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Mai 68: Erinnerungen und Reflexionen

Berichte aus ORF, Grazer Stadtblatt und korso

Die Grazer "Aktion"
Die ersten Grazer, die sich der Bewegung anschlossen, waren die Künstler, mit dem Forum Stadtpark und dem Literaturmagazin manuskripte. Der studentische Protest wurde vor allem von der Studentenvereinigung "Aktion" getragen.

Gegründet wurde die "Aktion" vom ehemaligen Chefredakteur der Tageszeitung "Der Standard", Gerfried Sperl:
"Graz war ein stilles Dorf"
In Graz blieb es aber bei wenigen Aktionen, sagt der steirische Soziologe Karl Acham: "Graz war ein stilles Dorf".

Aktiv waren nur wenige, die meisten wollten Verbesserungen an den Hochschulen und kamen aus bürgerlichen Haus, sagt Franz Stefan Parteder - er ist noch heute bei der KPÖ:
Im Kleinen demonstrierte man gegen den Schah von Persien, das griechische Militärregime, machte Comics und Flugblätter. Als Sühne für die Wiener Bewegung seilten sich etwa Studenten von der Hauptbrücke in die Mur ab und nahmen ein Büßerbad.

(orf on)

"Franz Stefan Parteder, heute KP-Chef, formulierte damals geniale Beatles-Übersetzungen, hatte aber auch - als Vorsitzender der Sozialistischen Studenten - natürlich die linke Rhetorik voll drauf".
(Gerhard Felbinger, Steirerkrone, 14. 5. 08)

Das Jahr 1968 und die „Alt-68er“

Es gibt weit mehr „Alt-68er“ als es im Jahr 1968 Aktivistinnen und Aktivisten der anti-autoritären Studentenbewegung gegeben hat.
Das gilt in besonderem Maße für Graz. Hier war die Bewegung besonders klein – und hier war und ist der Wunsch, sich mit dem Nimbus des „Alt-68ers“ zu schmücken, besonders groß.

Graz in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts: Das war eine Stadt, die in besonderem Maße von Kleinbürgerlichkeit und von den Restbeständen der Nazizeit bestimmt war. Nur ein Beispiel: Manfred Jasser, der Autor einer Hetzbroschüre aus dem Jahr 1938 über die „Stadt der Volkserhebung“ war wohlbestallter Redakteur des VP-Organs Südost-Tagespost. Auch an der Universität war es nicht besonders förderlich für das Studium, wenn man die Frage stellte, was der eine oder andere Ordinarius eigentlich während des „3. Reiches“ gemacht hatte.
Die später werbetechnisch vermarktete Avantgardeliteratur rund um das „forum stadtpark“ war zu einer gerade noch geduldeten Rand- und Nischenexistenz verdammt.
In dieser Situation war die Studentenbewegung in Deutschland und Frankreich der Anstoß dazu, auch in Graz einen Ausbruch zu versuchen.
Dabei bildeten sich rasch zwei Flügel in der kleinen Bewegung: Der größere von beiden verstand sich als bürgerlich-liberal und hatte keine Berührungsängste zur ÖVP, die in ihrer „steirischen Breite“ Ex-Nazis und Anti-Autoritäre in ihren Reihen versammeln konnte. Namen wie Gerfried Sperl, Fritz Kleiner, Gerd Wagner, Wolfgang Pumpernig oder Helmut Strobl gehören zu dieser Tendenz.
Der kleinere Teil, welcher sich als marxistisch oder neomarxistisch begriff, gruppierte sich um den VSStÖ und wurde stark von Studenten aus dem Iran oder Griechenland im antiimperialistischen Sinn beeinflusst. Von ihm gingen die ersten Demonstrationen gegen die Militärdiktatur in Griechenland oder gegen den Vietnamkrieg aus, die in Graz – mit Teilnehmerzahlen von 100 bis 200 - stattfanden. In diesem Zusammenhang sind Fritz Auer, Herbert Sebastian, Florian Fasching, Manfred Heindler,Walter Papousek, Helmut Popper, Derek Weber, Franz Stephan Parteder, Erwin Bader oder Ronald Gruber zu nennen.
Beide Strömungen fanden in der Forderung nach einer Demokratisierung der Hochschulen zusammen. Hier konnten auch bleibende Erfolge erzielt werden, inhaltlich und was Äußerlichkeiten betrifft. Durch ein Sit-In an der Uni konnte die Durchführung von politischen Diskussionen in den Hörsälen durchgesetzt werden. Es gab oft recht drastische Vorlesungskritiken („Krach-Krach Kracher, wann kracht es denn endlich?“ rief Gerd Wagner einem Germanistik-Ordinarius zu), die Verspottung der Rektorsinauguration und dergleichen.
Gemeinsam war uns auch der Antifaschismus, wobei wir auch direkte Aktionen gegen provokante Auftritte des Neonazis Norbert Burger (beispielsweise im Minoritensaal) durchführten.

