Spielsucht: Aller Anfang ist leicht...

Ein Betroffener berichtet von seinen Erfahrungen

Diesen Text hat uns ein Spieler zur Verfügung gestellt. Er möchte zeigen, wie leicht man in die Spielsucht rutschen kann und wie die Politik zur Komplizin einer Industrie geworden ist, die auf dem Rücken der Betroffenen und ihrer Angehörigen Milliardenumsätze erwirtschaftet. Dass uns dieser Text aus dem Gefängnis erreicht, ist auch eine Warnung, welche Konsequenzen Spielsucht haben kann und in vielen Fällen hat.

Beginn und Ende einer Spielerkarriere in der Steiermark

Kapitel 1

Es begann alles ganz harmlos, fast schon banal. Vor Jahren wurde ich von einem Künstlerfreund dazu animiert, mit ihm ins Casino Graz zu gehen. Ich dachte: Kann ich ja einmal probieren, und wenn ich den Hunderter, den ich dafür vorgesehen habe, verliere, geht das in Ordnung. Ich hätte das in diesem Fall als Erfahrung betrachtet.

Gesagt, getan. Ich saß vor ein paar Maschinen, und da ich ja immerhin Künstler war, der die Absurdität seines eigenen Tuns zu durchschauen glaubte, sah ich mich auch gefeit vor eventuellen psychologischen Mechanismen. Ich saß vor einer Slot-Machine, schob den Hunderter in den dafür vorgesehenen Schlitz und startete den Automaten. Die Symbole liefen ein paarmal über den Bildschirm und blieben plötzlich stehen. Drei gleiche Symbole bildeten in der Mitte des Bildschirms eine Reihe. Ich wollte weiterspielen, aber es tat sich nichts. Nur ein gleichmäßiges Ticken kam aus dem Inneren der Maschine, ganz oben leuchteten die Lichter in einem kleinen Glaszylinder.

Ich dachte schon, ich hätte etwas beschädigt, doch es kam anders. Mir war die Situation peinlich, ich wollte weg, doch starrten mich die Leute an und ich musste bleiben, dazu stehen. Dann kamen einige Angestellte des Casinos direkt auf mich zu. „Gratuliere, Sie haben den Hausjackpot geknackt!“ Aus den Lautsprechern hörte ich noch eine Fanfare mit dem Wort „Jackpot“ in einer tiefen Stimmlage, dazu blätterten mir die Männer 60.000 Euro auf die Hand.

Man muss sich das einmal vorstellen, ich war immer ein engagierter Künstler, der sich in seinen Projekten für soziale Gerechtigkeit einsetzte. Als solcher hatte ich binnen weniger Minuten 60.000 Euro in der Hand. Anfangs wusste ich nicht, ob dies Segen oder Fluch bedeute, ich wollte doch nur aus Neugier einmal im Casino spielen und hatte keine wirkliche Gewinnabsicht.

Dass in diesem Moment mein völliger Niedergang, die Zerstörung meiner Persönlichkeit eingeschlossen, begann, konnte ich nicht im geringsten ahnen, erst recht nicht, dass ich nicht nur mich selbst in meiner Existenz gefährden würde, sondern mein gesamtes Umfeld, meine Familie, meine Freunde – und hätte ich eine eigene Familie gehabt, auch diese!

Damals, im Jahr 2003, war Graz gerade europäische Kulturhauptstadt, ich war daran mit einem Projekt beteiligt. Ursprünglich wollte ich meinen Gewinn wieder in neue Projekte investieren, merkte aber noch nicht, dass sich etwas in mir verändert hatte, wogegen ich anzukämpfen nicht imstande war. Sicher, man kann sagen, mit Vernunft oder anhand der Beobachtung anderer „Spielerschicksale“ wäre es doch geboten gewesen, diese Veränderung zu durchschauen. Gerade das „magische Denken“ verzerrt aber die Wahrnehmung. Ich ging wieder ins Casino und dachte, es sei ziemlich einfach, zu gewinnen.

