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Ernest Kaltenegger: Ein Leben für die Anderen

Reportage von Werner Kopacka (Steirerkrone)

Er hat's verdient, aber es ist trotzdem schade, dass er geht. Ernest Kaltenegger, der "Ernstl", wie ihn viele amikal, aber auch durchaus respektvoll nennen, trat am Mittwoch als Landtagsabgeordneter letztmals in Aktion. "Eine dringliche Anfrage bezüglich des Glücksspiels in der Steiermark" wird seine letzte gewesen sein, sagt er mit dem berühmt gewordenen, leicht verschmitzten Lächeln.

Wir sitzen in einem Grazer Gastgarten. Der Ernstl in salopper Freizeitkleidung, so als hätte er bereits das Leben danach begonnen. Sein Begleiter heißt Lucky, ist ein blutjunger Retriever und vertreibt sich die Zeit mit konzentriertem Kauen an einem mächtigen getrockneten Schweinsohr.

Politiker mit Herz und Mitgefühl
"Ich werd jetzt endlich mehr Zeit für mich selbst haben," sinniert das Herrl. Und krault Lucky hinterm Hundeohr. "Ich werde endlich viel lesen können, und auf die langen, entspannenden Spaziergänge mit dem Hund und meiner Lebensgefährtin freue ich mich auch schon." Beim Spazierengehen wird sich aber wohl nicht viel ändern. Da wird man ihn weiterhin erkennen und ansprechen, wie bisher. Sie werden's tun, weil sie wissen und spüren, dass da einer ist, der ihre Probleme ernst nimmt, einer, der nicht nur verspricht, sondern auch real zu helfen versucht. Dabei ist (pardon: war) der Ernstl ein Politiker! Aber eben doch ein anderer. Einer mit Herz und Mitgefühl, einer mit Engagement, einer der hoffen lässt.

Und ein Kommunist ist er auch. Da denkt man an Moskau, den Kalten Krieg, eine beinharte Diktatur. Ernest Kaltenegger hat die Ideologie, die dahinter steckt, nie verleugnet, aber er hat sie mit seiner eigenen Menschlichkeit übertüncht. Die vielen Steirer, die an Wahltagen das Kreuzerl bei der KPÖ gemacht haben, haben's für ihn getan, nicht unbedingt für die Partei.

Ganz Europa hat im Jahre 2003 - ausgerechnet in jenem Jahr, in dem Graz dessen Kulturhauptstadt war - gestaunt, als bekannt wurde, dass 20,8 Prozent der sonst als eher bieder bekannten Landeshauptstädter für die Kommunisten gestimmt hatten. Ein Ergebnis, das es in dieser Zeit in keinem anderen Ort Westeuropas gegeben hatte.

"Engel der Mieter"
Der Hund kaut noch immer am Schweinsohr, sein Herrl runzelt die Stirn und versucht Antworten auf die Frage zu finden: Wo liegen die Wurzeln, die den Ernest Kaltenegger zu einem gemacht haben, den sie - den Kommunisten - sogar einen "Engel" genannt haben. Den "Engel der Mieter". Das hört er nicht gern. Weil er's mit Engeln halt nicht so hat ("Ich bin mit 16 aus der Kirche ausgetreten") und weil ihm Lob schon immer peinlich war.

"Ich bin als lediges Kind bei den Großeltern in Rötsch bei Obdach aufgewachsen. Der Opa war als Holzknecht für das Stift Admont tätig, das dort Besitzungen hatte. Wir haben sogar 'herrschaftlich' wohnen dürfen. Die Dienstwohnung war im Schloss Admontbichl untergebracht. Sie war winzig und spartanisch. Sieben Leute und nur ein Zimmer mit Küche." Opa, Oma, Tanten und Onkeln waren fast fanatische Sozialdemokraten. "Wir haben oft über Politik geredet", sagt der Ernest. Und: "Mein Vater hieß Ernst, die Mutter wollte ihn mit der Namensgebung würdigen, hat das zweite "e" aber eingefügt, um uns nicht beim gleichen Namen rufen zu müssen."

Das soziale Denken begann, als der Bub in die Kirche ging. "Die vorderen Bänke waren für die reichen Bauern reserviert, das Volk musste hinten sitzen." Damals war's eben so am Land: Schwarz war reich, Rot war arm. Später begann er bei den Stadtwerken Judenburg eine kaufmännische Lehre. "Ich bin auch gleich der Sozialistischen Jugend beigetreten." Sein soziales Gewissen regte sich erneut, als sich Lehrlinge in einem Gasthaus bei ihm über ihre unmenschliche Arbeitsbedingungen beklagten. "Ich bin zur Gewerkschaft, aber die haben gar nichts getan. Das und andere Aktionen meiner Parteifreunde haben mich so enttäuscht, dass ich als 23-Jähriger gekündigt hab und mich - ohne wirkliches Ziel - in den Zug nach Graz gesetzt hab."

Ausgerechnet die (kirchliche) Kleine Zeitung gab ihm den ersten Job - als Mitarbeiter im Vertrieb. "Gewohnt hab ich im katholischen Kolpingheim." Auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat landete der Ernstl bei der Kommunistischen Jugend. "Ich hab die Styria verlassen und bin KPÖ-Jugendsekretär geworden." Es war der Einstieg als Polit-Profi. Das war 1972. Elf Jahre später zog er in den Grazer Gemeinderat ein. "Ich bin selbst zwölf Mal gesiedelt und war oft mit brutalen Vermietern und unfairen Mieten konfrontiert. Deshalb hab ich die Sorgen der Leute, die diesbezüglich zu mir kamen, auch sehr gut verstanden."

Der Mieternotruf, den er einrichtete, wurde zum Hit. Und sein Kampf gegen Miethaie zur Legende. "Zum Glück haben mich alle Medien unterstützt. Wegen einiger meiner Aussagen wurde ich geklagt, aber immer freigesprochen!" Kaltenegger wurde zum "Löwen", der hart gegen die Ungerechtigkeit - hauptsächlich im Wohnungssektor - kämpfte. Es war ein persönlicher Kampf bei dem seine politische Einstellung eigentlich nur eine Nebenrolle spielte. Um Geld, das es von der herrschenden Politik nicht gab, für seine sozialen Anliegen aufzutreiben, schuf er 1998 ein beispielloses Modell: "Alle KPÖ-Mandatare zahlen seither freiwillig alles, was sie über 2.000 Euro netto verdienen, in unseren Fonds. Damit haben wir vielen Hilfesuchenden geholfen."

Der Ernstl ist bald ein Polit-Pensionär. Für jene, die ihn brauchen, wird er aber immer noch ein offenes Ohr haben.

Werner Kopacka. Steirerkrone 7.7. 2010

Veröffentlicht: 7. Juli 2010

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