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Ãœber den Oktoberstreik 1950 in der Steiermark

Artikel von Heimo Halbrainer (Korso)

Zwischen 26. September und 5. Oktober 1950 kam es zum größten Streik der Zweiten Republik, der rasch zum  â€žkommunistischen Putschversuch“ uminterpretiert wurde. Bereits eine Woche nach dem Ende des Streiks berichtete am 12. Oktober Bundeskanzler Leopold Figl dem Nationalrat: „Die Aktion der Kommunistischen Partei war Monate vorher sorgfältig und bis in alle Einzelheiten vorbereitet worden … Das Tun und Treiben der Kommunisten hatte nur das eine Ziel, die österreichische Wirtschaft und damit den Wiederaufbau zu zerstören und zu vernichten, um so die Voraussetzungen für die Machtergreifung des Kommunismus in Österreich zu schaffen.“ 

Was war da vor 60 Jahren in Österreich und v.a. in der Steiermark los? Stand Österreich tatsächlich vor einer kommunistischen Machtübernahme, wie der ehemalige ÖGB Präsident Franz Olah noch bis zu seinem Tod und einige wenige bis heute behaupten? Vorgeschichte: Seit dem Ende des Weltkriegs hatte sich bis 1950 die Wirtschaft nicht nur normalisiert, sondern die Produktion übertraf in einigen Bereichen bereits den Stand von 1937. Demgegenüber betrug der Reallohn nur rund 50 Prozent von 1937. Um den geringen Lohn konnte man sich noch dazu immer weniger kaufen, da die Preise ständig stiegen. Zur Eindämmung der von der Steigerung der Preise und dem jeweiligen Nachziehen der Löhne ausgehenden Inflationsentwicklung wurden ab Sommer 1947 insgesamt fünf Lohn- und Preisabkommen geschlossen, die von Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelt wurden. 
Diese regelten das Verhältnis von Löhnen und Preisen und dienten als Instrumente zum Bremsen der Lohnsteigerung und damit der Kaufkraft. Für die Arbeiterschaft bedeutete jedes Lohn-Preis-Abkommen sinkende Reallöhne, da die Preise den Löhnen „davonliefen“. Daher rief jedes dieser Abkommen auch Widerstand seitens der ArbeitnehmerInnen hervor.
 

Widerstand

So war es am 20. August 1948 zunächst in Donawitz und später auch in anderen Teilen der Obersteiermark zu einer großen Protestaktion gekommen, die sich unmittelbar vor dem Abschluss des zweiten gegen die Auswirkungen des ersten Lohn-Preis-Abkommens richtete. Dabei wurde seitens der Regierenden erstmals jene Dramaturgie angewandt, die es zwei Jahre später leicht machte, den Oktoberstreik als „kommunistischen Umsturzversuch“ zu denunzieren: Nachdem im August auf der Konferenz der Gewerkschafts-Vertrauensmänner eine mit 15. September befristete Forderung einer 25-prozentigen Lohnerhöhung auf Kosten der Unternehmerprofite gestellt worden war, damit die Löhne an die Preise einigermaßen angeglichen würden, tauchten Anfang September angeblich geheime Informationen über einen kommunistischen Umsturz – von der Steiermark ausgehend – auf. Die Neue Zeit, die Zeitung der steirischen SPÖ, wusste, wie sie ihren Leserinnen und Lesern am 12. September mitteilte, Genaueres von einer streng geheimen „Kominformanweisung Nr. 46-49-27/36“: „Die paar Kominformjünglinge spielen dieser Tage den großen Generalstab der Ultimationspartei. Sie heckten etwa folgenden Plan aus: Einige (ferngelenkte) Frauen sammeln sich in Kapfenberg „spontan“, demonstrieren für etwas, für das heute jeder Mensch in Österreich – außer ein paar Schiebern und Schmarotzern – (sagen wir für eine bessere Ernährung) demonstrieren wollte. Dabei gehen irgendwo ein paar Scheiben in Trümmer, denn das schafft Erregung in der Menge und könnte Organe der Exekutive zum Einschreiten zwingen. Spontan sammeln sich immer mehr Menschen an und der Wirbel geht los. Irgendwo muss ein schussartiger Laut hörbar werden, damit das Gerücht Nahrung findet, die Exekutive schießt auf Arbeiter. Mit Windeseile (getragen auf KP-Motorrädern) verbreitet sich das Gerücht über das ganze obersteirische Industriegebiet.“ 
Parallel zu dieser Einschüchterungspropaganda wurden 158 Arbeiter aus Kapfenberg, denen man vorwarf, dass sie zum Streik aufgerufen hatten, gekündigt. Als der Sekretär der Metall- und Bergarbeitergewerkschaft Alfred Setscheny diese beim Einigungsamt vertreten wollte, wurde er seiner Gewerkschaftsfunktion enthoben. Der 15. September verstrich, und zwei Wochen später wurde das zweite Lohn-Preis-Abkommen, das eine sechsprozentige Lohnerhöhung vorsah, abgeschlossen. 
 

