NS-Zeit in der Steiermark: Wie die Menschen vernadert wurden
Neues Buch des Grazer Historikers Heimo Halbrainer erschienen
Denunziation in der Steiermark während der NS-Zeit
Zeithistoriker forschen nicht nur zu den großen Verbrechen und zum Widerstand in der NS-Zeit, sondern auch zu den "kleinen Tätern" im Alltag. Ein neues Buch informiert über Denunziationen in der Steiermark.
In der Steiermark gab es in der Nachkriegszeit 2.300 Verfahren wegen Denunziation. Oft haben die Opfer selbst nach 1945 ihre ehemaligen Denunzianten angezeigt oder die Polizei und Gerichte haben selbst Erhebungen durchgeführt. Heimo Halbrainer vom Verein CLIO für Geschichts- und Bildungsarbeit hat die Akten der Täter studiert. Er hat rund 600 Denunzianten gefunden, die von den Volksgerichten verurteilt wurden.
Stadt-Land-Gefälle
Der Historiker entdeckte ein "Stadt-Land-Gefälle". "In der Stadt war die Denunziation leichter als in kleineren Gemeinden, wo die Solidarität noch weiter verbreitet war. In Graz ist aufgrund der räumlichen Nähe mehr Denunziation festzustellen, aber auch aufgrund dessen, dass es am Land mehr Widerstand und mehr politisch anders Denkende gab", so Halbrainer im ORF-Radio.
Angezeigt: "Feindsender" hören und Hitlerwitze machen
Angezeigt wurde der freundschaftliche Umgang mit Zwangsarbeitern, oder das Abhören vom Feindsender BBC. "60 Prozent der Anzeigen in der Steiermark sind abfällige Äußerungen wie Hitlerwitze oder Witze über NSDAP", sagt Halbrainer. Eine nicht geringe Zahl der Anzeigen beruht auf dem Hören von Feindsendern. "Das hat oft auch innerhalb der Familie zu Konflikten geführt, wenn eine Frau einen Mann loswerden wollte, weil er sie geschlagen hat, dann war das eine Chance. Da gibt's ganz tragische Fälle."
"Lösung" privater Konflikte
Während der NS-Zeit gab es keine gesetzliche Pflicht, dieses "abweichende Verhalten" anzuzeigen. Vielmehr lag es oft im Eigeninteresse der Denunzianten. "Das waren keine Leute, die für die Gestapo gearbeitet haben, sondern ihre privaten Konflikte lösen wollten.", so Halbrainer. "Oft ist ein Brunnenstreit oder die lauten Kinder der Nachbarn ein Grund für die Denunziation gewesen."
Kein weibliches Phänomen
Für fast neun Prozent der Denunzierten endete die Denunziation tödlich, 53 Prozent mussten in Haft. Vor allem bei Frauen waren die Motive für die Denunziation privat, und nicht politisch begründet. Denunziation ist entgegen dem gängigen Vorurteil kein weibliches Phänomen. Zwei Drittel der Denunzianten in der Steiermark waren Männer, sie gehörten - so Halbrainers Studie - mehrheitlich der Unterschicht an.
Ulrike Schmitzer, Ö1 Wissenschaft, 17.10.07
Buch-Hinweis
Heimo Halbrainer: "Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant". Denunziation in der Steiermark 1938-45 und der Umgang mit den Denunzianten in der Zweiten Republik. Clio-Verlag 2007
Veröffentlicht: 18. Oktober 2007