Archivierte Artikel: Die enthaltenen Informationen sind möglicherweise veraltet.

Ein Blick von außen auf Österreich nach den Wahlen

Joachim Bischoff/Gerhard Müller in sozialismus.de

Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Keine Entzauberung der politischen Rechten
Nationalratswahlen in Österreich

(4.10.2006)
Österreich war in den letzten Jahren von einer blau-schwarzen Koalition regiert worden. Kurzzeitig regte sich auf der europäischen politischen Bühne Widerstand gegen dieses politische Bündnis der großen bürgerlichen Volkspartei mit den Rechtspopulisten von der FPÖ. Die "Bürgerlichen" versprachen die Entzauberung des Rechtspopulismus. Die politische Klassen in Europa arrangierten sich unter der Konjunktur der rechtsradikalen Parteien mit dem Faktum der Regierungsbeteiligungen.
In Österreich selbst zerlegte sich die FPÖ über mehrere Skandale in verschiedene Strömungen und Abspaltungen. Das herausragende Ergebnis der Parlamentswahlen ist freilich: Die unter einander zerstrittenen Rechtsparteien FPÖ und BZÖ kehren nach einem beinharten ausländerfeindlichen, rassistischen Wahlkampf mit einem Stimmanteil von zusammen 15,4 % (es handelt sich um vorläufige Ergebnisse, die sich nach Auszählung der Briefwählerstimmen noch leicht ändern können) auf die politische Bühne zurück. Der Rechtsradikalismus ist nicht entzaubert worden.

Die seit 1999 regierenden Koalition aus ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ - seit 2005 infolge der Parteiaufspaltung der FPÖ mit der gleichfalls rechtsstehenden BZÖ (Bewegung Zukunft Österreich) fortgeführt - wurde abgewählt. Als Sieger präsentiert sich die SPÖ, die eine künftige neue Koalitionsregierung vermutlich mit der ÖVP anführen wird. Bei genauerer Betrachtung der Wahlergebnisse zeigt sich allerdings, dass auch in Österreich die Krise von Politik und Parteiensystem ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat.

Erstens: Die Wahlbeteiligung ist von 84,3% auf 74,2% gesunken (-10,1%) Der Strom der neuen Nichtwähler speist sich vor allem aus enttäuschten ÖVP- (215.000) und SPÖ-WählerInnen (183.000).

Zweitens: Beide große Volksparteien haben deutlich Stimmen verloren, die ÖVP (minus 554.000) allerdings deutlich mehr als die Sozialdemokratie (minus 203.000), so dass die SPÖ nunmehr wieder die stärkste politische Kraft ist. Die ÖVP verlor vor allem an den Nichtwählerbereich, die Rechtsparteien (145.000) sowie SPÖ (92.000) und Grüne (96.000). Auch die SPÖ musste neben dem Nichtwählerbereich Stimmen an die Rechtsparteien abgeben (ca. 100.000) Bezieht man die Stimmergebnisse auf die Zahl der Wahlberechtigten, dann repräsentieren SPÖ (26,0%) und ÖVP (24,9%) gerade noch einmal 51% der WählerInnen. 2002 waren das immerhin noch 65%.

Drittens: Betrachtet man die Blöcke, also politische Linke und bürgerliches Lager, sind die Kräfteverschiebungen keineswegs signifikant. ÖVP und Rechtsparteien kommen auf einen Anteil von 49,6% (nach 52,3% in 2002) und SPÖ und Grüne auf 46,2% (nach 46,0% in 2002). Bemerkenswert ist allerdings der Wähleraustausch bei den Grünen, die trotz Gewinnen bei den Stimmenanteilen auf 10,5%, absolut stagnieren: 97.000 früheren Grünen-WählerInnen, die nicht mehr zur Wahl gegangen sind, stehen Zugänge von 96.000 Stimmen früherer ÖVP-WählerInnen gegenüber. Die Grünen sind also noch "bürgerlicher" geworden.

