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"Ein Mann sieht rot"

Falter-Interview mit dem Maler Josef Schützenhöfer

Ein Mann sieht rot
Präsidenten, Päpste, Polizisten: Nichts und niemand ist sicher vor dem Zorn des Malers Josef Schützenhöfer

Falter 46/2009 vom 11.11.2009

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Hat sich Josef Schützenhöfer in Fahrt und, ja, auch in Rage geredet, dann wechselt er gerne einmal und unvermittelt ins Amerikanische – die Sprache, in der er sich über zwanzig Jahre eingerichtet hat. Nachdem er Österreich 1977 im Zorn verließ, wie er gerne erzählt. Aber auch in den USA, seiner neuen Heimat, die er für ihre Kultur der Rechtsstaatlichkeit zu schätzen lernte, ist Schützenhöfer nicht zur Ruhe gekommen. Hier richtete sich sein Zorn gegen kriegsführende Präsidenten, gegen Fernsehprediger, bigotte Bischöfe oder gegen die Armee. Einen Army-Werbestand am Uni-Campus übergoss er einmal mit zwei Gallonen roter Farbe, verbunden mit der trockenen Aufforderung: „Take your fascism elsewhere!“

Der Faschismus holte Schützenhöfer auch ein, als er 1997 mit seiner Familie ins oststeirische Pöllau zog. Besonders erbitterte den Maler, dass dort zwar allerorts der deutschen Weltkriegstoten gedacht wurde, nirgendwo aber der alliierten Befreier. Obwohl 1944 in der Gegend der US-Bomber „Ramp Tramp“ abgeschossen worden war, elf Besatzungsmitglieder wurden dabei getötet. Darunter der Pilot Harry W. Moore, dem Schützenhöfer als „Liberator“ ein Denkmal im Pöllauer Schlosshof widmen wollte. Seit acht Jahren wogt der Streit zwischen Künstler, renitentem Denkmalschutz und Kommunalpolitik. Nächsten Juni werde das Denkmal endlich verwirklicht, ist Schützenhöfer zuversichtlich, der sich in den vergangenen Jahren auch intensiv mit Arbeiterporträts, Landschaftsmalerei und bösen Karikaturen unliebsamer Zeitgenossen beschäftigt hat. Eine Auswahl dieser „Früchte des Zorns“ ist ab dieser Woche in der Grazer Lagergasse zu sehen.

Falter: Worauf lohnt es sich zornig zu sein?

Josef Schützenhöfer: Ich denke nicht daran, ob es sich lohnt. Ich bin einfach in einer zornigen Verfassung. Zum Beispiel wenn mir in der Früh ein Polizist in Pöllau nachfährt und mir fünf Strafmandate gibt. Ich bin dann für drei Monate zornig und produziere aus diesem Zorn heraus. Um mich gegen Leute wie ihn zu wehren. Ich führe auch Buch über diese Personen. Ein Polizist schreibt sich ja auch alles auf.

Was genau macht Sie zornig?

Schützenhöfer: Diese schlampige Handhabe des Grundgesetzes. Dass sich dieser Polizist einen privaten Machtanspruch einrichtet und mir 21 Strafen zuteilen kann. Das ist Willkür. Dagegen richtet sich dieser Zorn.

Haben Sie den Polizisten auch provoziert?

Schützenhöfer: Die Kunst bewegt sich in einem Grenzbereich. Das ist unsere Aufgabe, damit die Grenze nicht immer weiter nach innen verschoben wird. So benehme ich mich auch, ich grüße diesen Polizisten also nicht schon aus einem Automatismus heraus. Der nimmt das als Irritation und ist dann sehr aufmerksam, wenn ich die Mittellinie auch nur um fünf Zentimeter überfahre.

Das war das Delikt?

Schützenhöfer: Ja, das war’s. Und dass ich beim Abbiegen nicht geblinkt hätte. Lauter Kleinigkeiten, gleich fünf hintereinander. Daraus wird eine Anzeige, es eskaliert und kostet viel Geld. Ich schreibe dann eine Retourkutsche und erkläre, dass ich ein überzeugter Blinker bin, dass ich vier Blinker am Auto habe, die andauernd blinken. Und dass ich besonders gerne nach links blinke. Nach rechts vielleicht nicht immer, aber ich bemühe mich.

Muss nicht jemand für Ordnung sorgen?

Schützenhöfer: Was ist denn an fünf Zentimetern Überschreitung Unordnung? Dann hat er mich auch noch wegen Fahrens gegen die Einbahn aufgehalten.

Aber das ist doch seine Aufgabe, oder?