Graz: 12.000 ArbeiterInnen demonstrieren. 

Seit Anfang August 1950 gab es in vielen großen Betrieben der Steiermark eine Lohnbewegung, die 15 Prozent Lohnerhöhung forderte und breite gewerkschaftliche Unterstützung erhielt. Als am 22. und 23. September nach wochenlangen Geheimverhandlungen das Ergebnis des vierten Lohn-Preis-Abkommens im Rundfunk und in den Zeitungen bekannt gegeben wurde, sahen sich große Teile der Arbeiterschaft von der SPÖ- und Gewerkschaftsspitze trotz der ausgegebenen Losung „Abgeltung auf Heller und Pfennig“ auf Grund der bisher gemachten Erfahrungen betrogen. Daher kam es am Montag, dem 25. September, in Niederösterreich, Oberösterreich und Wien zu spontanen Arbeitsniederlegungen, von denen auch die KPÖ, die gegen die „Geheimpackelei“ zwischen Regierung, ÖGB, Landwirtschafts- und Wirtschaftsvertretern opponiert hatte, genauso überrascht wurde wie die Spitzen in der SPÖ und im ÖGB. Während sich die KPÖ sofort hinter die Streikenden stellte, sahen die Vertreter der ÖVP und der SPÖ sich gezwungen, korrigierend einzugreifen, denn die Arbeitsniederlegungen wurden fast überall auch von Sozialisten, Parteilosen und dem VdU mitgetragen. 
Am Dienstag hatte sich in einigen Teilen Österreichs der Streik ausgeweitet, während er in der Steiermark erst langsam anlief. So legte am Morgen die Belegschaft der Maschinenfabrik Andritz die Arbeit nieder. Am Nachmittag folgten die Puchwerke und Simmering-Graz-Pauker. Andernorts wurden lediglich erste Betriebsversammlungen abgehalten. Zu Arbeitsniederlegungen kam es dann am nächsten Tag, wie beispielsweise in Donawitz, wo – wie die Neue Zeit meinte – die Kommunisten einfach den Hauptschalter des Werkes abgeschalten hätten. Bei einer Betriebsversammlung wurde vorerst nur ein befristeter Streik bis 22 Uhr beschlossen, da man die für Samstag, 30. September, geplante gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz in Wien abwarten wollte. Zudem wurde eine Delegation für die gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz in Wien gewählt. Danach zogen die Streikenden in die Stadt, wo sie die Forderungen der Arbeiterschaft vor der Arbeiterkammer und der Bezirks-
hauptmannschaft vortrugen. Ähnliche Szenen spielten sich auch in Fohnsdorf, Kapfenberg, Voitsberg und Graz ab, wo die Maschinenfabrik Andritz, die Puchwerke, die Harlander Papierfabrik, die Juniorwerke, die Glasfabrik Gösting und zahlreiche kleinere Betriebe bestreikt wurden und rund 12.000 Arbeiter in einem Sternmarsch in die Stadt marschierten, um am Freiheitsplatz eine Kundgebung abzuhalten. 
 