Das alles spielte sich in einem kleinen Kreis ab, fand aber durch die Medien eine sehr große Resonanz. Die „Kleine Zeitung“ veröffentlichte beispielsweise eine Serie über die „rebellischen Söhne“ von Politikern. Und all das wurde durch die in der Tat gesellschaftserschütternden Ereignisse in Paris, Berlin oder Prag noch verstärkt.

1968 war auch in Graz ein kurzer Sommer, in dem alle TeilnehmerInnen an der Bewegung noch große Illusionen hatten. In Graz verlief sich die Bewegung sehr bald und nur sehr wenige fanden die Kraft, längerfristig an fortschrittlichen Organisationen wie der KPÖ mitzuwirken, welche – das muss leider gesagt werden – im Jahr 1968 nur eine Nebenrolle spielte.
Ich kann mich noch an die steirische Akademie 1968 im Schloss Eggenberg erinnern. Dort referierten Ernst Fischer (KPÖ) und Michael Scharang (VSStÖ) über Kunst und Politik. Ich war von Scharang fasziniert und schüttelte über Ernst Fischer nur den Kopf: „Was will der alte Knacker eigentlich bei und von uns?“ Das dachte ich damals. Heute (fast so alt wie Fischer damals) würde ich differenzierter urteilen.

Franz Stephan Parteder
(Grazer Stadtblatt)

Graz, Mai 1968

Graz, Mai 1968. Im Vorfeld des 1. Mai 1968 verteilten StudentInnen des Verbands Sozialistischer Studenten (VSStÖ) vor den großen Grazer Betrieben das Flugblatt „Es lebe der 1. Mai“, in dem es u.a. heißt: „Bei Elin werden zur Zeit 800 Arbeiter entlassen, bei Wagner-Biro bekamen hundert andere den blauen Brief. … Währenddessen veranstaltet man in Graz am 1. Mai, dem Kampftag der Arbeiter, eine unpolitische Maifeier von Magistrat und Gewerkschaft, d.h. gemeinsam von SPÖ, ÖVP und FPÖ. Werden so die Interessen der Arbeiter vertreten? Sehr viele Sozialisten, so auch wir, die sozialistischen Studenten, verfolgen diese Entwicklung mit Besorgnis. Wir können nicht am Tag der Arbeit mit den politischen Gegnern gemeinsam „feiern“. Gehst Du morgen auch zur gemeinsamen Maifeier der Unternehmer und der Arbeiter? Vergiß aber nicht, dem Unternehmer die Hand zu schütteln! Wir fordern von unserer Sozialistischen Partei, dem Klassenkampf von oben den bewussten Widerstand für die Sache der Arbeiter und Angestellten entgegenzusetzen!“ Gleichzeitig hissten Mitglieder des VSStÖ am Parteihaus der SPÖ in der Hans-Resel-Gasse die Vietcong-Fahne.

