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NACHRUF Helmut Frisch

Zum Tod des "Staatsschuldenprofessors"

Zum Tod des „Staatsschuldenprofessors“:
Adieu, Helmut Frisch!

Du warst der Jüngste unter uns Halbwüchsigen. Aber wir lernten von Dir, was Marxismus ist. In Deinem Kopf hatten sich Philosophie, Ökonomie, die Analyse des Kapitalismus, das Bild einer sozialistischen Gesellschaftsordnung längst zu etablieren begonnen.

Nach Völkerball-Schlachten und Geländespielen unserer Gruppe von Kinderland/Junge Garde im Grazer Griesviertel verwickelten wir uns oft mit Dir in Diskussionen über den Dialektischen Materialismus und Du warst stolz darauf, uns überlegen zu sein. Ein paar Jahre später waren wir die kommunistischen Diskussionsteilnehmer beim monatlichen Jugendforum der steirischen Landesregierung: die Studenten Helmut Frisch und Peter Pölzl sowie die jungen Arbeiter Herbert Marek und Hubert Schmiedbauer. Mit der Freien Österreichischen Jugend verbrachten wir unzählige gemeinsame Tage bei Sport und Spiel, bei politischen Veranstaltungen und Aktionen oder als Wahlhelfer für die KPÖ. Und im Volkshaus der KPÖ in der Lagergasse hast Du an Deiner Dissertation über Schumpeter gearbeitet – in der Portierloge als Aushilfe angestellt, denn Deine Mutter und Dein Ziehvater waren nicht so begütert, Dir ein sorgenloses Studentenleben zu ermöglichen.

Dein Weg führte zur Fortsetzung Deiner Studien in Wien und in den USA. Bald trug Dein brillanter Kopf zwei Doktorhüte und schließlich die Würde eines Universitätsprofessors. Nur warst Du dann keiner von uns. Du hast die herrschenden Lehren nicht mehr als Lehre der Herrschenden begreifen können – als Lehre vom Funktionieren einer kapitalistischen Ökonomie, als Lehre von der optimalen Ausbeutung der Ware Arbeitskraft. Du wurdest einer von ihnen, hast Dich voll dem Denken des sogenannten Neoliberalismus verschrieben und in seinem Namen wichtige Funktionen und Ämter zu seiner Verwaltung und Rechtfertigung angenommen. In dieser Verstrickung ist Dir endgültig eine der Qualitäten aus der Jugendzeit verloren gegangen: das soziale Denken und Handeln, wie zum Beispiel an Deinen Konzepten als Vorsitzender des Staatsschuldenausschusses nachzuweisen ist.

So warst Du uns ein mehrfacher Lehrmeister. Erst als Initialzünder für unsere eigene Denkarbeit und als Herausforderung, mit Methoden einer materialistischen Weltanschauung umgehen zu lernen; dann als einer der vielen Beweise dafür, dass marxistisches Denken und Handeln nie zu Ende sein darf, dass die Einheit von Theorie und Praxis immer wieder neu errungen werden muss; und schließlich dafür, dass selbst der klügste Kopf, der gewiefteste Theoretiker seiner politisch-ideologischen Heimat samt den Menschen darin den Rücken kehren kann, um sich dort zu etablieren, wo es sich bequemer einrichten lässt.

Deine früheren Freunde und Genossen bedauern Dein allzu frühes Ende. Wohl auch deshalb, weil wir Deine Zusage für eine ausführliche Diskussion ernst genommen haben. Sie kam nicht mehr zustande. So bleiben uns nur viele schöne Erinnerungen und ein bitterer Nachgeschmack.

Adieu, Helmut!

Hubert Schmiedbauer

Veröffentlicht: 20. November 2006

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