Die Forderungen

Während in Donawitz am Donnerstag wieder gearbeitet wurde, wurde in Graz der Streik in fast allen Betrieben fortgesetzt. Vertreter der streikenden Betriebe konferierten an diesem Tag auf Vorschlag des sozialistischen Betriebsratsvorsitzenden von Puch im ÖGB-Haus, bis sie am Nachmittag von der Polizei festgenommen wurden. Ein sozialistischer Gewerkschaftssekretär hatte die Polizei gerufen, da er – wie er angab, im Haus „Kommunisten und mir Unbekannte“ gesehen habe und er meinte: „Es handelte sich also eindeutig um einen Putschversuch, der wie in Linz vom VdU unterstützt wurde.“
Auf der samstägigen gesamtösterreichischen Betriebsrätekonferenz in Wien, an der über 2.400 Personen teilnahmen, wurden diesmal keine politischen Forderungen gestellt, sondern nur Beschlüsse wirtschaftlicher Art gefasst: „1.) Zurückziehung der Preiserhöhungen oder Verdoppelung der im Abkommen vorgesehenen Erhöhung der Löhne, Gehälter, Pensionen, Renten, Kinderzulagen usw. bei aller Steuerfreiheit für die gesamten Erhöhungen. 2.) Keinerlei weitere Preiserhöhungen – gesetzlicher Preisstopp. 3.) Keine weitere Schillingabwertung.“
Der Regierung wurde bis 3. Oktober ein Ultimatum gestellt, zu diesen Forderungen Stellung zu nehmen. Falls bis dahin keine positive Antwort getroffen werde, fordere die gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz „alle österreichischen Arbeiter und Angestellten auf ... ohne weitere Aufforderung am Mittwoch den Streik in ganz Österreich zu beginnen“.
 

Die Spaltung

„Plan 3“ abgesagt. Auch auf der „anderen Seite“ kam es in Wien und den Landeshauptstädten zu Besprechungen und Vorbereitungen für den 4. Oktober. Dabei wurden die bereits aus früheren Auseinandersetzungen bekannten Parolen von der „Gefahr für die österreichische Demokratie“ und vom drohenden „Kommunistenputsch“ ausgegeben. Die für Samstag, den 30. September, in Wien geplante gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz wurde als „Schwindelkonferenz der Kommunisten“ denunziert. Und wie bereits erfolgreich erprobt, tauchte am Tag des geplanten neuerlichen Streikbeginns, am Mittwoch, dem 4. Oktober, in der Arbeiter-Zeitung folgende Nachricht auf: „Plan 3 abgesagt – knapp vor Blattschluß erfuhren wir, daß das ZK der KPÖ eben die vertrauliche Weisung herausgegeben hat: Plan 3 ist abgesagt.“ Das Konzept, die Forderungen der Arbeiterschaft durch Putschverdächtigungen zu diskreditieren und die Protestbewegung zu spalten, indem man sie als Handlanger fremder Interessen bezeichnete, konnte diesmal überregional erfolgreich angewandt werden. Da half es nichts, dass noch am gleichen Tag eine Erklärung des Zentralkomitees der KPÖ veröffentlicht wurde, in der die „phantastischen Lügen über Umsturz- und Putschpläne der Kommunisten“ zurückgewiesen wurden. 
In vielen Betrieben war für den 4. Oktober der Werkschutz mobilisiert worden, und der Gewerkschaftsführer Franz Olah rekrutierte 2.000 Bauarbeiter. Gendarmerie wurde in den westlichen Zonen zusammengezogen. 
Nach dem Ablauf des Ultimatums war durch die Unterbrechung des Streiks sowie angesichts der Gegenmaßnahmen der Schwung der Bewegung verloren gegangen. Nur mehr in wenigen Betrieben, die Träger der Streikbewegung im September gewesen waren, wurde gestreikt. Lediglich in Wien und Niederösterreich war die Streikbewegung in den USIA-Betrieben größer geworden. Dafür ging es nun aber stürmischer zu: So besetzten Streikende vorübergehend Bahnhöfe, blockierten in Wien den Straßenbahnverkehr und warfen an einigen Stellen leere Straßenbahnwagen um und errichteten Sperren aus LKW. Und Olah setzte seine Bauarbeiter gegen Streikende ein und wurde zum Helden der Niederwerfung des angeblichen „Kommunistenputsches“, zum „Retter des Landes vor der kommunistischen Bedrohung“. Bereits in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war klar geworden, dass der Streik gescheitert war. Streikende Betriebe in den westlichen Zonen wurden von der Gendarmerie besetzt und Betriebsräte, die für die Weiterführung des Streiks eintraten – wie in der Steiermark nur noch in Fohnsdorf und Donawitz – wurden verhaftet.

