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"EU-Protest nicht ausgenützt"

Werner Pirker (Junge Welt) über den Wahlausgang in Österreich

Kein Hauch von Wende

SPÖ-geführte Koalition wird ÖVP-Politik fortsetzen. Zeichen deuten auf große Koalition
Von Werner Pirker, Wien
Die österreichischen Nationalratswahlen am Sonntag erbrachten ein Votum gegen die Fortsetzung der unsozialen Regierungspolitik. Das bekam die konservative Kanzlerpartei ÖVP (Österreichische Volkspartei) mit voller Wucht zu spüren. Sie erhielt 34,2 Prozent der Stimmen, das sind 8,1 Prozent weniger als bei den Wahlen 2002. Das mitregierende reaktionäre Bündnis Zukunft Österreichs (BZÖ) von Jörg Haider schaffte mit 4,2 Prozent gerade noch den Einzug in den Nationalrat. Die großen ÖVP-Verluste machten die Sozialdemokraten (SPÖ) trotz eigener Verluste (0,8 Prozent) mit 35,7 Prozent zur stärksten Partei.

Die von Haiders Neugründung BZÖ 2005 aus der Regierung verbannten rassistischen »Freiheitlichen« (FPÖ) konnten ihren Anteil um 1,2 auf 11,2 Prozent verbessern. Das würde, sollte die Auszählung der Wahlkartenstimmen nicht noch eine Verschiebung bewirken, Platz drei bedeuten. Die Grünen verbesserten sich um ein Prozent auf 10,5 Prozent und hoffen als Partei der Besserverdienenden, daß die Wahlkarten das Endergebnis zu ihren Gunsten korrigieren. Die Liste des »Korruptionsbekämpfers« Hans Peter Martin ging mit 2,8 Prozent ebenso leer aus wie die KPÖ, die sich um bescheidene 0,4 auf ein Prozent steigerte.

Damit deuten alle Zeichen auf eine große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP. Rot-Grün geht nicht auf, und die von Peter Westenthaler, Spitzenkandidat des Haiderschen BZÖ, in der Wahlnacht beschworene »bürgerliche Mehrheit« aus ÖVP, BZÖ und FPÖ ist zwar rechnerisch vorhanden, aber realpolitisch auszuschließen. Eine neuerliche Einbeziehung des äußerst rechten Spektrums in die Regierung entspräche nicht dem »common sense« der Machteliten. Deren Wahl entfiel schon vor den Wahlen auf eine Große Koalition, allerdings auf eine von der ÖVP geführte. Da dieses Kalkül nicht aufgegangen ist, dürfte es nunmehr zur Bildung einer SPÖ-ÖVP-Koalition kommen. Inhaltlich bedeutet das eine Weiterführung der neoliberalen Reformen auf einer breiteren Basis. Das »Kommunikationsproblem«, das die ÖVP hinterließ, das heißt die Vermittlung nach unten, soll unter SPÖ-Führung gelöst werden. Die Konservativen haben ihre »historische Aufgabe«, das tradierte soziale Gefüge aufzulösen, erfüllt. Nun ist eine Stabilisierung des »Reformprozesses« angesagt.

Mit der Abwahl der ÖVP haben die Wähler deutlich zum Ausdruck gebracht, weitere soziale Verschlechterungen nicht hinnehmen zu wollen. Doch auch die SPÖ mußte einen Verlust an Stimmen verzeichnen, was als Indiz dafür zu werten ist, daß sich die Hoffnung der Bevölkerung auf eine grundsätzlich andere Sozial- und Wirtschaftspolitik in Grenzen hält. Das macht auch die relativ niedrige Wahlbeteilung, die mit 75 Prozent um zehn Prozent niedriger war als beim letzten Mal, deutlich. Die große Koalition ist eine Koalition der verlorenen Hoffnungen.

Die eigentliche Gewinnerin der Wahl ist die von Haider im Stich gelassene FPÖ. Trotz Verlust ihres Führers und trotz der Tatsache, daß in Kärnten ein Großteil ihres Stimmenpotentials von Haiders BZÖ absorbiert wurde, das dort immer noch die zweitstärkste Partei ist, konnte sie mehr Stimmen auf sich ziehen als die noch vereinigte FPÖ vor vier Jahren. Das gelang ihr mit hemmungsloser Ausländerhetze und unter Nutzung des weitverbreiteten Unbehagens gegenüber der Europäischen Union. Ihrer Regierungsverantwortung entledigt, stellte sich die FPÖ als Radikalopposition gegen ein der Globalisierung verpflichtetes System dar. Ihre Fremdenfeindlichkeit korrespondiert mit der Angst der Unterschichten vor einer weiteren Liberalisierung des Arbeitsmarktes.

Die soziale Proteststimmung, die sich im Debakel der ÖVP bei gleichzeitigem Stagnieren der Sozialdemokratie niederschlug, konnte von der KPÖ nicht genutzt werden. Sie überließ es der FPÖ, die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der EU-Politik zu artikulieren, anstatt diese Kritik links, das heißt sozial und antiimperialistisch zu wenden. Sie wollte offenbar als sympathisch, aber harmlos wahrgenommen werden. Das ist ihr gelungen.

Junge welt, 4. 10.06

4. Oktober 2006