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"Ich habe keine ruhige Minute mehr"

Libanon-Tagebuch von Thomas Kukovec - Fortsetzung

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Thomas Kukovec:

„Ich habe keine ruhige Minute mehr“

Tagebuch aus dem Libanon (Fortsetzung) 31.08.2006

Hab lange nichts mehr geschrieben. Seitdem israelische Helikopter die Ölreserven im Süden bombardiert haben, wird das Benzin jeden Tag knapper und knapper. Im Klartext bedeutet das, dass wir vielleicht zwei bis vier Stunden Strom am Tag haben. Email, Kochen, Duschen, einfach alles ist so abhängig von Strom. Jetzt verstehe ich erst so richtig, wie abhängig wir noch von Benzin sind und wie wichtig es für uns geworden ist. Ich verstehe erst jetzt so richtig wie wichtig erneuerbare Energien sind. Hätten wir Solarkraftwerke, würde ich nicht andauernd im Lift stecken bleiben, weil wieder einmal der Strom ausfällt, hehehe... Ist mir jetzt schon das zweite mal passiert und der Hausmeister musste mich mit einer Kurbel wieder runterholen. Abgesehen davon weiß keiner was es heißt 9 Stockwerke bei 40 Grad hochzusteigen... hehe... Strom ist so etwas wie Luxus für uns geworden. Ich persönlich arbeite jetzt schon an drei Fronten.

Ich bin nicht nur mehr für eine Schule verantwortlich, sondern schon für drei. Volunteers, auf die man sich verlassen kann sind schon rar geworden. Die meisten Beirutis flüchten in die Berge, wo sie Verwandte oder Freunde haben, die sie bei sich aufnehmen. Dementsprechend viele Freiwillige verlassen uns täglich. Die Arbeit wird immer mehr und mehr. Andererseits gibt es auch ein paar gute neue Nachrichten. Im Laufe der letzten Woche haben sich die Gefechte in den Süden verlagert und Beirut verlassen. Es fallen keine Bomben mehr und ironisch fragt sich jeder ob es sich hierbei wohl um die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm handelt und das Ganze endlich ein Ende findet. Aber nur weil wir in Beirut sicher sind bedeutet das nicht, dass es aus ist. Im Gegenteil. Ich glaub, ihr habt vom Massaker in Qana gehört. Danach gab’s zwei Tage Waffenstillstand und wir sind mit einem Team von „Ärzte ohne Grenzen“ nach Qana gefahren. Ich kenne Qana sehr gut. Hab ein paar Freunde dort. Ist ein kleines Dorf. Bekannt aus der Bibel, hat Jesus dort doch sein erstes Wunder bewirkt und Wasser zu Wein verwandelt. Nette Leute. Keine Hisbollah Miliz, jedoch eine Hisbollah Partei. Unterhalten dort ein Büro, aber halt nur ein ganz normales Parteibüro. Warum die Israelis das getan haben, ist unklar. Der Verdacht, dass dieser angriff auf ZivilistInnen bewusst und absichtlich gestartet wurde liegt nahe, zumal 1996 das erste Massaker von Qana 120 Kindern und Frauen das Leben gekostet hat und es als Symbol gilt und seit 10 Jahren von Touristen aus aller Welt nicht nur wegen Jesus wird, sondern auch als Gedenk und Gebetsstätte besucht wird, wo alle Reisenden ihren Respekt den Toten von damals zollen. Libanesische Schulklassen besuchten diesen Ort, so wie wir Mauthausen besuchten. Um sich an die Toten zu erinnern und die Sinnlosigkeit des Krieges als Mahnmahl und Warnung an die nachfolgenden Generationen aufrecht zu erhalten. Die Ironie, dass gerade dieser Ort zweimal zum Oper von Massakkern wurde, kann man nicht gelten lassen. Dieser Angriff sollte nicht nur ZivilistInnen toeten, sondern die Seele des Landes treffen und das ist den Israelis gründlich gelungen. Und genau das war der Grund für dieses Massaker. Demütigung und Verletzung des Stolzes der gesamten arabischen Nation. Möglicherweise wollten sie die Hisbollah für dieses Massaker verantwortlich zu machen und somit erneut einen keil zwischen die Libanesen treiben, was ihnen aber gründlich misslungen ist. Aber dieses Massaker wird nicht der Hisbollah in die Schuhe geschoben, so quasi sie wäre verantwortlich, dass Israelis Qana abermals beschossen haben, sondern, es vereinte die Libanesen mehr denn je und die Libanesen scheinen entgültig verstanden zu haben, dass sie ein Volk sind, eine Nation, die jahrzehnte lang wie eine Hure von den Mächten der Welt dazu benutzt wurden ,um sich gegenseitig zu bekämpfen, anstatt vereint zu sein. Es ist den Syrern nicht gelungen das land zu spalten, als sie Harriri ermorden ließen, und es gelingt auch nicht den Amerikanern und den Israelis, dieses Land in zweit Teile zu teilen, um ihren Einfluss in der Region zu verstärken. Tja, wir sind also nach Qana gefahren. Schrecklich. Ich kannte einige der Häuser. War das letzte mal im Februar dort. Ich kann euch versichern, dass in diesen spezifischen Häusern keine Hisbollah war, nicht einmal nur einfaches Politbuero. Das waren 100% ZivilistInnen. Verzeiht mir, wenn ich ab und an einmal was sagen könnte, was vielleicht als radikal gedeutet werden könnte, ich bin alles andere als das, aber wenn man das sieht und den süßlichen Geruch der verbrannten Leichen in der Nase hat, dann kann man nicht mehr klar denken und Hass steigt in einem auf... Nachdem ich wie gesagt jetzt an drei Schulen tätig bin, in einem so called medical team, zugleich als Umweltcampaigner an der Ölpest arbeite, die aus dem Beschuss der Ölplattformen im Süden resultiert, und zugleich Pressearbeit im Rahmen unsrer Buergerinitiative arbeite, finde ich kaum noch Zeit zum Essen, schlafen und für privates. Bitte um Entschuldingung das ich meinem Versprechen, Fotos zu schicken und Artikel zu schreiben nicht nachkomme, obwohl es gerade jetzt so wichtig ist, aber vierteilen kann ich mich nicht. Bin eigentlich nur mehr müde... Gestern war ich in einer Schule in Südbeirut, nahe den bombardierten Stadtteilen, um eine Blutprobe zu entnehmen. Diese Schule wurde von der Hisbollah kontrolliert und betreut. Die Leute waren sehr freundlich und zuvorkommend. Sie haben mich zwar nach meinem Ausweis gefragt, haben ihn aber nicht kontrolliert. Wollten nur sehen ob ich Amerikaner bin. Wir haben zwei amerikanische Volunteers, die können uns aber nicht wirklich helfen. Sind zwei Studenten aus Harvard, der Elite Uni Nummer 1 in den USA. Ihnen wird der Zutritt zu den Schulen verweigert. Gegenüber Amerikanern ist man nicht nur misstrauisch, sondern man schließt sie quasi aus dem gesamten öffentlichen Leben aus. Was verständlich ist, angesichts der Tatsache, dass so ziemlich jede Bombe, die auf den Libanon fällt, made in USA ist. Dennoch ist es schade, weil die beiden Amis gute Leute zu sein scheinen, die extra aus Syrien angereist sind, um zu helfen. Aber was kann man machen... Bitte spendet reichlich. We are runnig out of money / das ist der meist gehörte Satz der letzten Tage und wir wissen nicht mehr weiter.

