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Die FAZ entdeckt Kaltenegger und Murgg

Auszüge aus einem Artikel vom 15. 9. 05

Reüssiert die KPÖ?
Steirische Chancen einer Partei, die lange brauchte, um sich vom Marxismus-Stalinismus zu lösen / Von Reinhard Olt

GRAZ, im September

Werner Murgg und Ernest Kaltenegger sind Zugpferde. Sie ziehen ihre steirischen Ortsgruppen mit sich. Damit machen sie die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) für Wähler im ganzen Bundesland attraktiv. In Leoben, der von Bergbau und Montan-Universität geprägten zweitgrößten Stadt der Steiermark, gelang es Murgg, in der Kommunalwahl vor zwei Jahren an der Spitze einer KPÖ-Ortsliste deren Stimmenanteil von 4,5 auf 10,5 Prozent zu erhöhen. Damit verdreifachte er die Zahl der kommunistischen Gemeinderäte. Der in den Stadtrat eingerückte Historiker hat sein "Handwerk" beim Grazer Kollegen Kaltenegger gelernt, der über eine weit größere Erfahrung politischer Arbeit verfügt. Seit Jahren engagiert sich Kaltenegger in der Mieterberatung, tritt mit Hilfe des 1992 von ihm eingerichteten "Mieter-Notrufs" für soziale Anliegen im Alltag ein und kämpft für den Erhalt städtischen Eigentums. Er lebt persönlich vor, was er fordert und auf gänzlich undogmatische, jedenfalls ohne mit Parteivokabular gespickte Weise vorträgt: Einen Teil seines Salärs als hauptamtliches Stadtsenatsmitglied läßt er Bedürftigen zukommen. Zu jedem Jahreswechsel zieht Kaltenegger Bilanz, wie viele Menschen er vor "Delogierung" (Wohnungszwangsräumung) bewahrte, wie viele Duschen er bezuschußte und wie oft es ihm gelang, Bäder in stadteigenen Mietwohnungen installieren zu lassen.
Das trug ihm Anerkennung ein, Zuspruch und Wählerstimmen über die "kleinen Leute&amp"hinaus: Erst gelang es Kaltenegger, 1998 den Stimmenanteil der KPÖ in der Landeshauptstadt Graz von vier auf 7,9 Prozent zu erhöhen und - erstmals seit der unmittelbaren Nachkriegszeit - einen Kommunisten, nämlich sich selbst, in den Stadtsenat zu entsenden. In der Kommunalwahl 2003 waren es dann 21 Stimmenprozente, zwölf Mandate und zwei Sitze im Stadtsenat. Jetzt schickt sich Kaltenegger als KPÖ-Listenführer an, auch ins Grazer Landhaus (Landtag) einzuziehen. Wenn die Demoskopie nicht täuscht, so erreicht der Sechsundfünfzigjährige in der Landtagswahl am 2. Oktober sein Ziel; läuft es für die KPÖ besonders gut, sitzt vielleicht auch der Leobener Murgg neben ihm auf der Abgeordnetenbank. Weder im Burgenland, wo eine Woche später, noch in Wien, wo am 23. Oktober ebenfalls Landtagswahlen stattfinden, besteht für die österreichischen Kommunisten auch nur der Hauch einer Chance auf Rückkehr ins Parlament. In allen Bundes- und Landeswahlen blieb ihnen seit Anfang der fünfziger Jahre der Einzug in Nationalrat oder Landtage versperrt.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. 9.05, S. 12

Veröffentlicht: 15. September 2005

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