Eine weltweite Bewegung. Was in Graz mit dem Hinauswurf der Sozialistischen Studenten aus dem Parteihaus endete, fand dieser Tage, Wochen und Monate allerorts in ähnlicher Weise statt, denn 1967/68 war „Weltrevolution der Studenten“. In den USA, Frankreich, Deutschland, Italien, in der Tschechoslowakei, Polen, Japan, Mexiko und anderen Ländern mehr protestierten StudentInnen unter anderem gegen den Vietnamkrieg und für eine Verbesserung der Studienbedingungen, gegen das veraltete Bildungswesen und für eine Demokratisierung der Hochschulen, gegen Kriminalisierung des Sex u.a.m.
Den ersten Höhepunkt erreichte die 68er-Bewegung in Frankreich, wo es im „Pariser Mai“ ab dem 3. Mai zu Straßenschlachten im Quartier Latin kam, nachdem die Polizei die von Studenten besetzte Pariser Sorbonne geräumt und Hunderte Studierende verhaftet hatten. Als die Polizei in der „Nacht der Barrikaden“ vom 10. auf den 11. Mai mit brutalen Mitteln vorging und Hunderte verletzt und verhaftet wurden und auch Gerüchte über Tote kursierten, solidarisierten sich die Arbeiter und fast alle Gewerkschaften riefen zum Generalstreik auf. Millionen Arbeiter streikten und legten bis Ende Mai 1968 fast die gesamte französische Wirtschaft lahm.

Demokratisierung des Bildungswesens. Die Studentenproteste des Mai 1968 und das, was heute als „1968“ begriffen wird, war aber mehr als nur die zwölf Monate dieses Jahres; auch in Graz. So wurde in Graz schon 1967 gegen veraltete Strukturen und für eine Demokratisierung des Bildungs- und des Hochschulwesens gekämpft. Vor allem die um den damaligen Vorsitzenden der Hochschülerschaft Gerfried Sperl gegründete Aktion, eine Reaktion auf den von CV und KV – den Kartellverbänden der katholischen Burschenschaften – beherrschten konservativen Wahlblock, war es, die mit Einsatz von Witz und symbolischen Handlungen politisch Akzente gegen übervolle Hörsäle und für eine Hochschulreform und anderes mehr setzte und dies auch mit der Übersiedelung von Bernhard Frankfurter an die Universität Wien trug. So riefen Mitglieder der Aktion und des VSStÖ für den 7. November 1968 zur „Inauguration des Studens Magnificus“, bei der eine Klopapierrolle den Samtteppich und Bananen die Rektoratskette ersetzten, was heftige Proteste der Burschenschaften provozierte. Damit die richtige Inauguration des Rektors nicht gestört werden konnte – der Ruf „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“ wurde allerorts skandiert –, wurden präventiv „potentielle Unruhestifter“ verhaftet – damit waren die „Aktionisten“, der nachmalige Kulturstadtrat Helmut Strobl, der heutige Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Universität of California, Matthias Wabl, oder der inzwischen verstorbene Wolfgang Pumpernig gemeint.

Auch in Graz zentral: Der Protest gegen den Vietnamkrieg. Was für ein Klima 1967/68 an den Grazer Universitäten herrschte bzw. wie schwierig es war, hier politische Diskussionen zu führen, zeigt sich schon allein darin, dass jede politische Betätigung an der Universität – ausgenommen waren nur die Aufmärsche der Burschenschaften – verboten war. Selbst das Verteilen der offiziellen Zeitung der Hochschülerschaft wurde verboten, wobei neben einem prinzipiellen Verbot der Rektor im Herbst 1967 dies zudem damit begründete, dass die darin abgedruckte Kondom-Werbung „unanständig und daher eines Akademikers unwürdig“ sei.
Neben hochschulpolitischen Themen versuchten die Grazer Studenten ähnlich wie in Berlin und anderen Städten mehr auch allgemeinpolitische Themen zu diskutieren. Sie demonstrierten gegen Otto Habsburg, der auf Einladung der Kartellverbands-Verbindung Suevia in Graz referierte und organisierten eine Plattform und Kundgebungen gegen die Obristendiktatur in Griechenland. Zentral war über Jahre hinweg der Protest gegen den US-Imperialismus in Vietnam. Als der ÖVP-Akademikerbund am 18. Mai 1967 zu einem Vortrag des US-Presseattaches über „Vietnam – schmutziger Krieg oder politische Notwendigkeit“ lud, musste die Veranstaltung wegen fortwährender Störung abgebrochen und der Saal geräumt werden. Vor der Veranstaltung hatte der VSStÖ ein Flugblatt verteilt, in dem es hieß: „Der Krieg in Vietnam ist ein amerikanischer Aggressionskrieg! Nicht „Freiheit und Demokratie“ verteidigen die USA in Vietnam, sondern die brutalen Interessen des amerikanischen Imperialismus! Der amerikanische Krieg in Vietnam ist Völkermord! Wir stören heute Ihren Vortrag und wollen ihn verhindern – nicht, weil wir keine Argumente haben, sondern weil wir der Meinung sind, dass es über Mord und Völkermord nichts zu diskutieren gibt.“