Ich war nie ein Mensch, der sich durch Geldgewinne persönlich bereichern wollte. Im Privaten lebte ich bewusst bescheiden, prangerte privaten Millionenreichtum und die durch Gier entstandene öffentlich Armut an. Öffentliche Armut ist zum Beispiel das fehlende Geld der öffentlichen Hand, weil Steuern nicht bezahlt und Reiche begünstigt werden, Banken und Spekulanten zum Nachteil der Öffentlichkeit ganze Volkswirtschaften verspielen. Letztlich bleiben so immer mehr arme und an der Armutsgrenze lebende Menschen über, auf die sich eine besondere Gattung von „Abzockern“ spezialisiert haben: die Anbieter des so genannten „kleinen Glücksspiels“, welches kurzerhand und völlig legal zu einem großen Glücksspiel gemacht wurde. So erscheinen diese Anbieter seriös und können mit minimalen Spielschutzauflagen agieren. Doch ich spielte ja schon im „staatlichen“ Casino, wo die Auflagen viel rigider waren als in jenen Lokalen, in denen das „kleine Glücksspiel“ angeboten wird.

Ein Sozialfall

Kapitel 2

Aber zurück zu meiner Geschichte. Ich ging also wieder ins Casino, um in Erfahrung zu bringen, ob es wirklich so einfach sei, schnell Geld zu verdienen. Meine Projekte hatten ja Zeit. Ich nahm mir von dem Geld ein kleineres Bündel und wollte es am Roulettetisch versuchen. Ich verlor. Zu Hause dachte ich mir: Vielleicht ist der Automat doch besser. Am darauf folgenden Tag ging ich wieder hin, verlor und verlor. Daneben sah ich andere gewinnen. Es muss doch gehen, beim ersten Mal habe ich immerhin gleich 60.000 Euro gewonnen… Aber ich verlor und verlor, bemerkte nicht, dass es längst nicht mehr um Geldgewinn ging, sondern um das Gefühl, welches beim Gewinnen entsteht.

Ich bemerkte nicht, dass ich die Impulskontrolle verloren hatte, ein völlig „neues Denken“ entwickelt hatte, in dem es nur mehr um das Hochgefühl des Gewinnens geht, dass ich, angetrieben von der Niedergeschlagenheit in der Verlustphase, nur noch diesem Hochgefühl hinterherlaufe. Ich war unbemerkt zu einem Abhängigen einer Maschine geworden.

Auch ein Lügner wurde ich, ich belog meine Freundin, meine Freunde, alle. Ich wollte nicht gesehen werden, wenn ich ins Casino ging, denn die Vernunft, vor der war es immer noch eine Schande, ins Casino zu gehen. Ich besuchte, wie ich später auf einem Auszug sah, 30 Mal das Casino, verspielte die 60.000 Euro wieder, mein gesamtes eigenes Geld und auch Geld meiner damaligen Freundin. Ich stellte mich selbst meiner Verantwortung und kam ins Gefängnis. Das war mir nur recht, es war ein erster Schritt, meine Spielsucht zu bezwingen. Doch eine Therapie für Spielsüchtige gab es im Gefängnis nicht. Ich hoffte mich selbst zu heilen. Zunächst sperrte ich mich vom Gefängnis aus im Casino (was überflüssig war, denn man müsste in Österreich schon entmündigt sein, um nicht jede Sperre wieder aufheben zu können), arbeitete an meinen Bildern. Ich war felsenfest davon überzeugt, die Spielsucht aus eigener Kraft überwunden zu haben, ich bräuchte bloß nicht ins Casino zu gehen.

