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KPÖ hat sehr positive Rolle für Verstaatlichte gespielt

Interview mit dem früheren Donawitzer Betriebsrat Karl Russheim

„Die größte sozialpolitische Errungenschaft war die Verstaatlichte“

Mit dem weitgehenden Verschwinden der ehemaligen verstaatlichten Industrie gerät auch die Pionierrolle der dortigen kommunistischen Betriebsräte für eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung zunehmend in Vergessenheit. Der neunzigste Jahrestag der Gründung der KPÖ soll auch der Anlass sein, an deren erfolgreiche, aber weitgehend unbedankte Tätigkeit zu erinnern. Dazu wurde mit dem langjährigen Betriebsrat, Zentralbetriebsrat, Mitglied des Zentralvorstands der Metallergewerkschaft, Aufsichtsrat der VOEST-Alpine und ehemaligen Obmann der KPÖ - Betriebsorganisation Donawitz, Karl Russheim, ein Interview geführt.

Karl, wann hast Du in Donawitz zu arbeiten begonnen?

Antwort: Wie mein Großvater und Vater auch, habe ich nach dem Ende meiner Lehre 1948 im Werk zu arbeiten begonnen. Nach dem Oktoberstreik 1950 wurde ich, wie viele andere Kollegen auch, gemaßregelt und entlassen. Am selben Tag trat ich der KPÖ bei. Ich habe dann mehrere Jahre bei der KPÖ-nahen Organisation „Kinderland“ in der Steiermark und schließlich in der Zellulosefabrik Hinterberg gearbeitet. 1953 wurde ich erneut eingestellt. Begonnen habe ich im Blechwalzwerk, danach habe ich bis zu meiner Pensionierung am Hochofen gearbeitet (das war 1986 - Anm. der Verf.)

Wann bist Du zum Betriebsrat gewählt worden?
Antwort: Das war 1955. Von da an bis zu meiner Pensionierung haben mich die Kollegen immer wieder gewählt. Ich gehörte darüber hinaus auch dem Zentralbetriebsrat und später auch dem Aufsichtsrat an. Dabei habe ich immer versucht, stets das Beste für die Kollegen im Werk herauszuholen. Von 1960 bis 1991 war ich auch Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der KPÖ.

Wie habt ihr Politik gemacht?
Antwort: Unsere Stütze im Werk war die Betriebsorganisation (BO) der KPÖ. Sie war die zweitstärkste BO in Österreich (die stärkste war die BO in der Wiener Polizei – Anm. d. Verf.) und hatte ca. 600 zahlende (!) Mitglieder, bei einem Höchststand von 6.600 Beschäftigten. Dazu hatten wir zahlreiche gewerkschaftliche Vertrauensleute in den Abteilungen sowie viele Kollegen, die uns bei Aktionen immer unterstützten. Da konnten wir natürlich rasch Leute mobilisieren.

Jeden Montag um 7 Uhr früh fand die Sitzung der BO-Leitung statt, anschließend traf sich unsere Betriebsratsfraktion. Da waren 25 bis 30 Genossen versammelt. Unsere Fraktion, das war die GE (Gewerkschaftliche Einheit) - aus ihr ging 1973 der GLB (Gewerkschaftlicher Linksblock) hervor - hatte bei den Arbeitern bis 1951 die Mehrheit im Betriebsrat verteidigen können, bei den Angestellten sogar bis 1955.

Die kommunistischen Betriebsräte haben in der Verstaatlichten immer wieder die Initiative für richtungsweisende Sozialgesetze ergriffen. Was habt ihr damals durchsetzen bzw. vorbereiten können?
Antwort: Die größte Errungenschaft für die Arbeiter war zweifellos die Verstaatlichung der österreichischen Schwerindustrie nach 1945. Auch wenn die kommunistischen Vorschläge dazu bei weitem nicht erfüllt wurden, so stellten diese Betriebe doch eine wirtschaftliche und sozialpolitische Macht dar. Dies äußerte sich in der Lohnhöhe der Arbeiter und Angestellten genauso, wie in einer fortschrittlichen Sozialpolitik.

Im Werk selber konnten wir bereits 1948 in einer Betriebsvereinbarung eine Woche Urlaubsgeld für Arbeiter durchsetzen. Österreichweit wurde diese Forderung erst im Urlaubsgesetz von 1976 festgeschrieben. Wir hatten auch schon einen Werksarzt, lange bevor dies gesetzlich vorgeschrieben wurde. Ebenso verfügten wir über ein eigenes Werksspital und viele andere soziale Einrichtungen.