Verbindungen zur Arbeiterbewegung. Aber nicht nur mit internationalistischen Solidaritätsbekundungen wollten die politisierten StudentInnen ihr Universitätsghetto durchbrechen, sie versuchten auch mit der Arbeiterschaft in Kontakt zu treten. Wie in der Bundesrepublik Deutschland, wo StudentInnen im April und Mai 1968 Institute besetzten und der SDS, der Sozialistische Deutsche Studentenbund, gemeinsam mit der Industriegewerkschaft Metall Demonstrationen gegen die Notstandsgesetzgebung organisierte, versuchten in Österreich, in Wien, aber auch in Graz, die StudentInnen Kontakte zu den Arbeitern herzustellen. In Wien beteiligten sich StudentInnen Ende April 1968 an einer Kundgebung gegen die Entlassung von ELIN-Arbeitern vor der ELIN Firmenzentrale und gründeten ein Aktionskomitee sozialistischer Arbeiter und Studenten. Und in Graz wurde vor dem 1. Mai das zitierte Flugblatt vor den Grazer Betrieben verteilt, das zu über 50 Parteiaustritten führen und den sozialistischen StudentInnen den Hinauswurf aus dem Parteihaus eintragen sollte.

Eine gespaltene Bilanz. Während für die Ereignisse in Graz eine umfassende Darstellung noch aussteht, liegt eine solche für Wien schon länger vor. Fritz Kellers eben wieder erschienenes Buch Wien, Mai 68. Eine heiße Viertelstunde zieht eine realistische Bilanz der österreichischen 68-er-Bewegung. Zum einen wurde in den folgenden Jahren eine Reihe von hochschulpolitischen Forderungen der Studierenden umgesetzt und erst in den letzten Jahren durch Schwarz/Blau wieder teilweise rückgängig gemacht. Viele der von ihnen selbst gesteckten Ziele sind aber gescheitert und jene 68er, die bei ihrem Marsch durch die Institutionen die Stufenleiter der Hierarchie hochgeklettert sind, haben diese Einrichtungen – denen sie 1968 den Kampf angesagt hatten – nicht wirklich erschüttert.
Fritz Keller attestiert gleichzeitig den 68ern aber, dass sie bei einer Reihe von gesellschaftlichen Entwicklungen, die in den Jahren vor 1968 bereits angelegt waren, als Verstärker gewirkt haben. So lässt sich ihr Einfluss u.a. bei der Schul-, der Hochschul- und Bundesheerreform, bei der Abschaffung des § 144 (Verbots der Abtreibung), der Justizreform und auf dem Gebiet der Heimerziehung nachweisen. Sie haben zudem das Feld bereitet für neue Initiativen, die sich im nächsten Jahrzehnt etablieren sollten: die Frauenbewegung, die Grün-Alternativen oder auch neue Formen der Jugendkultur.

Heimo Halbrainer

(Korso, Mai 2008)

13. Mai 2008