So wurde ich 2010 wieder entlassen, fand durch die Kunst wieder einen Einstieg in die Gesellschaft. Zwar war ich nun ein „Sozialfall“, aber aufgrund meiner Fähigkeiten würde ein Aufstieg schon bald möglich sein. Einen großen Bogen um das Casino machend ging ich zum Sozialamt, wo ich 2010 meine Mindestsicherung erhielt. Daneben absolvierte ich ein Unternehmensgründungsprogramm, welches mir vom AMS aufgrund meiner Ausbildung und meiner Fähigkeiten finanziert wurde. Mein Plan war es, eine Art soziale Galerie zu gründen, in der am Rande der Gesellschaft lebende Menschen ihre Kreativität zum Wohle der Gesellschaft einbringen könnten, „Kultur von unten“ als alltagstaugliche Überlebensstrategie. Rohe und unverblümte Kunst eben. Ich kam bei einem Spielanbieter vorbei. „Wetten, Sie gewinnen!“ stand in übergroßen Lettern auf der Front eines Hauses. Mir waren die zahlreichen kleineren Spielstätten schon immer aufgefallen, in Graz kann man kaum durch eine Straße gehen, ohne an mindestens einem dieser Lokale vorbeizukommen.

Bis ich mir mein eigenes Atelier leisten konnte lebte ich in einer „Übergangswohnung“ der Stadt Graz. Dort fiel mir auf, dass andere Bewohner gerne in einer der umliegenden Spielstätten ihr Glück versuchten. Ich hörte öfter, dass jemand so und so viel gewonnen hätte. Damals war mir nicht klar, dass ein Spieler immer nur von seinen Gewinnen erzählt, niemals von seinen Verlusten. „Gewinnen“ bedeutet für jemanden, der im Leben schon alles verloren hat: Ich lebe noch, schaut her, ich bin doch ein „Glücksmensch“, ich bin dabei, habe die Maschinen durchschaut.

Tatsächlich funktioniert der Ablauf im Krankheitsbild Spielsucht so, man sieht nur noch die wenigen Gewinne, diese Momente sind derart verstärkt, dass man sich überheblich für einen Gewinner hält. Man verliert jeden Bezug zum Geld. Der Traum, einfach Gewinner zu sein, besteht in der Aneinanderreihung fünf gleicher Symbole oder das „Aufgehen“ dreier Scatter. Das klingt banal, ein nicht von der Spielsucht Betroffener kann sich das gar nicht vorstellen – er kann ja die Vernunft, seine positiven Lebensumstände und alles, was Spaß macht, dagegenhalten. Er hört vielleicht von der Spielsucht, bemerkt die Vielzahl an Spielstätten, an denen er Tag für Tag ahnungslos vorbeigeht, ahnt aber nicht, dass aber ein kleiner Zufall genügt, etwa Neugier, selbst damit in Kontakt zu kommen und zum pathologischen Spieler zu werden. Konfrontiert mit der Spielsucht wird er allemal, im persönlichen Umfeld, im Bekannten- und Verwandtenkreis ist statistisch gesehen mindestens ein Automatenspieler zu finden, Tendenz steigend.

Es können eure Kinder sein!

Kapitel 3

Ein krankhafter Spieler hält seine Sucht geheim. Zunächst versucht er, im engsten Freundkreis zu Geld zu kommen, dann bei Freunden. Ist diese Quelle versiegt, bleibt allzu oft nur mehr der Weg ins Kriminal. Natürlich ist nicht jeder Spieler kriminell, die Tendenz steigt aber mit sinkender Einkommensgrenze proportional; Je weniger jemand hat, desto wahrscheinlich ist es, dass er alles unternehmen wird, um weiter spielen zu können, psychologisch verstärkt durch die Werbung: „Wetten, Sie gewinnen!“, die Erfolg, Kompetenz und Sicherheit vermittelt (nicht nur um Glücksspielbereich).

Für den Spieler bedeutet Spiel aber nicht nur Erfolg, ein Spieler „braucht“ das Spiel wie ein Drogenabhängiger seine Droge – das ist auch wissenschaftlich erforscht. Es gibt eine Reihe von unterschiedlichen Spielertypen bis hin zum schwer abhängigen Automatenspieler – die Unterscheidung spielt für die Anbieter keine Rolle, sie wissen, mit wem sie am meisten Geld machen: mit jenen, die am Existenzminimum leben, die zu wenig zum Überleben haben.

