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63 Jahre danach: Manchen fällt die Erinnerung noch schwer

Korso berichtet über Pacher-Text und Wirtschaftskammer-Panik

63 Jahre danach“ fällt Erinnerung noch immer schwer

Nach einem einstimmigen Landtagsbeschluss wurde der Künstler Jochen Gerz von der steirischen Landesregierung mit der Schaffung von Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum beauftragt, die sich mit dem Alltag in der NS-Zeit beschäftigen sollten. Dass nicht alle Akteure dabei mitspielten, erzeugt letztendlich ein realistisches Bild vom Erinnerungswillen der SteirerInnen. Als der damalige Kulturlandesrat Kurt Flecker das von Gerz geschaffene Erinnerungszeichen – die Inschrift „ICH SIEGFRIED UIBERREITHER LANDESHAUPTMANN“ – im Grazer Burgtor am 9. Dezember 2008 der Öffentlichkeit präsentierte, war dies gleichzeitig der Startschuss für eine Fortführung des Erinnerungsprojektes: An 24 Orten in der Steiermark – 12 davon in Graz – sollten Foto-/Text-Objekte installiert werden, die Fotos mit Alltagsszenen aus den Jahren 1938 bis 1945 wurden von LeserInnen der Kleinen Zeitung eingesandt, von WissenschafterInnen ausgewählt und von steirischen Landtagsabgeordneten kommentiert.
Vier der ausgewählten Gemeinden lehnten eine Aufstellung der Erinnerungszeichen im Vorfeld ab – Haus im Ennstal, Neumarkt, Untertal/Rohrmoos und Bad Mitterndorf; acht weitere akzeptierten sie: St. Ilgen, Gleisdorf, Köflach, Wagna, Leoben, Eisbach-Rein, Selzthal und Feldbach.

Aber auch in Graz konnten nicht alle Tafeln aufgestellt werden: Die Wirtschaftskammer ordnete am 12. März die Entfernung der bereits auf ihrem Grund aufgestellten Tafeln an, weil sie zwar mit der Erinnerungsaktion als solcher, aber weder mit dem auf der spezifischen Tafel dargestellten Foto noch mit dem von der kommunistischen Landtagsabgeordneten Renate Pacher verfassten Kommentar einverstanden sei, den sie als unternehmerfeindlich interpretierte. Der inkriminierte Text lautet: „Damals hieß die Losung: „Es gibt keine Klasse, nur ein deutsches Volk“. Und heute heißt es: „Wir sitzen alle im selben Boot. Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut ...“. Und ganz aktuell sagt man: „In der Krise müssen alle ihren Beitrag leisten“. Die alten Lügen in neuem Gewand. Nur, die einen zahlen den „Beitrag“ in Form von Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Verelendung und im schlimmsten Fall auf dem Schlachtfeld oder im Gefängnis. Den anderen winkt nicht selten Straflosigkeit und oft genug eine fette Dividende.“ Laut Pressestelle der Kammer sei ihr der Text nicht im Vorhinein bekannt gewesen, eine Aussage, die der Verantwortliche für die Umsetzung des Projektes dementiert: Werner Fenz, Leiter des Instituts für Kunst im Öffentlichen Raum, gibt an, dass Foto und Text der Kammer sehr wohl beim ersten Kontakt übermittelt worden seien.

korso 4/2010

16. April 2010