichen Freunde; nachdem ihr Besuch auf dem Sozialamt erfolglos verlief, begann sie sich mit der Armut zu arrangieren. Sie aß kaum noch Obst ,strich den Türkeiurlaub und verzichtete auf die jährlichen Konzertbesuche. Über ihre Finanzen führt sie seitdem penibel Buch, jede Ausgabe wird genau vermerkt. Die steigenden Preise für Milch, Mehl und Butter lassen sich anhand dieser Buchhaltung gut nachvollziehen: Hat Frau Steiner noch vor einem Jahr monatlich rund siebzig Euro für Lebensmittel ausgegeben, sind es heuer schon achtzig.

Früher führte Frau Steiner ein bürgerliches Leben: Sie war 34 Jahre lang verheiratet gewesen, hatte 15 Jahre unangemeldet als Verkäuferin gearbeitet und zwei Söhne großgezogen. In besseren Zeiten fuhr sie nach Graz in die Oper - sah sie in einer Auslage ein passendes Kostüm für den Ausflug, nahm sie es gleich mit. Dass sie damals 4.000,- Schilling oder mehr im Geldbörserl trug, erscheint ihr jetzt absurd. Heutzutage muss sie ihre Nachbarin beschwindeln, damit die ihr nicht ständig übrig gebliebene Mahlzeiten aufdrängt.

Dass niemand wissen soll, wie schlecht es einem geht, hört auch die Sozialarbeiterin Beer häufig. Vor allem in kleinen Gemeinden und bei Menschen, die lange Jahre ein gut situiertes Leben geführt haben, ist der Widerwillen, die Armut öffentlich einzugestehen, groß. Vor kurzem traf Beer in Liezen eine alleinerziehende Mutter, die Teile ihres Mobiliars verkaufte, weil sie Mitte des Monats kein Geld mehr für Lebensmittel hatte. Jetzt sitzt sie mit ihren drei Kindern in einer leeren Küche. Beer: "Es wird immer über Sozialschmarotzer gesprochen, aber gar nicht wahrgenommen, wie viele Menschen versuchen, sich ohne Zuwendungen durchzuschlagen."

Wer den Weg zu Gemeinde antritt, muss seinen Stolz zu Hause lassen. Die Steiermark stellt - im Gegensatz zu Wien - sogenannte Regressforderungen, sie kann die Sozialhilfe also jederzeit von den Eltern oder den Kindern zurückfordern. Hinzu kommt, dass Sozialhilfeempfänger während der Antragstellung häufig abgekanzelt werden. Frau Steiner spricht vom Gefühl, "betteln gehen zu müssen", und auch Sozialarbeiterin Beer erzählt: "Wird eine Familie längere Zeit unterstützt, kann sie sich schon mal anhören, dass das alles doch nichts bringe."

Auch bei Frau Steiner hat es fünf Jahre gebraucht, ehe sie erneut den Versuch startete, zu ihrem Recht zu kommen. Erst im Jahr 2006 brachte sie gegen einen abgelehnten Sozialhilfebescheid Berufung ein und bekam etwas mehr als 1.000,- Euro Nachzahlung zugesprochen. Die Berufung hatte damals Sozialarbeiterin Gruber für sie verfasst. Frau Steiner ist überzeugt, dass sie ohne diese Hilfe niemals zu ihrem Geld gekommen wäre. "Die rechtliche Situation ist so kompliziert, da blickt kein Laie durch."

Die KPÖ fordert deswegen, eine Sozialhilfeanwaltschaft für Menschen einzurichten, die keine oder fehlerhafte Bescheide erhalten. Gemeinsam mit den Grünen drängt sie auch auf die Abschaffung des Regresses, ein dementsprechender Antrag scheiterte aber Anfang dieses Jahres im Landtag. Die grüne Landesrätin Edith Zitz schlägt zudem vor, dass Sozialhilfeanträge direkt beim Land Steiermark eingebracht werden können. Der unangenehme Gang aufs Gemeindeamt könnte damit vermieden werden. Sozialhilfebezieher wie Frau Steiner hoffen derweil vor allem auf die Einführung der Mindestsicherung. Mit den726,- Euro würde sie wieder einmal ans Meer fahren.



06-07_35_07stm.pdf

Veröffentlicht: 30. Mai 2009

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