Die Strategie der Anbieter geht auf, kurzsichtige Politiker wittern erhöhte Steuereinnahmen. Freilich, Sozialausgaben als Folge der Arbeitslosigkeit, Kosten für Therapien, Gefängniskosten… das alles zahlen letztendlich die Steuerzahler. Allein die Kosten-Nutzen-Frage sollte jeden halbwegs vernünftigen Politiker zum Nachdenken bringen, ob er das kleine Glücksspiel tatsächlich haben will. Noch viel verantwortungsvoller müsste er agieren, wenn man sich den volkswirtschaftlichen Schaden ansieht und den nicht minder zu bewertenden gesellschaftlichen Schaden, wenn Familien zerbrechen, aus Freunden Feinde werden und Spielsüchtige sich selbst und anderen schweren Schaden zufügen.

Wer denkt, ihn betrifft die Spielsucht nicht, „ich habe damit zum Glück nichts zu tun“, der irrt gewaltig. Die Spielsucht ist alleine deshalb schon greifbar, weil die Anbieter den Menschen nahe sind. Es können eure Kinder sein, die verlockt durch die Werbung am Smartphone den Einstieg üben, erwachsene Kinder, die an den „Versprechen“ nicht vorbeikommen. Sie werden Geld borgen, um zu spielen, sie werden euch anlügen, und wenn es zu spät ist, ist alles zu spät.

Niemand, kein verantwortungsbewusster Politiker, kann unter normalen Umständen die Auswüchse des Glücksspiels tolerieren. Von meinen Kunstaktionen her weiß ich, dass im Grunde fast kein Bürger das kleine Glücksspiel will. Wenn diese Menschen aber nur ansatzweise erahnen könnten, welche Auswirkungen das kleine Glücksspiel auch auf jene haben kann, die selbst damit gar nichts am Hut haben, sie würden es verbieten wollen. Schon morgen könnten sie selber Opfer eine pathologischen Spielers sein, der ihr Geld will…

 

Bevor ich weiter von meinen eigenen Erfahrungen erzähle, möchte ich auf die Situation im Gefängnis eingehen. Wer als Spieler ins Gefängnis kommt, erhält auch hier keine Therapie. Vereinzelt gibt es zwar ein paar Gruppen, doch eine richtige Therapie gibt es nicht. Die Spielsucht ist zwar eine international anerkannte schwere Krankheit, doch im Strafgesetz fand das bisher keinen Niederschlag. Selbst Drogenabhängige (eine vergleichbare Erkrankung) erhalten Therapie und werden, weil es eine Erkrankung ist, behandelt, erhalten eine mildere Strafe oder eine externe freie Therapie. Die Anzahl der Spielsüchtigen ist im Gefängnis sehr hoch. Nichts geschieht hier mit ihnen, für viele ein Kreislauf der Rückfälligkeit. Auch hier ist es erwiesen, dass eine Therapie und eine Resozialisierung die kostengünstigste Lösung für den Steuerzahler wäre, ganz zu schweigen vom Leidensdruck Erkrankter oder dem Leid der Familien und der ganzen Gesellschaft. Klar ist auch, und dazu stehe ich, jedes Delikt gehört auch geahndet – aber mit dem Blick auf gesellschaftliche Folgekosten, Effizienz und dem Aspekt, dass Täterarbeit der beste Opferschutz ist, zumal es sich bei Spielsüchtigen um kranke Täter handelt, die den Umfang ihrer Schuld nur bedingt erfassen können.

Die Spielsucht, das Geschäft damit, bringt nur einem stattliche Gewinne, dem Anbieter. Schutz hin oder her, das meiste Geld macht ein Spielanbieter mit den sozial Schwächeren und er wird es auch in Zukunft machen wollen. Die Kriminalität wird in Kauf genommen. Besonders skurril erscheint mir, wenn just ein Spielsüchtiger ein Spiellokal überfällt. Doch Spielsüchtige überfallen längst nicht nur ihre eigenen Spielstätten, sie überfallen Banken (laut Medienberichten werden in Wien 98 Prozent der Banküberfälle von Spielsüchtigen begangen), Menschen auf offener Straße, sie betrügen, stehlen… Eine verantwortungsvolle Politik müsste diese Übel schon im Ansatz bekämpfen, stattdessen macht sich die Politik mitschuldig.

