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„Veggieday und Bauernsterben“

Die steirische Landwirtschaft zwischen EU-Richtlinien und Nahrungsmittelindustrie

Dipl.-Ing. Katharina Varadi-Dianat, Peter Kerschbaumer, Dr. Leo Kühberger, Präsident Franz Titschenbacher

In der Reihe FREItalk wurden im KPÖ-Bildungsverein am 26. April wichtige Zukunftsthemen unserer Gesellschaft diskutiert: Woher kommt unser Essen? Echt Bio, Gütesiegel, wie geht es den Bauern/Bäuerinnen, wenn sie Bio produzieren? Was trägt die EU dazu bei?

Am 26. April begrüßte KPÖ-Klubobfrau Claudia Klimt-Weithaler als Initiatorin der Veranstaltung viele interessierte Gäste im Bildungsverein der KPÖ in Graz. Die Diskussionsleitung übernahm Dr. Leo Kühberger.

 

Der Biohühnerbauer Peter Kerschbaumer erzählte von seinem Hof in der Oststeiermark. Er kommt ursprünglich nicht von einem Bauernhof, musste deshalb alles erlernen. Am Anfang stand die Überzeugung: „Wir haben Verantwortung für unseren Boden und wollen als Familie gemeinsam klein strukturiert etwas aus unserem Hof machen.“ Noch vor kurzem war es unmöglich, von so wenig Grund zu leben. „Wir wollen gemeinsam etwas schaffen“, war das Motto Kerschbaumers, der ohne Fördergelder auskommt. Die Entscheidung fiel auf die Hühnerzucht. „Lebensmittel sind wertvoll und wir können in unserer Konsumgesellschaft ein Umdenken erzeugen, beim Produzenten und beim Konsumenten.“

„Wir sind förderfrei aufgestellt, bei unserem kleinen Hof würden wir auch kaum etwas bekommen“, sagt Kerschbaumer. Die Preise für landwirtschaftliche Produkte sind einfach zu niedrig, um z.B. mit deutschen Billigproduzenten mithalten zu können. Man muss eine Nische finden, um überleben zu können.

 

Ök.-Rat Franz Titschenbacher, Präsident des steirischen Bauernbundes, bewirtschaftet mit seiner Familie in Irdning einen Hof. Er machte auf die Spannungsfelder aufmerksam, in dem sich die bäuerlichen und fortwirtschaftlichen Betriebe heute bewegen. Österreich und die Steiermark seien einen anderen Weg gegangen, viele können von der Landwirtschaft leben. „Ein ökosozialer Weg kann ein Ansatz für die Zukunft sein, um die soziale und ökologische Verantwortung wahrzunehmen, ohne die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu vergessen, innerhalb derer wir uns bewegen“, griff Titschenbacher eine Überzeugung des ehemaligen ÖVP-Obmannes Josef Riegler auf.

Die Zahl der Höfe hat sich in den letzten Jahrzehnten halbiert, wobei es ein Nord-Süd- sowie ein Ost-West-Gefälle gibt. „Unsere Aufgabe als bäuerliche Interessensvertretung ist es, die Familienbetriebe zu begleiten und Wertschöpfung aus Produkten zu ermöglichen. Unsere Genossenschaften spielen dabei eine wichtige Rolle, aber auch die Ausbildung der Jugend und lebensbegleitendes Lernen. Wissenschaft und Forschung spielen beim Thema Klimawandel eine wesentliche Rolle. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit die Betriebe eine Zukunft haben.“

Bäuerinnen und Bauern erbringen Leistungen, für die Ausgleichszahlungen legitim sind. Bis 1995 gab es ein völlig anderes Regelwerk, damals gab es starke Reglementierungen, sondern die Ausgleichszahlungen erfolgten über Verarbeitungsbetriebe. Mit dem EU-Beitritt wurde der freie Personen- und Warenverkehr eingeführt, das Produkt kann seither nicht mehr direkt gefördert werden, dafür aber die Betriebe. Erschwerte Bedingungen werden dabei besonders berücksichtigt, ebenso Leistungen zum Schutz der Umwelt. Mehr als 90 Prozent der Flächen in Österreich fallen darunter.

In der anschließenden Diskussion wurde die Meinung vertreten, dass das alte Fördersystem besser gewesen sei als jenes der EU.

 

Dipl.-Ing.in Katharina Varadi-Dianat ist Obfrau der ARGE Streuobst und Gemeinderätin der KPÖ in Trofaiach. Die ARGE Streuobst ist eine NGO, die sich für die Erhaltung der Obstsortenvielfalt einsetzt und den hochstämmigen Obstbau, also ohne Netze wie in der Ost- und Südsteiermark, fördert. Die Streuobstwiese ist nicht nur ein Wohlfühlfaktor für die Menschen und gleichzeitig Landschaftspflege, sie bietet auch zahlreichen Arten eine Heimat. Allerdings: „Für einen Kilo Äpfel bekommen wir 6 Cent. Von einem Baum ernten wir 150 Kilo, also etwa 6 Euro pro Baum, manchmal auch nur drei Euro. Das deckt oft nicht einmal die Transportkosten,“ sprach Dianat die wirtschaftlichen Schwierigkeiten an.

In der Steiermark konnte das Bauernsterben relativ gering gehalten werden. „Wir sind ein Berggebiet, dadurch sind die Förderungen höher. Viele Betriebe werden durch unbezahlte Arbeit innerhalb der Familie querfinanziert. Ich liebe meinen Beruf, aber wir Bäuerinnen und Bauern können oft nur von EU-Förderungen leben. Dadurch sind wir aber auch umfangreichen bürokratischen Regeln unterworfen“, so Dianat, die auch Hühner und Schafe hält. Gefördert werden unter anderem die Flächen, die Erhaltung alter Haustierrassen, erosionsschützende Maßnahmen. Je größer der Betrieb, desto mehr Förderungen gibt es. „Ich bekomme 8000 Euro Förderung, das sind 85 % des Einkommens aus meiner Landwirtschaft. Davon kann man nicht leben!“

Wenn Fläche gefördert wird, führt das zu einem Strukturwandel hin zu größeren Betrieben. Die Steiermark ist noch eine „Insel der Seligen“, aber langfristig werden auch bei uns immer weniger Betriebe immer größere Flächen bewirtschaften. „Als Konsumentin ärgere ich mich, wenn mir die Verantwortung umgehängt wird. Nicht jeder kann sich die Entscheidung, teurere Bio-Produkte zu nehmen, leisten.“

Es ist nicht Aufgabe der Bauern und auch nicht der Konsumenten, die Preise zu stützen. Es ist Aufgabe der Politik, dass die Betriebe leben können und die Menschen sich die Produkte leisten können.

Veröffentlicht: 26. April 2019

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