Schützenhöfer: Mit dem Fahrrad, meine ich. Er war ganz aufgebracht, hat mich vom Fahrrad heruntergerissen. So übertrieben! Ich wundere mich eh, dass ich in Pöllau über den Hauptplatz gehen kann, ohne dass ich so eine Scheißanzeige bekomme.

Kann Zorn eine positive Energie sein?

Schützenhöfer: Negativ wäre, wenn ich mir einen Revolver besorgen und dem Polizisten sozusagen gleichberechtigt gegenübertreten würde. Ich bin aber positiv in meinem Zorn, ich setz’ mich hin ins Kammerl und mach was draus. Positiv, positiv, positiv.

Statt der Pistole nehmen Sie den Pinsel?

Schützenhöfer: Genau. Und ich schreibe sehr gerne Briefe an die Behörde. Ich war auch beim Bezirkskommandanten und wollte gegen den Pöllauer Polizisten Anzeige wegen Willkür erstatten. Ein schlanker Herr, auch gebildet, der sich über meinen kreativen Brief gefreut hat. Ich hab’ gesagt: „Ja, wenn Sie sich so freuen, dann müssen Sie aber ein bißchen Verantwortung übernehmen. Was macht ihr also mit dem Beamten? Der sitzt in Pöllau und macht mir und anderen das Leben eng.“ Er hat den Polizisten verteidigt. Aber seither gibt es keine Anzeigen mehr.

Das war doch produktiv!

Schützenhöfer: Ja. Aber jetzt haben wir hier einen neuen Pfarrer, so einen Charismatiker. Also hab’ ich schon wieder was zu tun.

Für das „Nicht mit uns“-Plakat, das Sie für die KPÖ gestalteten, haben Sie neben Hannes Androsch auch Julius Meinl V., dessen Schloss nicht unweit von Pöllau liegt, zum Ziel Ihres Zorns erkoren. Warum?

Schützenhöfer: Meinl klirrt immer sehr stark mit seinen Teetassen. Und das Klirren der Teetassen auf dem adeligen Tisch im bürgerlichen Schloss Lehenshofen ist bis in mein Atelier zu hören. Da bin ich zornig, muss etwas machen.

Und warum sieht Ihnen einer der dienstfertigen Arbeiter auf dem Plakat so ähnlich?

Schützenhöfer: Wenn ich Arbeiter male, ist das für mich eine Art Ehrenbezeugung. Ich habe zuletzt fünf Frauen bei Triumph gemalt. Das waren Betriebsrätinnen, die für diese Hundertschaft von Frauen, die an ganz feinen Dingen nähen, selbst aber fast keine Sprache mehr haben, die Sprache finden. Ich komme ja selbst aus so einem Umfeld, nicht aus einer Verwandtschaft von Akademikern, sondern aus ganz einfachen, proletarischen Verhältnissen. Ich weiß, wo ich mich einzureihen habe.

Dass Sie sich selbst ins Bild setzen, ist aber die Ausnahme, oder?

Schützenhöfer: Es gibt ein Selbstporträt als Papst-Mörder.

Als Papst-Mörder?

Schützenhöfer: Ein sehr altes Bild.

Was würde denn Ihren Zorn besänftigen?

Schützenhöfer: Ein Grundgesetz, vor dem auch die Polizei Respekt hat. Ich habe nichts gegen Polizisten und Ordnung. Aber wir haben zu viel davon.

Ist an dieser Fehde mit dem Pöllauer Beamten nicht vielleicht gerade Ihr Zorn schuld?

Schützenhöfer: Ja, ich übertreibe gerne. Ich hol mir jetzt ein Glas Wasser, ich hab’ schon Schaum vor dem Mund. Aber ein anderes Beispiel: die Turnhalle der Volksschule in Pöllau (die 1933 erbaute und 2001 restaurierte Halle schmückt das an ein Hakenkreuz erinnernde Symbol des antisemitischen Turnerbundes, Anm.). Meine Frau Janice is not a jewish princess, praktiziert das alles nicht, aber ihr Familienname ist Israel. Dann ist so eine Antisemiten-Räumlichkeit, die damals von den größten Nazis in Pöllau erbaut wurde, schon ein bisserl komisch. Ich kenne die Namen. I’m taking names, I’m not forgetting it. Und die Kinder müssen in diesem Scheiß turnen! Der Historiker Helmut Konrad hat damals, als die Halle renoviert wurde, einen Text geschrieben und der Gemeinde angeboten, er würde vor Ort über dieses Thema sprechen. Das haben sie ignoriert. Da bin ich dann zornig.

Sie haben bereits auf Einladung der ÖVP in der Grazer Burg ausgestellt, dem früheren Landesrat Kurt Flecker (SPÖ) einige Ihrer Arbeiterporträts für den Landtagssitzungssaal verkauft, unlängst das KPÖ-Plakat entworfen. Zieht die Politik Sie an?