 

Was könnte man aber gegen die Spielsucht und ihre Folgen tun?

  • Das erste wäre ein Werbeverbot, weil das Angebot Krankheit schafft. Es müsste Plakatwerbung, Zeitungen, Internet und Rundfunk umfassen. Werbung funktioniert durch die Vermittlung von Kompetenz, Erfolg und Versicherung. Verböte man dies, blieben bloß Gerüchte über, die vermeintliche Seriosität ginge verloren. Der Einstieg, die Schwelle für den potenziell neuen Spieler würde psychologisch höher.
  • Gleichzeitig müsste in Stadt, Land, Bund ein Spielerschutzbeauftragter eingesetzt werden, der beratende, kontrollierende Funktionen ausübt.
  • Aufzeichnungspflicht bei Delikten in Zusammenhang mit der Spielsucht. Dies wäre ohnehin gegeben, würde die Spielsucht im STGB berücksichtigt.
  • Einnahmen aus den Abgaben auf Automaten müssten zweckgebunden eingesetzt werden (Therapie, Opferschutz).

Das sind nur minimale Forderungen, die eigentlich umsetzbar sein müssten. Weitere Vorschläge:

  • Zugangsbeschränkung: Jedem Spieler seine Spielercard, auf der Verluste und Gewinne klar verzeichnet werden.
  • Die Häufigkeit der Besuche müsste verzeichnet werden.

Ein generelles Verbot könnte das illegale Spiel fördern, obwohl ich persönlich eher generell verbieten würde. Wenn es jedoch schafft, mehr Aufklärungsarbeit zu leisten, dann wäre schon viel erreicht. Die Kombination aus Werbeverbot, Kontrolle, Aufklärung und Spieleschutzbeauftragtem würde das Spielen unattraktiver machen, Spieler schützen und die Kriminalitätsrate senken. Das ist eine umsetzbare Vision.

Auf Kosten Erkrankter, potenziell Gefährdeter und zahlloser indirekt und noch nicht Betroffener wird in der Steiermark eine ganz andere Politik verfolgt. Für eine Handvoll Steuergeld aus der Automatenabgabe nimmt man Kriminalität, Arbeitslosigkeit und den Untergang einer Sozialkultur in Kauf. Die Folgekosten aus diesem Wahnsinn trägt ohnehin der öffentliche Hand, denkt man, doch auch die Gemeindebudgets, das Landesbudget wird durch diese Einnahmen nur geschönt, und die öffentliche Hand ist wiederum jeder Steuerzahler. Das ist auch ein Grund, warum Menschen durch immer neue „Sparpakete“ immer weniger in der Tasche haben, warum für die Schulbildung der Kinder zu wenig Geld da ist, warum die Bildungsoffensive nicht gelingt.

Unglücklicherweise sind mir tatsächlich viele Fälle bekannt, wo Menschen mit geringem Einkommen das Geld, das für ihre Kinder vorgesehen war, und somit auch deren Zukunft verspielten. Dafür muss man gar kein pathologischer Spieler sein, es reicht schon, ein „normaler“ Spieler zu sein oder nur ein Gelegenheitsspieler. Das Geld ist immer weg, die überwiegende Mehrzahl geht öfter als einmal hin und verliert dann mit Sicherheit, auch wenn am Anfang ein Gewinn stand. Das Casino gewinnt immer.

Jedes Geld, welches ein „normaler Mensch“ in einen Automaten wirft, geht ihm, der Familie und der Gesellschaft ab. Jeder Hunderter, den ein Arbeiter nach seinem Dienst in einen Spielautomaten steckt, wäre besser investiert, wenn er es für seine Kinder sparen oder sich wenigstens etwas anderes gönnen würde, das die Volkswirtschaft belebt. Die Folgen können verheerend sein: Spielsucht, Verlust von Geld, Freunden, Arbeit… bis hin zum Tod oder Gefängnis!