Viertens: Der eindeutige Sieger dieser Wahl sind die Rechtspopulisten aus FPÖ und BZÖ. Sie haben absolut (+ ca. 200.000) und relativ (+5,4%) dazu gewonnen und sind mit 15,4% (FPÖ: 11,2%; BZÖ: 4,2%) eindeutig die drittstärkste Kraft in der österreichischen Parteienlandschaft.

Die Affären, Querelen und Spaltungen der letzten Jahre haben dem österreichischen Rechtspopulismus keineswegs geschadet. Die Abspaltung der "Regierungsrechten" unter Jörg Haider als BZÖ in 2005 hat den politischen Raum für eine rassistische Protestpartei freigemacht, die das politische Klima und die Kultur herausfordern wird.

Eindeutiger Gewinner der Konkurrenz im rechtspopulistischen Lager ist die FPÖ, die sich nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung weiter radikalisiert hat und mit Parolen wie Daham statt Islam, Sichere Pensionen statt Asyl-Millionen oder Sozial statt gierig und brutal immer hemmungsloser populäre Vorurteilsstrukturen bedient. Dem wollte die (auch als möglicher zukünftiger Regierungspartner akzeptierte) BZÖ im Wahlkampf nicht nachstehen und forderte, 300.000 Ausländer in den nächsten drei Jahren aus dem Land zu weisen. Hierher gehört auch die Forderung von Haider, ein einsprachiges Kärnten durchzusetzen - ein Frontalangriff auf die im Staatsvertrag verbrieften Rechte der dort lebenden slowenischen Minderheit.

Die vor allem vom bürgerlichen Lager und den Medien nach der Nationalratswahl 2002 gefeierte "Entzauberung des Rechtspopulismus" hat sich - wie nicht anders zu erwarten - als Selbsttäuschung erwiesen. Der Rechtspopulismus ist von seiner Grundkonstruktion (innere Widersprüche, charismatischer Führer, Übernahme seiner Themen durch etablierte Parteien) her krisenanfällig. Er durchläuft deswegen verschiedene Phasen von Aufstieg und Niedergang. Zur bloßen Randerscheinung wird er erst, wenn die Mentalitäten, die seinen Nährboden bilden, und ihre gesellschaftlichen Ursachen beseitigt sind. Das bürgerliche Lager wird seine braunen Weggefährten deshalb solange nicht los, wie es seine Politik nicht ändert.

Das Widererstarken des Rechtspopulismus führt allerdings weder in Österreich noch sonst wo in Europa zu anhaltendem Widerstand der Demokraten. Gewöhnung, Gleichgültigkeit oder auch Ratlosigkeit haben ihn nicht nur in Österreich zu einem mehr oder weniger akzeptierten Bestandteil des politischen Systems werden lassen.

Die dramatischen Stimmverluste für die ÖVP sind die Quittung für eine neoliberale Politik, deren Hauptprogrammpunkt die Förderung der Interessen der Vermögenden und Unternehmen (Steuersenkungen + Privatisierung öffentlicher Unternehmen) bei gleichzeitigem Rückbau des Sozialstaats war. Die versprochen Erfolge blieben aus. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum lag in den Jahren 2000-2005 bei bescheidenen 1,9 % und die Arbeitslosigkeit stieg von 3,6 % in 2000 auf 5,2% im Jahr 2005. Besonders markant war der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit auf 11% (+ 27,5% gegenüber 2002). Auf die daraus und einer veränderten Beschäftigtenstruktur (mehr Teilzeitbeschäftigung und prekäre Beschäftigungsverhältnisse) resultierende stärkeren Belastung der sozialen Sicherungssysteme reagierte die Regierung Schüssel nach bekanntem neoliberalen Muster: Leistungskürzungen (z.B. bei der Rente, Krankengeld) und stärkerer Belastung der privaten Haushalte (z.B. höhere Beiträge und Zuzahlungen bei Gesundheit).

