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Thomas Kukovec: Mein Libanon-Tagebuch (Auszüge)

Augenzeugenbericht aus dem bombardierten Beirut

Libanon Tagebuch 2006

Von Thomas Kukovec

From the kids of Israel to the kids of Lebanon

Heute ist der erste Tag an dem ich schon um 20:30 zu Haus bin. Hab wieder einmal für ca. 40 Stunden nicht geschlafen. Es ist viel zu tun. Sehr viel...
Ich war am Donnerstag, dem 13. Juli am Flughafen Wien. Ich hatte ja schließlich einen Flug gebucht gehabt. Als mir die Dame am Ticket Counter gesagt hat das es keine Flüge nach Beirut mehr gibt, da war ich sehr verärgert und fragte warum? Sie sagte, wegen der Situation.
(...)
Ich landete dann über Umwege in Syrien und nahm dann ein völlig überteuertes Taxi von Damaskus nach Beirut. Es war schon spät in der Nacht als wir in Damaskus landeten. Ich stieg in das Taxi und auf einmal wurde mir übel. Kotzübel. Ich übergab mich vier mal. Das ist mir vorher noch nie passiert. Aber vorher ging ich auch noch nie bewusst in ein Kriegs zerrissenes Land. Wie sich herausstellte hatte ich Glück! Viel Glück! Zwei Stunden später wurde die Strasse Beirut – Damaskus bombardiert. No way any more...

Alle Pläne für einen schönen Sommer sind dahin… Aber was sollte ich machen. Meine Freunde, meine Freundin, alle Leute, die mir was bedeuten, waren im Libanon. Ich konnte einfach nicht anders – ich musste einfach hin!

Wir schlossen uns spontan zusammen und arbeiten nun in Schulen im sicheren Nordbeirut, wo Flüchtlinge untergebracht wurden. 30000 in den ersten Tagen. Und es nimmt kein Ende. Werden immer mehr...

Ich hab bis jetzt noch nicht alles realisiert, aber das ist auch gut so... Hab wenigstens einen klaren Kopf für die Hilfsarbeit. Bin rund um die Uhr im Einsatz und hab in der letzten Woche vielleicht... ich weiß nicht.... vielleicht 16 Stunden geschlafen. Entweder war ich über Nacht in einer Schule oder hab eine Freundin trösten und umarmen müssen, die fast jede Nacht einen Nervenzusammenbruch hat, weil ihre Eltern in den bombardierten gebieten Leben. Ich hab noch nie vorher einen Nervenzusammenbruch erlebt. Ist kein schöner Anblick... Jedes mal wenn man eine Bombenmeldung hat, bricht sie zusammen. Ich muss sie umarmen und Scheiße...... Jetzt bombardieren sie wieder. Stromausfall... muss jetzt mit dem Akku weiterschreiben....

Wo war ich stehen geblieben...? Ach ja – Ihre Eltern haben das Telefon abgehoben und sagten, dass alles ok ist. Gott sei Dank. Hab meine Freundin die ganze Nacht umarmt. Konnte nicht schlafen. War froh wenn sie einen Schlaf bekommt. Und am nächsten Tag wieder raus.

..... Jetzt bombardieren sie gerade wieder. Es ist 21:59.... scheint so als ob die Bomben immer lauter und näher werden, aber ist nur Einbildung sagen meine Freunde - die müssen es ja wissen... ist nicht ihr erster Krieg.... Jets hört man über der Stadt... und die Anti Flugabwehr! Und die israelischen Schlachtschiffe am Meer. Ist nicht so wie im Fernsehen... ist anders! Man gewöhnt sich schnell daran. Die Gewissheit, dass die Bomben nur in den Southern suburbs of Beirut fallen, ist eine Hoffnung an die man sich klammern kann. Weiß nicht, vielleicht hab ich meinen Nervenzusammenbruch erst zu Hause... Who knows? Aber jetzt muss ich für die anderen da sein.
Teil 2

Im TV haben sie gerade israelische Nachrichten gezeigt. Dort sieht man israelische Soldaten, die ihren Kindern die Panzer und die Bomben zeigen und den Kindern erlauben etwas auf die Bobmen zu schreiben, was in Worte einfach nicht zu fassen ist. Einfach unglaublich. Mir kommen ernsthaft die Tränen und ich weiß einfach nicht was ich dazu sagen soll – seht ihr vielleicht auch diese Bilder im TV?

Die Kinder schreiben mit Buntstiften folgendes auf die Bomben: „From the kids of israel to the kids of Lebanon“ – könnt ihr das glauben?
Waren heute einmal aus... tranken Bier und hatten gutes Essen. Ist nicht so, dass es nichts mehr gibt – Straßenleben ist ganz normal im nördlichen Beirut. Da ist ein saying: „Es wird nie Frieden im Libanon geben, aber die Stadt stirbt nie!“ Warum auch??? Das leben geht weiter.

Haben heute das erste mal ein "medical team" in den Süden geschickt – ein paar „medecins sans frontieres“ waren auch dabei – arbeiten mit einem Team zusammen, das aus Belgien kommt –aber bisher nur drei. Zwei Ärzte und eine Schwester! Zu wenig! Wo sind die anderen???? Viele sagen: "geht nicht dort hin" – „Only bombs go south!“ und außerdem wurden 2 Journalisten schon verhaftet, weil sie kein „press ID“ hatten. Man vermutet hinter jeder Kamera schon israelische Spione – hab meine Kamera zu hause gelassen! Leider!!!

Bin sehr damit beschaeftigt, meine Eltern zu beruhigen, anstatt einmal in Ruhe nachzudenken. Die machen sich sorgen, weil die Medien so viel lügen - nur um ihre Schmierblätter zu verkaufen (Krone, Kleine und natuerlich der ORF – horrible!!!!)

Bisher 400 tote ZivilistInnen – viele kinder! (170, wenn ich mich nicht irre) – Bitte glaubt mir!!! Ich lüge nicht - ist wahr!!!! Hör in den oesterreichischen Medien nur von israelischen toten – Das muss ein Ende finden!!!
From the kids of israel to the kids of lebanon – warum sagt dagegen keiner was??? WARUM NICHT !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Why no – why not – why not – warum nicht!!!!!!! Tut was – handelt! Springt über euren Schatten! Die Grünen sind nicht mehr links, die Sozis haben mit Kreisky den letzten Helden verloren.
Ich bleibe im Land, obwohl Tausende das Land verlassen.
Unsere Fenster sind die ganze Zeit offen! Müssen wir offen halten! Ist ein Trick, den ich hier gelernt habe – wenn die Druckwelle von den Bomben kommt, wird sonst das Glas kaputt! Selbst die Autofenster sind immer offen, hehe.. Jedes Mal, wenn eine Bombe fällt gehen in der ganzen Stadt die Alarmanlagen der Autos los.

Wisst ihr, was mich ärgert: Während wir uns den Arsch aufreißen, um armen Flüchtlingen aus dem Süden zu helfen, werden reiche verwöhnte Westler mit Luxusjachten aus dem Land geschleust und machen eine Riesenszene im TV, wenn sie in Deutschland ankommen... Warum? Ihnen geht’s eh gut!!! Entschuldigt, aber ist doch wahr! – hier nennen wir diese Flüchtlinge ironisch „refugee delux“. Denen wird eh alles in den Allerwertesten geschoben - müssen nur ihre Luxushotels verlassen. Das kotzt mich an – hab sie im deutschen TV gesehen! Schrecklich wie die sich in Szene setzen!

.... jetzt kracht´s gerade wieder draußen... Merk das gar nicht mehr...

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28. Juli 2006