 

Den Werbeslogan „Wetten, Sie gewinnen“ möchte ich gerne neu formulieren, realitätsnäher: „Wetten, sie verlieren: Ihr Geld, Ihre Freunde, Ihre Familie, Ihre Existenz“

Dürfen Bankräuber in die Illegalität gedrängt werden?

Kapitel 4

Dürfen Bankräuber in die Illegalität gedrängt werden?

Im vierten Teil möchte ich mich ausführlich mit meinen eigenen Erfahrungen um das kleine Glücksspiel befassen, mit dem Verlauf und auch mit dem Gefängnis. Ich schreibe das alles nieder, um Aufklärungsarbeit zu leisten und zu verhindern, dass noch mehr Menschen ins Verderben rennen. Alle Angaben entsprechen der Wahrheit und können belegt werden. Ich schone mich weder im Positiven noch im Negativen.

 

Durch meine Sperre im Casino sah ich mich zunächst gefeit vor dem Automatenspiel. Mir war es wohl geläufig, dass man in den schmuddeligen Spielstätten auch an Automaten spielen konnte, doch mied ich diese Lokale, weil ich dachte, man könne alleine die Aufmachung wegen dort nichts gewinnen. Es sei ja nur ein „kleines Glücksspiel“ und wenn ich im richtigen Casino schon verliere, welches dem Staat gehört, wird es dort noch viel schlimmer sein. Dort verlöre ich auch noch das Wenige, denn sonst könnten der Logik nach die unzähligen kleinen Spielstätten in Graz kaum überleben. Ein fataler Irrtum, wie sich später herausstellen sollte.

Kleine Spielstätten überleben, oder besser: überlebten, weil sie sich eines einfachen Tricks bedienten. In einer Art Würfelspiel sind pro Drehung Einsätze bis 10 Euro möglich. [Anmerkung: Die Vergangenheitsform wurde hier gewählt, weil die hier geschilderte Form des Glücksspiels ab 1.1.2016 in der Steiermark nicht mehr erlaubt ist. Ein neues Gesetz legalisiert dann aber viele der Praktiken der Glücksspielindustrie, die derzeit in einem rechtlichen Graubereich ablaufen.] Die Auszahlung bei höheren Gewinnen [legal sind maximal 20 Euro, Anm.] fand in so genannten Actiongames statt: Dabei dreht sich ein virtuelles Rad so lange, bis man in Zehnerschritten Beträge von weit über 20.000 Euro gewinnen kann. Jeder Zehnerschritt wird als ein Spiel gewertet. Beim Würfelspiel, wo es um den Einsatz geht, zählt jeder Punkt als Einzelspiel, d.h. ganz oben kann man um zehn Euro spielen [der legale Höchsteinsatz beträgt 0,5 Euro, Anm.]. Eine rechtliche Grauzone, die sich die Anbieter zum Nachteil der Spieler aber zu ihrem eigenen Vorteil machten. Weil es in Wirklichkeit ein großes Glücksspiel war (im staatlichen Casino beträgt der Höchsteinsatz auch „nur“ 10 Euro), entgingen dem Staat alleine durch „Kurzsichtigkeit“ Einnahmen in Milliardenhöhe. Geld, welches jetzt in Krisenzeiten natürlich fehlt, welches eigentlich der Steuerzahler in Zeiten rigoroser Spaßmaßnahmen bitter nötig hätte.

Jahrzehntelang hat die Politik das kleine Glücksspiel mit den überhöhten Einsätzen toleriert, jetzt wird nur legal gemacht, war früher hingenommen wurde. Auf dem Kapperl eines ehemaligen Sportidols prangen die Lettern eines Glücksspielkonzerns. So wird auf Kosten kranker Menschen und zahllos unschuldig zum Handkuss Gekommener der Wahnsinn salonfähig gemacht. Es verstärkt sich der Eindruck, alles sei Erfolg, wenn man nur spielt.