Schützenhöfer: Hier bei der KPÖ fühle ich mich sehr zuhause, bei der ÖVP war das schwieriger. Da waren diese Krainers, dieses Bildungsbürgertum, das nicht wirklich meines ist. Ich bin da geschwind rein und geschwind wieder raus. Alles aufgehängt und verschwunden. Die Sache mit der ÖVP ist auch über meine entfernte Verwandtschaft zu Hermann Schützenhöfer (Landeshauptmannstellvertreter, ÖVP-Obmann und Cousin von Josef Schützenhöfers Vater, Anm.) zustande gekommen.

Läuft man nicht trotzdem Gefahr, vereinnahmt zu werden?

Schützenhöfer: Das stimmt. Ich hatte große Angst, als ich bei der ÖVP ausgestellt habe. Ich wollte das Bild des amerikanischen Piloten Harry W. Moore eigentlich nicht hinhängen. Die ÖVP wollte das Bild aber und hat dann zugestimmt, Robert Otto (ein Überlebender des Absturzes, Anm.) nach Graz zu bringen und bei einer kleinen Feier auch als „Befreier“ zu begrüßen. Schön ist, dass sich in der Zwischenzeit ein weiterer Überlebender gemeldet hat. Und ich werde über dieses ganze Thema an einer Kunstuni in den USA auch zwei Vorträge halten.

Wann hat Ihr Interesse für die Nazi-Zeit begonnen?

Schützenhöfer: Als Kind schon. Und zwar, ich habe es bildhaft vor mir, in der Grundschule in Pinggau-Friedberg. Die Bude gibt’s heute nicht mehr. Der Lehrer hatte ein dickes Geschichtsbuch über den Zweiten Weltkrieg. Nur Fotos, Fotos, Fotos. Aber ein dickes Kapitel des Buchs war zugeklammert. Das war wahrscheinlich Mauthausen. Beim Wandertag waren diese Lehrer dann unter sich, und immer wenn ich hingehört habe, ist es um die braune Zeit gegangen. Und Watschen haben wir kriegt. Als Kind hat man ein starkes Empfinden für Ungerechtigkeiten. Später bin ich nach Wien abgehaut, dort ist die nächste Scheißgeschichte passiert. Dann bin ich ganz weggegangen.

Die Geschichte, als Sie sich, um einem Sandler zu helfen, mit der Polizei angelegt haben?

Schützenhöfer: Damals wurde ich übrigens am selben Posten eingesperrt, vor dem Peter Weibel das Foto „Polizei lügt“ gemacht hat. Später wurde mir auch noch die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt. Ich hatte mir meine Schulausbildung als Zahntechniker ja bei der US Navy verdient. Aber ich wollte eh nicht zurück nach Österreich. I fucking don’t care. Nur war es als Staatenloser schwierig zu reisen. Nach Mexiko zum Beispiel. Ein Horror.

Was wollten Sie denn dort?

Schützenhöfer: Ein bisschen Drogen konsumieren, war ja billig.

Die Staatsbürgerschaft wurde Ihnen aberkannt, weil Sie in einer fremden Armee gedient haben. Wie haben Sie sie zurückbekommen?

Schützenhöfer: Mit Hilfe eines Verwandten. Wir mussten zu diesem Beamten in der Landesregierung kriechen. Dort sitzen wir so am Tisch, der Hofrat lobt Österreich über alles, motzt ein bisserl auf die USA und die Kunst. „Diese Kunst! Diese Ge-Nitsche! Und diese Farbe Rot ist mir überhaupt unsympathisch“, hat er gemeint. Da ist mir der Kragen geplatzt, und ich habe gesagt, dass Schwarz nicht einmal eine Farbe ist. Ich war nah dran, wieder einpacken zu müssen.

Der Kunstbetrieb in Österreich hat Sie nur sehr zögerlich aufgenommen. Warum?

Schützenhöfer: Kunstbetrieb! Als Künstler ist mir zunächst wichtig, mich zu äußern und immer wieder aufzuzeigen. Ob der Kunstbetrieb aufmerksam wird, ist sekundär. Zuerst will ich meine kleinen Kämpfe und Feindbilder malen und inszenieren. Natürlich freut es mich, dass es Leute gibt, die das Zeug kaufen. Aber dass ich kalkuliert die Kunstzeitschriften studiere? Das mache ich nicht.

Seit Sie wieder in Österreich sind, gab es weder eine Personale noch einen Katalog. Sie scheinen es nicht darauf anzulegen, oder?

