EU-Eliten zeigen Hass auf die Bevölkerung
Stellungnahme von Gerald Oberansmayer (Werkstatt Linz) zur aktuellen Aufregung
"Hass auf die Bevölkerung"
Der Brief von Faymann und Gusenbauer an Krone-Herausgeber Dichand - zur "EU-Wende" der SPÖ hochstilisiert - schlägt hohe Wellen. Daran ist einiges bemerkenswert:
(1) Liest man den Brief von Gusenbauer und Faymann an die Krone im Detail, erinnert man sich unwillkürlich an Shakespeare: "Viel Lärm um nichts!" Denn es ist ein Text voller Hintertüren: "Wenn es einen veränderten EU-Vertrag" gibt, wird die SPÖ versuchen "den Koalitionspartner zu überzeugen", eine Volksabstimmung darüber abzuhalten. D.h. um den jetzt vorliegenden EU-Reformvertrag, der u.a. zur Aufrüstung verpflichtet, ein militarisiertes Kerneuropa einläutet, im Widerspruch zur Neutralität steht und die neoliberale Wirtschaftsdoktrin festschreibt, geht es der SPÖ gar nicht. Was wenn der EU-Reformvertrag nicht verändert wird? Und was wenn der Koalitionspartner nicht will? Gusenbauer und Faymann muss daher klar gesagt werden: Entweder ihr seid bereit, die ohne Volksabstimmung erfolgte Ratifizierung des EU-Reformvertrags vom April 2008 zurückzunehmen, oder der Brief an den "Herausgeber" ist ein lächerliches und peinliches Täuschungsmanöver.
(2) Bezeichnend sind freilich auch die Reaktionen auf den Brief. Schon die unverbindliche Erklärung, dass man vielleicht einmal daran denken könnte, die Bevölkerung irgendwann über grundlegendes Verfassungsrecht abstimmen zu lassen, löst bei ÖVP, Grünen, Teilen der SPÖ und den sog. "Qualitäts"medien eine hysterische Stimmung aus, als ob der Staatsnotstand ausgebrochen wäre. Bemerkenswert auch der Kasernenhofton, mit dem der eh. deutsche Außenminister Joschka Fischer der österreichischen Politik ausrichten lässt, dass Volksabstimmungen in EUropa rein gar nichts zu suchen haben. Das alles erlaubt einen Blick auf die tiefgehende autoritäre Wende, die mit dem Großmachtsprojekt EU untrennbar verknüpft ist. Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler im O-Ton: "Es stimmt natürlich, dass die Union ein Elitenprojekt ist." (Presse, 14.07.2008) Dieses Projekt ist derart feindselig gegenüber den Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung, dass die Eliten zunehmend in einen regelrechten Hass auf die Bevölkerung verfallen, wenn sich Widerstand rührt. Und diesem Hass kann leicht Repression folgen. Seit 2002 wurden in allen EU-Staaten Paragrafen in das Strafrecht eingeführt (in Österreich sind das die §§ 278 ff. StGB), die so dehnbar formuliert sind, dass politisches Engagement rasch in die Nähe einer "kriminellen" bzw. "terroristischen" Aktion gerückt werden kann, wie 10 Tierrechts-AktivistInnen das derzeit am eigenen Leib erleben müssen. Diese Reaktionen bestätigen uns, dass eine demokratische Wende letztlich nur außerhalb der EU zu erringen ist.
(3) Der Faymann/Gusenbauer-Brief zeigt freilich auch, dass der Widerstand gegen den EU-Reformvertrag Wirkung zeigt und die Mächtigen beunruhigt. Umso wichtiger ist es für die demokratischen Bewegungen jetzt, sich nicht vom Sturm einlullen zu lassen, der ob des SP-Briefes derzeit im medialen Wasserglas tobt. Denn ebenso wie die wiederkehrenden Scheingefechte zwischen FPÖ/BZÖ und dem politischen Zentrum dient auch der jetzige Streit um die angebliche "EU-Wende" der SPÖ vor allem als Theaterdonner, um die Bevölkerung auf den Zuschauertribünen festzuhalten. Mit Aktionen wie der Menschenkette um das Parlament am 5. April sind viele Menschen in Bewegung gekommen. Eine breite und bunte Bewegung hat sich in Irland gegen die scheinbare Übermacht des Establishments durchgesetzt. Nichts fürchtet die Eliten mehr als die Eigenaktivität von Menschen, die sich für ihre Interessen engagieren. Darauf kommt es jetzt mehr denn je an, wenn wir den Marsch in eine zunehmend autoritäre Gesellschaft aufhalten wollen. Als Werkstatt wollen wir hilfreich und nützlich sein, diese Eigenaktivität zu entfalten, und laden alle Interessierten herzlich zur Mitarbeit ein.
Gerald Oberansmayr (Werkstatt Frieden & Solidarität)
Veröffentlicht: 2. Juli 2008