In Donawitz

In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober begaben sich in Donawitz die kommunistischen Betriebsräte Franz Petz und Sepp Filz zu den Hochöfen, wo sie die versammelten Arbeiter zum in Wien beschlossenen Streik aufforderten. Nach dem Streikbeschluss sorgten sie dafür, dass Maßnahmen ergriffen wurden, damit den Hochöfen kein Schaden erwachse und jener Hochofen, der erst angeblasen wurde, nicht bestreikt werde. Auch in anderen Abteilungen wurde in der Folge der Streik beschlossen, ehe Filz und danach alle anderen, teilweise gar nicht im Betrieb befindlichen, sondern zu Hause schlafenden kommunistischen Betriebsräte verhaftet und ins Grazer Landesgericht überstellt wurden. Die fünf zur Zeit der Verhaftung im Betrieb anwesenden Betriebsräte wurden zudem fristlos entlassen.
Mit der Verhaftung der 12 Betriebsräte war der Versuch, den Streikbeschluss in Donawitz umzusetzen, beendet. Am Abend des 5. Oktober wurde bei einer Sitzung der Exekutive der gesamtösterreichischen Betriebsrätekonferenz der Streik-
abbruch beschlossen. 

Am 6. Oktober titelte die Neue Zeit „Vereitelte Sabotage in Donawitz. Zehntausende Arbeiterfamilien sollten arbeitslos werden. Die Verbrecher hinter Schloß und Riegel. Kein Pardon den Terroristen! Ein teuflischer Plan: Hochöfen stillegen!“ und berichtete, dass 185.000 Bauarbeiter, davon 22.000 in der Steiermark, durch diesen Sabotageversuch bei den Hochöfen arbeitslos geworden wären. Und im Parlament sagte Bundeskanzler Figl im Zusammenhang mit der Diskussion über den Streik: „Was war das anderes als nackter, brutaler Terror? … Der infame Anschlag in Donawitz gegen die Hochöfen bedeutet wohl den Höhepunkt des hochverräterischen Treibens an Österreichs Wirtschaft.“
 

Nachgeschichte

Gegen die Donawitzer Betriebsräte wurde die Voruntersuchung wegen Hochverrat, böswilliger Sachbeschädigung fremden Eigentums und Sabotage eingeleitet. Nachdem aber auch der Direktor des Betriebs bei der gerichtlichen Einvernahme angab, dass die vorgebrachten Anschuldigungsgründe „meiner Meinung nach in den gegenständlichen Fällen keineswegs vorliegen“, wurden sie am 17. bzw. 18. Oktober wieder auf freien Fuß gesetzt. Die fristlos entlassenen Betriebsräte wurden erst wieder Ende Dezember eingestellt. 
Die Mär vom „kommunistischen Anschlag auf die Hochöfen“ aber hielt sich teilweise bis heute.

Heimo Halbrainer  

Korso, Oktober 2010

Veröffentlicht: 28. September 2015

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