Schützenhöfer: Ich zahle 60 Euro Miete für mein Atelier, Janice arbeitet als Krankenschwester und assists me kindly. Wenn man die Kosten niedrig hält, ist man nicht darauf angewiesen, krampfhaft zur Galerie zu gehen, zu drängen. Es gibt ohnehin ein paar Leute, die kaufen. Vielleicht wird es noch besser. I don’t know, ich verlasse mich nicht darauf. Overhead needs to remain low. Und ich will wieder nach Venedig.

Was wollen Sie dort?

Schützenhöfer: Ich wollte erst nie hin, weil Venedig von der Biennale vergiftet ist. Aber meine Frau hat mich gedrängt, und dann sind wir eben gefahren. In der Galerie dell'Accademia war ich sehr angetan von der grandiosen Kunst der Renaissance-Malerei, von Tiepolo, von Bellini. Da fühle ich eine Nähe. Gleichzeitig irritiert mich aber der Kunstmarkt, die Kuratoren, die Kunstkritiker, der übertriebene Wortschatz, dieser Elfenbeinturm. Darüber will ich auch ein Bild machen, ein sehr aufwendiges Motiv von Bellini nachmalen und dazu einen Kontrast setzen – in dem Sinn, dass man die Kunst auch zerschlagen muss. Man muss modernism, post-modernism zerschlagen, die Malerei muss immer wieder neu traktiert werden. Marcel Duchamp hat das von außen versucht, indem er rundherum tanzte und sie als „olfactory masturbation“ bezeichnete. Aber eigentlich müsste man ordentlich von innen eingreifen.

Weil Sie hier im blauen Arbeitsmantel sitzen, der auch in Ihren Arbeiten vorkommt: Verstehen Sie sich als Arbeiter oder Künstler?

Schützenhöfer: Ich bin schon Künstler, aber wenn ich zu den Arbeitern bei Triumph oder Steyr-Puch gehe, fühle ich mich sehr zuhause. Obwohl es furchtbar ist, wenn ich daran denke, welche Parteien diese Arbeiter zum Teil wählen. Das entsetzt mich. Trotzdem gehöre ich dazu, ich komme von dort. Mein Vater hat in Wien am Bau gearbeitet. Unterste Schicht, mit 16 ist er in den Krieg, hat die Ausbildung verpasst.

Verklären Sie die „Arbeiterklasse“ in Ihren Bildern nicht zu stark?

Schützenhöfer: Als ich bei Steyr-Puch gemalt habe, habe ich am Abend mit den Hubstaplerfahrern gesprochen. Ich brachte es aber nicht fertig, sie gleich zu fragen, was sie wählen, sondern habe sie nach ihren Lebensumständen gefragt. Einer musste nach der Arbeit noch ausklappbare Wäschetrockner für den Garten verkaufen. Da habe ich mir gedacht: „I’m such a privileged individual“. In dem Moment wird es furchtbar schwer, eine Stellungnahme einzufordern, ob jemand nun FPÖ wählt oder nicht.

Haben Sie in Österreich so etwas wie eine Heimat gefunden?

Schützenhöfer: Janice und ich müssen uns gerade entscheiden, ob wir dableiben oder nicht. Ich bin ja schon ein bisserl älter. Andauernd abbrechen und wieder neu aufbauen ist äußerst schwierig. Wir haben beschlossen, dass wir hier zwar nicht zuhause sind, aber einen Hafen haben. It’s a good harbour. Venedig ist nahe, und im Februar fliege ich in die USA. Weißt’, wo ich sehr gerne zuhause bin? Das ist die Literatur. Ich lese sehr gerne meine amerikanischen Bücher. James Agee, der mit Walker Evans zusammen „Let Us Now Praise Famous Men“ geschrieben hat. Grandios. Wenn ich nur zehn Seiten lese, fühl’ ich mich zuhause. Haus bauen, Mischmaschine fahren lassen – das kann ich nicht.

(Falter, Nr. 46/09)

„Früchte des Zorns“ versammelt Ölbilder – darunter zwei eigens gefertigte Werke –, Aquarelle und Zeichnungen von Josef Schützenhöfer, die in den letzten 25 Jahren entstanden. Kuratiert von Günter Eisenhut mit Unterstützung von Martin Behr und Joachim Baur. Anlässlich der Ausstellung ist auch der erste Schützenhöfer-Katalog überhaupt entstanden.

Volkshaus, Graz
Vernissage: 13. November 2009, 19.00 Uhr

Am 11. Dezember 2009, 19.00 Uhr, und zur Finissage am 15. Jänner 2010, 19.00 Uhr, spricht der Maler persönlich über seine Arbeit. Unbedingte Empfehlung!

Veröffentlicht: 11. November 2009

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