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"Ich vermisse den Beitrag der Vermögenden"

Kaltenegger-Interview in standard.at

11:08 MESZ
Zur Person

"Ich vermisse den Beitrag der Vermögenden"
Zur Landtagswahl 2010 tritt er nicht mehr an - Ernest Kaltenegger über seine 30 Jahre in der Politik und die "Gefahr einer starken Rechtsentwicklung"

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Bei den nächsten Landtagswahlen wird Ernest Kaltenegger nicht mehr antreten. Im derStandard.at-Interview macht der scheidende steirische KPÖ-Chef seinem Ärger über die politischen Maßnahmen im Zuge der Wirtschaftskrise noch einmal Luft. "Das ist eine Frechheit! Genau jene, die man nicht teilnehmen ließ am großen Aufschwung, als das Geld gescheffelt wurde, sollen jetzt ihren Beitrag leisten". Er befürchtet den "Abbau, beziehungsweise die Beseitigung der Demokratie" eine "Gefahr der Rechtsentwicklung" und kritisiert, dass die Mindestsicherung verschoben wird. Warum er trotzdem noch nicht desillusioniert ist, erzählt er Katrin Burgstaller.

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derStandard.at: Herr Kaltenegger, Sie verabschieden sich aus der Politik. Wie viel Erleichterung ist dabei und wie viel Wehmut?

Kaltenegger: Sicher ist es auch Erleichterung, denn wenn man 30 Jahre in der Politik war, kann man sich auch wieder etwas anderes vorstellen. Aber es war und ist noch eine schöne Zeit. Vieles möchte ich nicht missen. Meine politische Arbeit hat durchaus etwas genutzt. Ich konnte Menschen helfen.

derStandard.at: Haben Sie das Gefühl, wirklich etwas verändert zu haben?

Kaltenegger: Das hoffe ich doch. Als ich Wohnungsstadtrat in Graz wurde, gab es über 1.000 Gemeindewohnungen, ohne Bad oder das Klo war am Gang. Wir haben damals unter dem Motto "Auch das ist Kultur" erfolgreich Druck gemacht. Das war eines unserer nachhaltigsten Projekte. Wir haben auch die Spielsucht thematisiert, was man früher völlig negiert hat. Die steigende Zahl der Spielsüchtigen ist eine soziale Zeitbombe, dafür haben wir Bewusstsein geschaffen. Heuer wird erstmals im Suchtbericht des Landes Steiermark diesem Thema ein eigenes Kapitel gewidmet.

derStandard.at: Kann es die KPÖ schaffen, wieder stärker zu werden? Wäre die Krise nicht gerade eine Chance für ihre Partei?

Kaltenegger: Ich glaube schon, dass die KPÖ wieder stärker werden kann. Die Krise ist eine Chance und eine Gefahr für uns. Man hat auch in der Geschichte gesehen, dass große Wirtschaftskrisen zu einem Abbau, beziehungsweise zur Beseitigung der Demokratie führen. Es besteht auch die Gefahr einer starken Rechtsentwicklung.

derStandard.at: Sehen Sie jetzt schon erste Maßnahmen, an denen man diese Beseitigung der Demokratie festmachen kann?

Kaltenegger: Ja, ich sehe solche Entwicklungen auf österreichischer und auf gesamteuropäischer Ebene. Im Zuge der Steuerreform hat man lang und breit erörtert, ob man etwa auch den Mittelbau vergünstigen kann. Doch auf einmal waren 100 Milliarden Euro für die Banken da. Da gab es keine breite Diskussion, das hat man sehr rasch durchgezogen. Das hat nicht viel mit Demokratie zu tun. Bei einer Verschärfung der Krise ist es nicht auszuschließen, dass es Leute gibt, denen die Demokratie im Weg ist.

derStandard.at: Die Einführung der Mindestsicherung wird wieder verschoben. Überrascht Sie das?

Kaltenegger: Das ist ein völlig verkehrtes Signal. Man hätte die Mindestsicherung sehr rasch und zwar noch verbessert einführen müssen. Das ist ein schlimmer Fehler. Die Mindestsicherung kostet nur einen Bruchteil dessen, was man den Banken zur Verfügung gestellt hat. Gerade sozial Schwächere geben das Geld ohnehin gleich wieder aus und kurbeln somit die Wirtschaft wieder an. Reiche hingegen haben die Möglichkeit mit einem großen Teil ihres Geldes zu spekulieren.

derStandard.at: Auch die Debatte um die Stundenerhöhung für die Lehrer beschäftigt Österreichs Innenpolitik sehr. Es heißt, jeder muss seinen Beitrag zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise leisten. Was sagen Sie dazu?

Kaltenegger: Ja, aber ich vermisse zuallererst den Beitrag der Vermögenden. Wo bleibt die Erbschaftssteuer oder eine ordentliche Vermögenssteuer? Es ist falsch, dass man bei einer Berufsgruppe anfängt, die Leute auseinander zu dividieren, ihnen neue Lasten aufbürdet um später zu sagen: die haben das auch machen müssen, jetzt seid ihr dran. Alle die jetzt noch applaudieren, werden vielleicht in Kürze selbst dran kommen. Jetzt fordern ja auch schon die Industriellenvereinigung und Magna in Graz, dass die Leute auf einen Teil ihres Lohnes verzichten.

Genau jene, die man nicht teilnehmen ließ am großen Aufschwung, als das Geld gescheffelt wurde, sollen jetzt ihren Beitrag leisten. Das ist eine Frechheit!

derStandard.at: Wird es zu einem Rückbau der Sozialleistungen kommen?

Kaltenegger: Ich schließe gar nichts mehr aus. Wer wird denn die Milliarden für die Banken bezahlen? Die Bevölkerung wird schon in absehbarer Zeit zur Kassa gebeten. Die Vorboten sind jetzt schon bemerkbar. Die Rechnung wird fürchterlich sein.

derStandard.at: Sind Sie eigentlich desillusioniert, wenn Sie sehen, dass die Reichen wieder nicht angemessen zur Kasse gebeten werden?

Kaltenegger: Nein, das bin ich nicht. Ich habe mir nichts anderes erwartet. Ich bleibe auch nach wie vor ein politisch aktiver Mensch. Es werden neue Protestbewegungen entstehen, wenn die Krise stärker zu spüren ist. Die Bevölkerung müsste sagen, wir zahlen euch keinen Cent, bevor man nicht den Spitzensteuersatz auf 70 Prozent anhebt und eine ordentliche Vermögenssteuer einführt, die Steuerprivilegien für Stiftungen abschafft und die Erbschaftssteuer wieder einführt.

derStandard.at: Wen oder was werden Sie in der Politik am wenigsten vermissen?

Kaltenegger: Es gibt so manche Sitzung, die ich nicht vermissen werde. Ich freue mich auch, nicht mehr an ein so enges Zeitkorsett gebunden zu sein. Es gibt auch Personen, die ich nicht vermissen werde. Aber ich bin nicht nachtragend, also werde ich auch keine Namen nennen.

derStandard.at: Für die KPÖ wird das einen herben Schlag bedeuten, dass Sie gehen, Sie gelten als Gallionsfigur.

Kaltenegger: Es werden sich neue Persönlichkeiten entwickeln, die neue Wege gehen. Das wird auch gut sein.

derStandard.at: Haben Sie jemanden im Auge, der Ihnen als solche nachfolgen könnte?

Kaltenegger: Ja, aber das möchte ich noch nicht sagen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 30. März 2009)

30. März 2009