Ein Vergleich: Bisher konnte ich um 10 Euro spielen, obwohl nur 50 Cent erlaubt waren. Das mag nach den Buchstaben des Gesetzes „legal“ gewesen sein, also drehe ich das Spiel einmal und habe es in Wirklichkeit zehnmal gedreht. Gezahlt habe ich für zehn Mal Drehen, obwohl es sich nur einmal drehte. Das ist ungefähr so absurd, als kaufte ich in der Trafik ein Brieflos für 10 Euro und die Trafikantin holt zwei Würfel heraus und wir bestimmen so, ob ich den Kaufpreis mit 50 Cent, 1 Euro, 2 Euro, 5 Euro oder einem 10-Euro-Schein bezahle. Da der Kaufpreis eines Briefloses nur 1 Euro beträgt, und ursprünglich wollte ich nur eines, habe ich zehn 10 Lose für zehn Euro auf einmal. Die möglichen Gewinne erhalte ich, wenn ich die Lose öffne. Dann, angenommen, ich gewinne 20 Euro und will mir diese gleich ausbezahlen lassen, holt die Trafikantin ein Glücksrad unter der Theke hervor und ich muss 20 Mal drehen, um die 20 Euro auch ausbezahlt zu bekommen. Dabei kann es auch sein, dass ich weniger bekomme als ich gewonnen habe, weil ein Spiel ja in Wirklichkeit 20 Spiele sind. Das ist die Logik der Glücksspielanbieter.

 

Mit dem neuen Gesetz wird alles nur noch schlimmer. Ein Konzern bezahlt so genannte Experten und Therapieeinrichtungen. Im Gegenzug erwarten die Anbieter natürlich die Vermittlung eigener Interessen. Das Übelste, das ein Therapiewilliger vom Therapeuten hören kann, ist: Er sei selbst schuld, dass er spielsüchtig ist. Darauf wird dann eine Therapie aufgebaut, die einerseits den Kranken heilen soll, andererseits den Glücksspielanbieter weiter hilft, „Unterhaltungsangebote“ zu vermitteln.

Im Grunde ist es so, als beginge jemand einen Bankraub und bezahlt den Bankangestellten gleich eine „hauseigene“ Therapie, bei der der Therapeut dann verkündet: „Bankraub zu verbieten bringt nichts, denn die Räuber, die ja für die Therapie aufkommen, werden dann in die Illegalität gedrängt, gehen ins Ausland oder rauben im Internet.“ Wohlgemerkt, der Räuber in diesem Gleichnis ist nicht der Spieler. Spieler werden kriminell, darauf komme ich noch zurück.

 

„Normale Menschen“, die nicht spielen, verwenden oft das Argument: Der ist doch selbst schuld, wenn er dorthin geht. Oder: Ich gehe ohnehin nicht dorthin… Das sind kurzsichtige Annahmen, in Wirklichkeit ist selbst der Nichtspieler oder derjenige, dem es egal ist, viel stärker und zum eigenen Nachteil betroffen, als es ihm lieb ist. Kurzsichtigkeit kann sehr teuer werden.

Über mich selbst entsetzt

Kapitel 5

Zurück zu meiner Geschichte: Ich ging eines Tages im Jänner 2010 mit einer Mischung aus Neugier und dem für mich unbestimmbaren Kribbeln im Bauch in einer Admiral-Spielstätte. Ich wusste nicht, dass ich längst abhängig war, sah mich selbst meiner Vernunft nach als nicht abhängig. Im Gegenteil, aufgrund meiner Bildung war ich mir sicher, es von selbst geschafft zu haben – etwas neugierig sein, kontrolliert spielen, das müsste doch möglich sein. Zu diesem Zeitpunkt war ich immerhin als Künstler auf einem guten Weg, ich verkaufte Bilder, Konzepte und war bei einer Auktion in Wien erfolgreich, hatte und gewann wieder prominente Künstlerfreunde. Dass ich 2000 Euro dieses verdienten Geldes in der Tasche hatte, erhöhte die Verlockung, ins Admiral zu gehen. Das schaffte Ruhe und Zufriedenheit. Einmal probieren, das kann doch nicht so schlecht sein. und irgendwie wollte ich diese Erfahrung mit dem kleinen Glücksspiel auch machen, so absurd das auch scheint.

