„Gekämpft hab‘ ich eigentlich immer“

Die 85jährige Kommunistin Inge Arzon erzählt der 25jährigen KJÖ-Vorsitzenden Michaela Lauterbrunner aus ihrem Leben

Im vergangenen Jahr feierte die KPÖ ihren 100. Geburtstag. Ihre Geschichte ist auch die Geschichte ihrer Mitglieder und AktivistInnen. Ein Zeitzeuginnengespräch mit der Grazer Kommunistin Inge Arzon über ihre turbulente Kindheit, ihre Situation als Frau vor 50 Jahren und ihr Wirken in der KPÖ Steiermark.

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Inge Arzon wurde im Jahr 1934 in Neunkirchen in Niederösterreich als Tochter eines Bergarbeiters in den Krieg hineingeboren. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter lebte sie zunächst bei der Großmutter bevor sie in ein nationalsozialistisch geleitetes Kinderheim in Baden bei Wien umziehen musste.

Unter Beschuss.
An die Zeit im Kinderheim erinnert sie sich noch gut. Den Kindern wurde beigebracht, wer die „guten“ und wer die „bösen“ waren und wie man einen Hitlergruß richtig machen musste. „Wir haben das damals aber nicht verstanden. Und warum man ‚Heil Hitler‘ schreien musste haben wir auch nicht verstanden. Wir haben immer gedacht, das wär der ‚Herr Heil Hitler‘.“ Sie erzählt weiter: „Einmal sind wir (eine Gruppe von Kindern, Anm.) von der Schule nachhause gegangen und haben die Flieger kommen gehört. Die haben auf uns geschossen! Wir haben uns auf den Boden geworfen und als die Flieger wieder weg waren, haben wir geschaut, ob eh alle noch leben.“ 1945 – Inge war erst 11 Jahre alt – musste sie miterleben, wie das Kinderheim in den letzten Kriegswirren evakuiert wurde. Die Kinder wurden tagelang ohne einen festen Unterschlupf zu finden in einem Bus durch das Land transportiert.
Die Zeit des Nationalsozialismus ist ihr bis heute trotz ihres damals geringen Alters sehr prägend in Erinnerung geblieben, ebenso der Antikommunismus, der in der damaligen Zeit besonders propagiert wurde. Die WiderstandskämpferInnen und KommunistInnen wurden als Feinde und Verräter bezeichnet und den Kindern schon sehr früh eingebläut, dass man mit so jemandem nur ja nichts zu schaffen haben sollte.

Mein Vater ist ein Feind!
Umso schockierender war es für die junge Inge, die zwei Jahre nach Kriegsende zu ihrem Vater nach Fohnsdorf ziehen konnte, als sie in einer Schublade das KPÖ-Parteibuch ihres Vaters entdeckte. „Ich war schockiert! Kommunisten waren doch Feinde – mein Vater war also ein Feind!“. Es waren klärende Gespräche mit den GenossInnen sowie dann auch mit ihrem Vater nötig, um zu verstehen, dass nicht alles wahr war, was die Nationalsozialisten über Juden, KommunistInnen und WiderstandskämpferInnen propagiert hatten.

„Gekämpft hab‘ ich eigentlich immer“
Mitte der 1950er Jahre trat auch sie dann der KPÖ bei und engagierte sich beim Bund Demokratischer Frauen. Als sie im Jahr 1954 einen Bergarbeiter heiratete, versuchten sie, eine Werkswohnung in Fohnsdorf zu bekommen. Dabei gab es allerdings ein Problem, denn auch ihr Mann war Mitglied der KPÖ – und so waren Schwierigkeiten vorprogrammiert. „Dann bin ich zum Direktor gegangen und hab mir die Wohnung erkämpft. Gekämpft hab‘ ich eigentlich immer“, erinnert sie sich zurück. Ihr Mann, der aufgrund der schweren Arbeit eine Staublunge hatte und oft lange Zeit nicht arbeiten konnte, erhielt nur sehr wenig Krankengeld. „Das war eine Bagatelle!“, sagt Inge heute. So musste auch die gelernte Schneiderin, die vor ihrer Hochzeit unter anderem in der Schweiz im Gastgewerbe und in einer Spitzenmanufaktur gearbeitet hatte, neben dem Haushalt und der Erziehung zweier Kinder nebenbei Geld verdienen. Sie nähte Hemden, arbeitete als Haushaltshilfe und vergoldete Schriften bei einem Steinmetz.

Engagement
Ihr stressiger Alltag hielt sie jedoch nicht davon ab, die „Stimme der Frau“ (Zeitschrift der kommunistischen Frauenbewegung und älteste Frauenzeitschrift Österreichs, Anm.) in Fohnsdorf und Umgebung auszutragen und auch zu kassieren. Im Jahr 1978 wurde der Fohnsdorfer Bergbau jedoch geschlossen, Inges Mann wurde arbeitslos. So ergriff die Familie die Gelegenheit, im Volkshaus Graz eine Wohnung zu beziehen und die Hausmeisterei im Volkshaus zu übernehmen. Gleichzeitig begann sie ihre Tätigkeit als Sekretärin des Bundes Demokratischer Frauen. Sie organisierte Veranstaltungen sowie Kooperationen mit anderen Frauenaktivistinnen. Langweilig wurde es ihr nie. 1998 wurde sie in den Bezirksrat im Grazer Bezirk Gries gewählt, ab 2003 war sie Bezirksvorsteherin und erwarb in dieser Funktion großes Ansehen, weil sie niemals lockerließ, wenn es galt, die Interessen der Bevölkerung im Bezirk zu vertreten. Selbst heute noch organisiert sie im Rahmen des Projekts „Gesunder Bezirk Gries“ eine Turngruppe im Volkshaus. Ihr politisches Engagement gab sie auch an ihre Kinder weiter: Ihre Tochter Ina war für die KPÖ Graz 14 Jahre lang Gemeinderätin und auch Klubobfrau des KPÖ Gemeinderatsklubs. Heute lebt und werkt Inge Arzon in Graz.

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Michaela Lauterbrunner, 25, Vorsitzende der KJÖ Graz.

2. Juli 2019