Wir konnten eine Fahrtgeldentschädigung für alle Pendler durchsetzen und erreichten in Verhandlungen mit der Direktion und der ÖBB, dass extra Pendlerzüge zu den einzelnen Schichten geführt wurden.

Wir verfügten auch über eine eigene Wohnbaugesellschaft, die in der Zeit von 1950 bis 1990 ca. 2100 Wohnungen errichtete und damit zahlreiche Arbeiterfamilien mit günstigen Wohnungen versorgte.

Donawitz zahlte dank der Betriebsratsmehrheit der Kommunisten (bis 1951 bzw. 1955 – Anm. d. Verf.) die höchsten Löhne in Österreich, das hatte auch Auswirkungen auf die Privatindustrie – sie musste ebenfalls anständige Löhne zahlen, sonst hätte sie nicht genug Arbeitskräfte bekommen.

Ein großes Problem war die Schichtarbeit.
Antwort: Im Werk Donawitz arbeitet der größte Teil der Arbeiter im Schichtbetrieb und ist damit vielen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt. Besonders die Schichtarbeit in der Nacht hat den Kollegen ziemlich zugesetzt.

Deshalb stellte der Gewerkschaftlichen Linksblock (GLB) schon in den siebziger Jahren die Forderung auf, dass für 12 Monate Schichtarbeit-Nacht-Schwerarbeit 15 Versicherungsmonate in der Pensionsversicherung angerechnet werden sollen. Ebenso setzten wir uns für kürzere Schichten – bei vollem Lohn, längeren Erholungs- und Umstellungszeiten und Anpassung der Schichtzeiten an den normalen Lebensrhythmus, ein.

Um den notwendigen Druck zur Durchsetzung zu erzeugen, starteten wir in den Großbetrieben der Metall- und Chemischen Industrie (wo die Beschäftigten besonders von Schicht–Nacht–Schwerarbeit betroffen sind – Anm. d. Verf.) eine Unterschriftenaktion. Vielen Arbeitern und Angestellten wurden dadurch erstmals die unmenschlichen Bedingungen in ihrer Arbeitswelt voll bewusst. Wir konnten für unser Vorhaben insgesamt mehr als 20.000 Unterschriften sammeln.
Im August 1980 überreichte eine Delegation des Gewerkschaftlichen Linksblocks, der auch ich angehörte, diese Unterschriften Sozialminister Weißenberg. (Die anderen Delegationsmitglieder waren Rudolf Streiter (Zentralsekretär des Gewerkschaftlichen Linksblocks), Otto Konvalin (Betriebsrat bei Puch, Graz), Siegfried Pötscher (Betriebsrat b. d. VOEST-Alpine, Linz) und Franz Eigenbauer (Betriebsrat b. d. VOEST-Alpine Traisen – Anm. der Verf.)

Mit der Beschlussfassung des Schicht–Nacht–Schwerarbeitgesetzes im Jahre 1981 wurden die Forderungen aus der Unterschriftenaktion nur teilweise erfüllt. Das Gesetz blieb aber letztlich hinter den Erwartungen der Kollegen und den Forderungen der Kommunisten zurück.

Wie wurden von Euch die Fusion der Betriebe der VOEST und der Alpine im Jahre 1973 aufgenommen?
Antwort: Die GE und die KPÖ sind schon 1967 für eine Fusion aller Eisen- und Stahlunternehmen der Verstaatlichten eingetreten, um die Kapazitäten in diesem Bereich zu konzentrieren. Zusätzlich forderten wir einen schnellen Ausbau der Finalindustrie. Als der Zusammenschluss 1973 schließlich kam, bedeutete dies auch die Sicherung des Standortes Donawitz-Eisenerz und der anderen steirischen Alpine Standorte. Verschiedene Politiker äußerten immer öfters den Gedanken, den Standort Donawitz zu schließen und die Stahlerzeugung ausschließlich in Linz anzusiedeln. Der Hintergrund dieser Zusperrforderung war, dass es in Donawitz eine starke kommunistische BO gab, welche die Belegschaft immer wieder zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze mobilisierte. Mit dem Umzug nach Linz hoffte man diesen lästigen Klotz am Bein loszuwerden.

