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Kaltenegger: "Wir müssen unterscheidbar bleiben"

"Neues Deutschland" veröffentlicht Interview mit dem KPÖ-Klubobmann

Eine Chance für die politische Linke.
ND-Interview mit Ernest Kaltenegger, KPÖ-Fraktionsvorsitzender in der Steiermark

Ernest Kaltenegger (56) ist seit kurzem Landtagsklubobmann (Fraktionsvorsitzender) der KP im österreichischen Bundesland Steiermark. Denn nach den Wahlen im Oktober zog die KPÖ erstmals seit 35 Jahren wieder ins Landesparlament ein. Zugeschrieben wird das vor allem Kalteneggers Wirken als Wohnungsstadtrat der Landeshauptstadt Graz. Journalisten beförderten ihn in dieser Funktion zum »Engel der Armen«, politische Konkurrenten bezeichnen ihn als »Sonder-Sonderfall«: Populär sei er nicht wegen, sondern trotz seiner Parteizugehörigkeit. Der KPÖ-Politiker selbst benutzt im Interview lieber das »Wir«, auch wenn er von sich spricht.

Der Kommunist Ernest Kaltenegger wird 1998 Wohnungsstadtrat in Graz, fünf Jahre später erhält die KPÖ in der steirischen Hauptstadt schon 21 Prozent der Stimmen, weitere zwei Jahre danach zieht sie in den Landtag ein.

Ist der Einzug in das Bundesparlament nur eine Frage der Zeit?
Kaltenegger: Da habe ich Zweifel. Derzeit ist die sozialdemokratische SPÖ in Österreich in der Opposition, da ist es für eine weitere Linkskraft wesentlich schwieriger. Wer Veränderungen will, der versucht es doch erst einmal mit der größeren Partei.

Sie haben sich 1998 in Graz als Stadtrat erstmals in Regierungsverantwortung begeben. Eine schwierige Entscheidung?
Kaltenegger:Durchaus. Wir hatten große Angst, von den anderen Parteien künftig nicht mehr unterscheidbar zu sein. Denn wenn du in der Regierung sitzt, verändert sich ja doch einiges. Deshalb haben wir uns zuerst bemüht, diese Regierungsfunktion, die uns aufgrund des Wahlergebnisses zugefallen war, los zu werden, indem wir vorgeschlagen haben, die Zahl der Regierungsmitglieder von neun auf sieben zu reduzieren. Aber das wurde abgelehnt. Man hat uns dann das Wohnungsressort zugeteilt in der Hoffnung, dass wir die hohen Erwartungen unserer Wähler nicht erfüllen können. Wir hatten vorher viele Missstände im städtischen Wohnungswesen aufgedeckt, und da hat man wahrscheinlich gedacht: Sollen sie es doch selbst mal probieren!

Und Sie hatten offenbar Erfolg. Wie erklären sie das?
Kaltenegger:Wir unterscheiden uns in der konkreten Politik eben doch von den anderen Parteien. So haben wir erreicht, dass eine Belastungsobergrenze eingeführt wird: Niemand muss mehr als ein Drittel vom Einkommen fürs Wohnen zahlen. Unser Antrag wurde zuerst niedergestimmt, das war gar keine Frage. Aber wir haben daraufhin eine Initiative nach dem Volksrechtegesetz gestartet und über 17 000 Unterschriften gesammelt. Das hat bei den anderen Eindruck hinterlassen. Der Beschluss wurde dann einstimmig gefasst.
2003 war Graz Kulturhauptstadt Europas. Wir meinten, dass zur Kultur auch menschenwürdige Bedingungen in städtischen Wohnungen gehören. Damals gab es aber noch etwa 1000 Wohnungen ohne Bad und Innentoilette. Mittlerweile ist ein sehr großer Teil dieser Wohnungen saniert.

Wird Ihnen nicht oft auch Populismus vorgeworfen?
Kaltenegger:Die Populismuskeule wird immer wieder eingesetzt, wenn jemand unbequem wird. Aber wir sind eigentlich eine sehr berechenbare Partei. Wir werden zum Beispiel nie einer Privatisierung der Gemeindewohnungen zustimmen, wir sind gegen den Ausverkauf staatlichen Eigentums, da gibt es für uns ganz klare Grenzen, das wissen die anderen. Ansonsten machen wir konstruktive Politik.
Ein anderes Beispiel: Wir haben immer kritisiert, dass Politiker bei uns sehr viel Geld bekommen. Plötzlich hatte ich selbst so viel auf dem Konto. Seither werden etwa 60 Prozent des Einkommens zur Unterstützung von Menschen verwendet, die in schwierigen Situationen leben, und jedes Jahr am »Tag der Offenen Konten« wird die Verwendung des Geldes offen gelegt. Die KPÖ ist 2003 in mehreren bürgerlichen Stadtbezirken zweitstärkste Partei geworden, noch vor der SPÖ. Oft haben wir erlebt, dass Leute uns gesagt haben: Ich habe nie etwas von Ihnen gebraucht, ich werde nie etwas von Ihnen brauchen, aber ich wähle Sie, denn es ist notwendig, dass es eine Partei gibt, die sich um sozial Schwächere kümmert.

Warum fällt es der KPÖ denn so schwer, die Grazer Erfahrungen andernorts anzuwenden?
Kaltenegger:So ist das nicht. Unser Beispiel hat sich schon ein bisschen verbreitet. Wir haben bei den Kommunalwahlen in der Steiermark außerhalb von Graz heuer zum Teil die besten Ergebnisse seit Jahrzehnten erreicht. In Leoben, der zweitgrößten Stadt der Steiermark, haben wir über 10 Prozent bekommen. In den klassischen Industriegebieten der Obersteiermark haben wir hervorragend abgeschnitten. Im Grunde genommen mit derselben Politik: konkrete Arbeit am Ort, Hilfestellung für Menschen, die in Bedrängnis gekommen sind. Aber das wirkt nicht von heute auf morgen und man darf sich nicht entmutigen lassen, wenn sich nach einem halben Jahr noch kein Ergebnis zeigt.

Außerhalb der Steiermark ist die Lage der KPÖ dennoch prekär, auch wegen heftigen Streits in der Partei.
Kaltenegger:Ich hoffe sehr, dass sich der Streit legt, weil das im Grunde genommen unsere einzige Chance ist. Voraussetzung auch für das Ergebnis in der Steiermark war, dass die Parteiorganisation nicht zerstritten war. Wir haben alle sehr gut zusammengearbeitet. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, auch in einer kommunistischen Partei. Letztendlich ist es eine Frage des Umgangs mit den anderen. Wenn man sich gegenseitig respektiert und die Auseinandersetzung auf einem sachlichen Niveau führt, hat man auch nicht solche Probleme.
Auch der Einzug der Linkspartei in den Bundestag zeigt doch, dass es für linke Parteien eine Chance gibt: In der politischen Landschaft ist für uns Platz, in Österreich und auch in anderen Ländern.

Fragen: Detlef D. Pries

(Neues Deutschland, 1. 12. 05)

1. Dezember 2005