In den letzen Tagen sind 20.000 neue Refugees aus dem Süden in Beirut angekommen. Wir wissen nicht mehr weiter. Der Libanon hatte offiziell keinen Katastrophenplan für so eine Situation gehabt, deshalb blieb die ganze Arbeit an Zivilorganisationen hängen... Der Name unserer Zivilorganisation ist Samidun, was soviel bedeutet wie We stay together oder Zusammenhalt. Diese Zivilgesellschaft besteht aus mehr als 40 NGOs und Vereinen, sieben NGOs davon haben sich zu dem Projekt oil pollution 2006 zusammengefunden und die anderen Organisationen kümmern sich hauptsächlich um die Flüchtlinge und die Friedensproteste, die nicht nur mehr im Tagesrhythmus, sondern schon im Stundenrhythmus in Beirut stattfinden.

Meine Stamm NGO Resistance for peace ist durch mich nun offiziell im Libanon vertreten. Ich glaub ihr habt mein ORF Interview in der ZIB 1 am Sonntag gesehen? (Thomas Kukovec wurde über die Auswirkungen der Ölpest interviewt). Ich weiß nicht, ich würde gerne mein Studium im nächsten Jahr beenden, aber denke ernsthaft darüber nach, ob ich hier bleiben soll... Kann nicht abschalten... Hab keine ruhige Minute mehr... Wie auch immer.

Würde ich hier bleiben, dann würde ich mich um meine persönliche Zukunft sorgen, weil ich ohnehin schon lange genug studiere, aber würde ich fertig studieren, hätte ich keine ruhige Nacht... Würde andauernd an den Libanon denken... Haben gerade erfahren, dass Hisbollah eine Rakete 70km inside Israel geschossen hat. So weit ist noch keine Rakete zuvor gekommen und jetzt haben alle Leute ziemlich Angst, dass die Israelis deshalb möglicherweise auch Bomben auf Beirut werfen. Bisher waren nur die von der Hisbollah kontrollierten southern suburbs betroffen von den Bomben, aber jetzt haben wir das erste mal Angst, dass möglicherweise auch das sichere Nordbeirut beschossen werden könnte. Die israelischen Schachtschiffe sind wieder am Horizont zu sehen und die Jets fliegen wieder tief. Alles ist sehr angespannt. Ich habe keine Angst, aber habe ein mulmiges Gefühl im Bauch... 02.07.2006 Was mir grosse Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass selbst Leute die immer cool und entspannt waren, jetzt richtig nervös sind und Angst haben. Ich hoffe, dass sie Beirut nicht angreifen.
Als wir von Qana zureuckgekommen sind sahen wir Pick up Trucks und Pferdewaagen voller Flüchtlinge Richtung Beirut. Wenn Beirut angegriffen würde, dann .... Wo sollen die Flüchtlinge dann hin und was ist mit uns ... wir würden selber zu Fluechtlingen... Konnte gestern nichts essen. War so unter Anspannung, dass alleine der Geruch von Essen Übelkeit in mir hochkommen liess... Ich habe wieder zu rauchen begonnen. Bin eigentlich kein Raucher, aber diesmal rauche ich wieder sehr stark. Eine Packung am Tag mindestens. Marlboro! Und in der Nacht brauch ich mindestens 2 Bier und drei Vodka. Ohne dem finde ich keine Ruhe mehr. Hab nie viel Alkohol getrunken, aber es beruhigt ungemein... Bin nicht der einzige!!!

Veröffentlicht: 30. Mai 2009

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