Mit der Fusion zw. VOEST und Alpine bist Du dann auch Mitglied im Aufsichtsrat geworden. Was konntest Du dort für die Arbeiter tun?
Antwort:
Unter anderem wurde im Aufsichtsrat die Frage diskutiert, ob in Donawitz eine Stranggussanlage gebaut werden sollte. Die Mehrheit im Aufsichtsrat, auch der SP-Betriebsrat, sprach sich jedoch für den Standort in Linz aus.
Ich habe damals dagegen argumentiert und gesagt, dass das Nichterrichten der Stranggussanlage in Donawitz den Standort gefährden würde und die Belieferung Donawitz mit Stahlknüppel (d. i. ein Stahlhalbzeug – Anm. d. Verf.) aus Linz finanziell sehr riskant ist und Donawitz darüber hinaus von Linz abhängig sein würde. Dann ist es richtig losgegangen: alle haben auf mich eingeredet, ich würde dadurch den Standort Linz gefährden.

Damals konnte ich mich mit meinen Argumenten nicht durchsetzen und so wurde die Errichtung der Stranggussanlage in Linz beschlossen. Allerdings wurden diese Pläne später nochmals durchgerechnet, dabei stellte sich heraus, dass ich mit meinen Bedenken doch richtig gelegen bin. Damit war dieses Vorhaben gestorben und die Anlage wurde tatsächlich in Donawitz gebaut.

Wie hast Du die Verstaatlichtenkrise miterlebt?
Antwort: Das war damals eine schwierige Zeit. Uns Arbeitern wurde in der Öffentlichkeit ständig vorgeworfen, dass wir durch unsere „unmäßigen Forderungen“ das Defizit in der Verstaatlichten verschuldet hätten. Das war natürlich eine Lüge, wir haben das immer klargestellt. Zugrunde gegangen ist die Verstaatlichte meiner Meinung aus drei Gründen: 1. Sie hat im Inland Eisen und Stahl weit unter dem Weltmarktpreis verkaufen müssen. 2. Sie durfte lange Zeit ihre Tätigkeit nicht in die Endfertigung ausweiten. 3. Spekulationsgeschäfte und – verluste (z. B. Intertrading,...) verursachten immense Verluste.

Bis Ende der siebziger Jahre benötigte die Verstaatlichte keinerlei Zuschüsse oder Hilfen; im Gegenteil, sie führte beträchtliche Einnahmen an das Bundesbudget ab.
In der Stahlkrise in den 80er Jahren haben alle betroffenen Staaten „ihrer“ Stahlindustrie mit Finanzmittel unter die Arme gegriffen. Die Deutschen ebenso wie die Briten, Italiener und Franzosen. Nur in Österreich wurde es versäumt rechtzeitig genügend Eigenmittel bereitzustellen. Die VOEST-Alpine musste daher ständig auf ihre Rücklagen und Kredite zurückgreifen, so dass sich das Eigenkapital ständig verringerte und notwendige Investitionen nur mehr durch Verschuldung finanziert werden konnten. Trotzdem wurden damals große Anstrengungen unternommen, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, ganz besonders im Maschinen- und Roboterbau. Dass einige Versuche nicht erfolgreich waren, ist nicht verwunderlich – das gibt es auch bei der privaten Konkurrenz und bei den multinationalen Konzerne genauso. Dass dann – nachdem die VOEST diese Projekte finanziert hatte – viele wieder zugesperrt wurden, war nichts anderes als eine Unterordnung unter die Interessen des privaten Kapitals. Man wollte für sich billig nutzen, was ins Konzept passte und zusperren, wo es Überkapazitäten oder Konkurrenz gab.

Unter den Bundeskanzlern Vranitzky und Klima ging es mit der Auslieferung der Verstaatlichten ans Auslandskapital dann richtig los. Dies war ja auch eine Vorleistung für den späteren EU-Beitritt Österreichs. Jedenfalls wurde damals die Verstaatlichte als Bastion der Gewerkschaftsbewegung zerschlagen, schließlich waren dort die Betriebe zu 100% organisiert. Von dieser Schwächung hat sich die österreichische Arbeiterbewegung bis heute nicht erholt, die geringen Lohnerhöhungen bei den heutigen KV (Kollektivvertrag – Anm. d. Verf.) -Abschlüssen sind ein deutliches Zeichen dafür. Mit der Entstaatlichung hat man auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit Österreichs aufgegeben. Heute gehören dem deutschen Kapital (wieder) große Teile der österreichischen Wirtschaft. Dadurch sind wir erneut zum Spielball der Spekulanten und multinationalen Konzerne geworden.

Vielen Dank für das Interview

Das Gespräch führte Mag. Alexander Dinböck (KPÖ-Bildungsverein).

Veröffentlicht: 8. August 2008

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