Genuss-Kommunisten
Wie die Slow-food Bewegung erfunden wurde
Das Alpe-Adria Magazin berichtet in seiner Ausgabe von Herbst 2014 über die Anfänge der Slow-Food Bewegung.
Alles begann an einem feuchtkalten Herbsttag des Jahres 1982, als ein kleines Grüppchen piemontesischer Jung-Kommunisten nach einer beschwerlichen Reisespätabends im toskanischen Brunello-Ort Montalcino eintraf, wo ihre örtlichen Parteigenossen in der Casa de! Popolo mit einem Abendessen auf sie warteten.
„Wir waren müde, ausgefroren und vor allem hungrig", erinnert sich Carlo Petrini, „doch das, was uns die toskanischen Genossen zu essen gaben, spottete jeder Beschreibung."
So schlecht war das Abendessen, so lieblos zubereitet und so ungesellig geteilt, dass Petrini und seine Gefährten nach ihrer Rückkehr ins Piemont beschlossen, eine Untergruppe der kommunistischen Kulturorganisation ARCI zu gründen, die sich Arcigola nannte und mit Esskultur, Genuss und Landwirtschaft beschäftigen sollte. „Den Genossen in der Toskana hatten wir einen Brief geschrieben, in dem stand, dass wer seine Gefährten so behandle, eigentlich ein Reaktionär sei und nicht die Würde verdiene, Kommunist genannt zu werden", erzählt Petrini und lacht laut.
Die Reise nach Montalcino sei der Auslöser dafür gewesen, dass sich ein linksgerichteter Verein erstmalig der Themen Essen, Trinken und Geselligkeit angenommen habe. „Uns allen wurde plötzlich bewusst, dass es so etwas wie ein universelles Menschenrecht auf Genuss gibt, und das zu verteidigen ein Anliegen der Linken sein sollte", sagt Petrini.
Als einige Jahre später - von den Kommunisten hatte man sich inzwischen längst distanziert - die amerikanische Restaurant-Kette McDonald's ihr erstes Lokal im Zentrum von Rom eröffnete, organisierten die Arcigola-Mitglieder eine Art Protest gegen das Prinzip selbst von Fastfood, in dem sie vor dem Lokal Nudelgerichte gratis an die Passanten verteilten. Dieser Moment wird allgemein als die Geburtsstunde der Slow Food Bewegung angenommen, die zuerst in Italien und später in der ganzen Welt
schnell wachsen sollte und heute weit über 100.000 Mitglieder in 130 Staaten der Welt vereint.
Absurd schnelles Essen
„Auf den Namen $low Food sind wir gekommen, weil uns die Idee von Schnelligkeit beim Essen von Anfang an absurd erschien", sagt Petrini, der die Bewegung gründete und bis heute als deren Präsident amtiert, „dass Qualität Zeit braucht, ist doch kein Geheimnis. So gut wie alles, was gut schmeckt, ist mit MuІe und ohne Eile hergestellt, braucht Zeit, um Geschmack zu entwickeln, zu reifen oder zu lagern." Hinzu komme noch, dass alleine und schnell zu essen, womölich noch im Auto, den kulturellen Traditionen Italiens widerspreche und dem Verständnis der Italiener für Geselligkeit. „In Italien wie anderswo kommt dem Esstisch eine ganz wesentliche soziale Bedeutung zu", sagt der studierte Soziologe, „gerade in unserer Zeit, wo alles so schnell gehen muss und kaum jemand noch Zeit hat, dient er als Ort der Entschleunigung und der Kommunikation zwischen Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen."
Darum brachte man bald nach der Gründung der Bewegung einen Lokalführer namens „Osterie d'Italia" heraus, der jene Lokale auflisten sollte, in denen diese Entschleunigung und Geselligkeit noch zu finden waren, und die zugleich die erstaunliche Vielfalt der italienischen Regionalküchen widerspiegeln und ihre Produkte von Erzeugern aus ihrer jeweiligen Umgebung beziehen würden.
Veröffentlicht: 4. November 2014