Die mit Abstand brutalste Attacke auf die sozialen Rechte der Lohnabhängigen war zweifellos die Pensionsreform 2003. Nachdem die schwarz-blaue Regierung in 2001 im Eiltempo schon die Abschaffung der Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit, die Anhebung des Frühpensionsalters um 1,5 Jahre und eine Erhöhung der Pensionsabschläge beschlossen hatte, folgte nun im 2003 der Frontalangriff: Senkung der Neupensionen im Durchschnitt um 13,5% ab 2004 und kurzfristige Abschaffung aller vorzeitigen Alterspensionen. Die österreichischen Gewerkschaften konnten zwar mit ihrem ersten Generalstreik der Nachkriegsgeschichte einige Verbesserungen erreichen (z.B. 10%-Verlustdeckel), die nachhaltige Beschädigung der öffentlichen Alterssicherung aber nicht verhindern.

Der Abbau sozialer Sicherheit und die wachsende soziale Polarisierung waren sicher die Hauptgründe für den Vertrauensverlust der Schüssel-Regierung. Daneben gab es aber auch die üblichen Korruptionsaffären und Skandale, die das Ansehen der Regierung nachhaltig beschädigten. So wurde kurz vor den Wahlen bekannt, dass sich die Schwiegermutter des Bundeskanzlers von einer slowakischen Pflegekraft ohne Arbeitsgenehmigung für 2,50 Euro pro Stunde rund um die Uhr betreuen ließ.

Die SPÖ hat den Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit, die Pensionsreform der Regierung Schüssel, den Bildungsnotstand sowie die sich ausbreitende Zwei-klassen-Medizin zu zentralen Themen ihres Wahlkampfs gemacht und eine gerechtere Verteilung des Wohlstands versprochen. Das hat gereicht, um die eigene Stammwählerschaft zu mobilisieren - mehr nicht. Über eine alternatives Konzept zur neoliberalen Agenda der ÖVP verfügt die Partei nicht. In der wahrscheinlichen Großen Koalition sind zudem die Spielräume noch enger, um auch nur kleine Verbesserungen für die Lohnabhängigen und sozial Ausgegrenzten durchzusetzen. Hinzu kommt das angespannte Verhältnis zu den Gewerkschaften, das sich durch die BAWAG-Affäre noch weiter verschlechtert hat und die SPÖ bei den Wahlen schon auf die Verliererstraße zu führen drohte.

Die aus hochspekulativen Finanzspekulationen resultierenden Verlustgeschäfte der Österreichischen Bank für Arbeit und Wirtschaft (BAWAG) in Höhe von ca. 2 Mrd. Euro haben den Österreischischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) an den Rand der Insolvenz gebracht. Er konnte nur durch eine von der Regierung Schüssel abgegebene befristete Bundesgarantie in Höhe von bis zu 900 Mio. Euro abgewendet werden. Auch nach dem Verkauf wird der ÖGB beträchtliche Abschreibungen am eigenen Vermögen vornehmen müssen. Er ist faktisch pleite. Neben dem materiellen Schaden, der die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften dramatisch einschränkt, bleibt ein nicht bezifferbarer Imageschaden, der den Vertrauensverlust großer Teile der Bevölkerung in das politische System und die tragenden gesellschaftlichen Institutionen verstärkt.

Auch in Österreich müsste ein grundlegender Politikwechsel populär gemacht werden . Die Aussichten für einen politischen Aufbruch gegen den Neoliberalismus der großen Koalition und gegen die menschenfeindliche Politik der Rechtsparteien sind freilich nicht blendend. Die Gewerkschaften werden für längere Zeit mit Aufräumarbeiten in den eigenen Reihen beschäftigt sein und das linke Spektrum der Zivilgesellschaft ist zu zersplittert und machtlos. Zwar hat die KPÖ ihren Stimmenanteil von 0,4% auf 1,0% steigern können, aber an der skeptischen Einschätzung für eine überfällig politische Erneuerung ändert sich durch dieses Faktum nichts.

Veröffentlicht: 4. Oktober 2006

Archivierte Artikel: Die enthaltenen Informationen sind möglicherweise veraltet.