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"Kaltenegger und die steirische KPÖ"

"Neues Deutschland" über die steirische Landtagswahl

05.10.05
Historischer Wahlsieg für steirische Kommunisten
Ernest Kaltenegger führt KPÖ nach 35 Jahren wieder in den Landtag

Von Manfred Bauer, Graz

Wahlsieger Kaltenegger
Foto: KPÖ

Bei der Landtagswahl in der österreichischen Steiermark errangen die Kommunisten einen beachtlichen Erfolg. Frontmann Ernest Kaltenegger hatte wesentlichen Anteil daran.

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Einen so gewaltigen Medienrummel hatte man im Grazer Rathaus lange nicht erlebt. Über KPÖ-Hoffnungsträger Ernest Kaltenegger und Walter Baier, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs, entlud sich am Sonntag ein Blitzlichtgewitter, wie man es sonst nur bei Fußball- oder Popstars gewohnt ist. Grund für den Medienrummel war Kalteneggers bemerkenswerter Wahlerfolg bei der Landtagswahl in der Steiermark: Mit 6,3 Prozent und vier Mandaten hatte er der KPÖ den Einzug ins Landesparlament gesichert – erstmals nach 35 Jahren ohne einen einzigen Sitz in einem der österreichischen Landtage.
Kaltenegger hatte bereits bei der Grazer Stadtratswahl vor zwei Jahren mit mehr als 20 Prozent Wählerstimmen den Grundstein für den jüngsten Erfolg gelegt – vorläufiger Höhepunkt für die KPÖ auf ihrem Weg zurück in die politische Landschaft Österreichs. KPÖ-Chef Baier sah im »großartigen Ergebnis« die Initialzündung für einen bundespolitischen Trend mit Signalwirkung. Das Ergebnis sei »ein historischer Erfolg« der KPÖ und »ein persönlicher Erfolg des Spitzenkandidaten«. Es zeige gleichzeitig, dass der Wunsch nach einer Politik zunehme, die »das Interesse der sozial Benachteiligten« berücksichtige, die im »politischen Geschäft der Herrschenden« nicht vorkommen.
Wahlsieger Kaltenegger stellte fest, dass die »Methoden des Kalten Krieges« vorüber seien. Damit spielte er auf die Diffamierungskampagne der ÖVP wenige Wochen vor der Wahl an: Die konservative Volkspartei hatte Granden aus Bundespolitik und Wirtschaft aufgeboten, die in medial inszenierten Aktionen die »kommunistische Gefahr« beschworen und von der Verstaatlichung der gesamten Steiermark halluzinierten. »Die ÖVP hat mehr Geld für diese Kampagne ausgegeben als wir für die gesamte Wahlwerbung«, resümierte Kaltenegger gegenüber ND und zeigte sich sichtlich zufrieden darüber, dass die von der ÖVP in Stellung gebrachte antikommunistische Phalanx in der Bevölkerung erfolglos blieb.
Der 56-jährige Kaltenegger punktete vor allem als politischer Sympathieträger, für den der Verweis auf die sozialen und politischen Bedürfnisse der Menschen nicht nur rhetorische Pflichtübungen in Wahlkampfzeiten sind. Sein Erfolg ist das Ergebnis einer mehr als zehnjährigen Arbeit in der Grazer Kommunalpolitik. Seit Beginn der 90er Jahre engagiert er sich in der Mieterhilfe, 1992 schuf er den »Mieter-Notruf« in Graz und gründete 1998 – nach seiner Wahl zum Stadtrat – einen Unterstützungsfonds für Bedürftige, mit dem Mietzuschüsse oder Kosten für Reparaturen, Heizung und Strom gezahlt werden. Kaltenegger unterstützt den Fonds mit 60 Prozent seines Gehalts als Stadtrat. Allein im Jahr 2004 wurden so 64 370 Euro an 363 Grazer Bürger ausgeschüttet. Der Skoda-Fahrer lebe persönlich vor, was er fordert, erkennen selbst seine politischen Gegner an.
Der Linksruck in der bisher bürgerlich dominierten Steiermark ist dem fulminanten Abschneiden der KPÖ geschuldet. Gemeinsam mit dem Wahlsieger SPÖ (25 Sitze) und den Grünen (3) verfügt die Linke im 56 Sitze umfassenden Landtag nunmehr über eine komfortable Mehrheit von 32 Sitzen gegenüber der ÖVP, die 24 Mandaten errang. FPÖ und BZÖ schafften den Einzug nicht.
Während der Schock über den KPÖ-Erfolg bei einigen bürgerlichen Medien in Österreich noch am Wahlabend skurrile Reaktionen hervorrief (»Kaltenegger hat nicht wegen, sondern trotz seiner kommunistischen Überzeugung gewonnen«, analysierte eine ORF-Journalistin), rückte der programmatische Fokus der Partei bereits am Tag darauf ins Zentrum der politischen Kommentare: »Das ist auch ein Votum gegen Marktradikalismus und Kürzungsreformen auf europäischer Ebene«, fasste die Zeitung »Standard« zusammen und ergänzte, dass es auch in Österreich »einen Bedarf für eine konkrete linke Politik« gebe. »Ganz links könnte neben der SPÖ Platz für eine scharf profilierte Sozialpartei sein«, hieß es da.
An den Erfolg der steiermärkischen Genossen und der weit geöffneten Perspektive einer »profilierten Sozialpartei« knüpft auch die Wiener KPÖ-Spitzenkandidatin Melina Klaus ihre Hoffnungen für die Gemeinderatswahlen am 23. Oktober: »Selten, dass ein Wahlabend so viel Freude und Hoffnung auf einen sozialen Paradigmenwechsel in der Politik aufkommen lässt«, freute sie sich.

(Neues Deutschland, 5. 10. 05)

5. Oktober 2005