Ernst Kirchweger
Erstes Opfer des Deutschnationalismus nach 1945
Vor 50 Jahren, am 2. April 1965 wurde der Antifaschist und Kommunist Ernst Kirchweger auf offener Straße von einem Neonazi umgebracht.
Ab 1962 bewegte die Tatsache die österreichische Öffentlichkeit, dass an der damaligen Hochschule für Welthandel (der heutigen Wirtschaftsuniversität) ein Mann lehrte, der immer wieder durch antisemitische und großdeutsche Äußerungen auffiel: Taras Borodajkewycz. Dieser war in Kreisen des politischen Katholizismus sozialisiert worden und im Jänner 1934 der illegalen NSDAP beigetreten. 1940 wurde er Dozent an der Universität Wien und 1943 Professor für Allgemeine Neuere Geschichte an der Universität Prag. Im Rahmen der Entnazifizierung nur als „minderbelastet“ eingestuft, erfolgte 1955 seine Ernennung zum Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
Im März 1965 kam es zum Eklat, als Borodajkewycz im Rahmen einer Pressekonferenz im Auditorium Maximum der Hochschule erneut antisemitische Aussprüche tätigte. In Reaktion darauf demonstrierten am 29. März hunderte Studierende und Antifaschisten gegen den nazistischen Ungeist an den Hochschulen. Zwei Tage später, am 31. März 1965, fand eine Kundgebung der Österreichischen Widerstandsbewegung und eines Antifaschistischen Studentenkomitees statt, an der sich 5.000 Demonstranten beteiligten. Am Karlsplatz kam es zum Zusammenstoß mit Anhängern von Borodajkewycz. Nachdem die Rufe „Hoch Boro“ und „Heil Auschwitz!“ erklungen waren, wurde ein 67-jähriger Antifaschist vom Rechtsextremisten und RFJ-Mitglied Gunther Kümel mit einem Faustschlag niedergestreckt. Zwei Tage später starb er an den Folgen seiner Verletzungen. Ernst Kirchweger ging damit als erstes Opfer politischer Gewalt in die Geschichte der Zweiten Republik Österreichs ein.
Kirchweger: Funktionär der Arbeiterbewegung
Ernst Kirchweger wurde am 12. Jänner 1898 in Wien geboren und erlernte das Drogistengewerbe. 1916 trat er der SDAP bei, wurde Soldat der Kriegsmarine und erlebte als solcher die Erhebung der Matrosen in der Bucht von Cattaro im Februar 1918. Als im März 1919 in Budapest die Räterepublik ausgerufen wurde, ging Kirchweger nach Ungarn, um dort in den Reihen der Roten Armee zu kämpfen. Nach der Niederwerfung der Räterepublik kehrte er nach Wien zurück und war zunächst bei der Arbeiterkonsumgenossenschaft und von 1922 bis 1925 beim Österreichischen Verband für Siedlungs- und Kleingartenwesen angestellt. Von 1925 bis 1937 arbeitete Kirchweger als Schaffner der Städtischen Straßenbahnen. Im März 1937 wurde er Verwaltungschef beim Compass-Verlag, der ein Jahrbuch mit Informationen über österreichische Unternehmen herausgab, und blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1963 leitender Angestellter des Unternehmens.
Bis zum Verbot der sozialdemokratischen Organisationen im Februar 1934 war Kirchweger Vertrauensmann und redaktioneller Mitarbeiter des Freien Gewerkschaftsverbands der Handels- und Transportarbeiter. In der SDAP stand er am linken Flügel und war als Sprengelleiter in Wien-Favoriten aktiv. Nach dem Februar 1934 trat Kirchweger zur KPÖ über, der er bis zum Ende seines Lebens als Mitglied und Funktionär angehörte. In den Jahren der austrofaschistischen Diktatur war er in der illegalen Gewerkschaftsbewegung aktiv und organisierte die Fachgruppe Straßenbahner, als deren Obmann er fungierte. Auch in den Jahren der NS-Diktatur leistete Kirchweger illegale politische Arbeit. In seiner Wohnung fanden konspirative Sitzungen statt, wurden ausländische Rundfunksender abgehört und Hilfe für die Opfer des Regimes und deren Angehörige organisiert.
Im April 1945 gelang es Kirchwegers Gruppe, beim Heraustreten aus der Illegalität öffentliche Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Als Referent für Kommunalpolitik gehörte er zu den engsten Mitarbeitern des Kommunisten Klemens Friemel, der von der sowjetischen Besatzungsmacht zum Bezirksvorsteher ernannt wurde. In dieser ehrenamtlichen Funktion kümmerte er sich um die Versorgung des Bezirks mit Lebensmittel und die Organisierung von Aufräumungsarbeiten.
Politisch war Kirchweger weiter in der KPÖ und im kulturpolitischen Umfeld der Partei aktiv, etwa als Vizepräsident der Theaterfreunde, der Publikumsorganisation des Neuen Theater in der Scala, oder als Kassier der Österreichisch-Ungarischen Vereinigung für Kultur und Wirtschaft. Im Collegium Hungaricum hielt er in den 1960er Jahren öffentliche Lichtbildvorträge über die zahlreichen Reisen, die er unternahm, etwa nach Ägypten oder Zentralasien.
Am 31. März 1965 fand eine Demonstration von Organisationen von Studenten, ehemaligen Widerstandskämpfern sowie Gewerkschaften gegen den antisemitischen Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz statt, an der sich auch Ernst Kirchweger beteiligte. Vom Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) wurde eine Gegenkundgebung veranstaltet. Die Teilnehmer der Demonstrationen gerieten aneinander. Ernst Kirchweger wurde von dem (erst Tage nach der Tat ausgeforschten) Rechtsextremisten und RFS-Mitglied Günther Kümel niedergeschlagen und dabei schwer verletzt. Zwei Tage später erlag er seinen Verletzungen. Im Oktober 1965 wurde Kümel wegen Notwehrüberschreitung zu nur zehn Monaten Arrest verurteilt. Borodajkewycz wurde im Mai 1966 vom Senat der Hochschule zwangsweise in den Ruhestand versetzt. (Wikipedia)
Bei der Trauerkundgebung für den Kommunisten Ernst Kirchweger, die am 8. April 1965 auf dem Wiener Heldenplatz stattfand, waren sämtliche Regierungsmitglieder der SPÖ, die Mitglieder des Wiener Stadtsenats und des ÖGB-Präsidiums und einige Minister der ÖVP anwesend. Der nachfolgende Trauerzug über die Ringstraße zum Schwarzenbergplatz, an dem 25.000 Menschen teilnahmen, wurde als „Zusammenrücken des demokratischen Österreichs“ gewertet. Das Begräbnis Ernst Kirchwegers war die bis dahin größte antifaschistische Demonstration seit Bestehen der Zweiten Republik.
(mehr: www.kpoe.at)
Veröffentlicht: 24. März 2015