Mein erster Gedanke war: Mit 50 Cent Einsatz kann ich auch nicht viel verlieren… So ging ich hinein und hielt gleich einmal einige 50-Cent-Münzen parat. Gleich am ersten Automaten fiel die erste Münze durch, ich warf eine andere ein, auch die fiel durch. Bei drei, vier Automaten dasselbe, mit Münzen kann man hier nicht spielen, dachte ich. Also schob ich 50 Euro in den Schlitz. Da ich zuerst überhaupt keine Spielerfahrung mit diesen „Kleines-Glücksspiel“-Automaten hatte, war der Fünfziger nach drei oder vier Drehungen weg. Ich kannte mich mit den Einstellungen nicht aus, wusste nicht, dass ich auf 5, 6 oder 7 Euro spielte. Ich war enttäuscht. Daneben sah ich andere Spieler jubeln, sie hatten gewonnen. Ich schob erneut einen Hunderter ein, weil ich dachte, man müsse eben etwas Geduld haben. Dass ich die Relation zu Geld und zu dessen Wert schon verloren hatte, wusste ich nicht. 100 Euro wären unter anderen Umständen viel Geld. Jeder, der eine Familie hat, womöglich Kinder, weiß, was 100 Euro bedeuten. Der Spieler verliert den Bezug zur Realität, verliert die Impulskontrolle. Die Programme, die bei den einzelnen Spielen ablaufen, werden unter Zuhilfenahme von Erkenntnissen aus der Psychologie und er Hirnforschung mit dem Ziel, den einzelnen Spieler abhängig zu machen, erstellt. Dies ist keine Vermutung, sondern beruht auf Tatsachen und Untersuchungen aus Deutschland. Der Anbieter macht den größten Umsatz mit wiederkehrenden Spielern (über 80 Prozent) und ist deshalb gar nicht an Auflagen interessiert, die wirklich das Wort „Spielerschutz“ verdienen. Jene kleine Gruppe von „Problemspielern“, wie sie es gerne bezeichnen, ist tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs. Der größere Teil der Spieler sind wiederkehrende Spieler, jene Abhängigen, denen es gelingt, das Geld für das Spiel aufzubringen, ohne dass ihr Umfeld es bemerkt. In der Regel spielen solche Spieler „verschiebend“ immer knapp am Existenzminimum, der Aufwand wird mit Kredit, Leihe, Nebenjob usw. in einer Art „Loch-auf-Loch-zu“-Methode bestritten. Der Schaden trifft die Familien, die Möglichkeiten der Kinder, deren Lebens- und Bildungsweg. Der Volkswirtschaft gehen enorme Summen verloren. Folgen sind steigende Arbeitslosigkeit, private und öffentliche Armut.

Auch gefällt mir das Wort „Spiel“ in diesem Zusammenhang nicht. Genaugenommen ist es ein Kampf ums Überleben. Bei dieser Art von „Spiel“ ist alles so ausgerichtet, als wäre es ein Spiel, die Töne, die Effekte… Das Süchtigmachende ist freilich unsichtbar. Andere Süchte wie Drogensucht oder Alkoholismus ist stoffgebunden, man sieht es dem Süchtigen meist auch körperlich an. Die Automatenspielsucht sieht man nicht, die Anbieter zielen bewusst auf das Gehirn eines Besuchers, der beste Platz, um einen Menschen abhängig zu machen, niemand sieht es ihm an. Streng genommen ist die Spielsucht ebenso stofflich, der Stoff: Geld. Geld, welches dem Anbieter als Droge dient. Der Spieler spielt ab einem gewissen Punkt seiner Abhängigkeit nicht mehr des Geldgewinns wegen, sondern um das Glücksgefühl zu erleben, ein Gewinner zu sein. Wenn man beispielsweise 5000 Euro verliert und am nächsten Tag 1000 Euro gewinnt, hält man sich schon für einen Gewinner. Man muss am dritten Tag wieder hingehen, um dies „bestätigt“ zu bekommen. Und grundsätzlich geht jeder so lange hin, bis er seine Rückstände wieder herinnen und verdoppelt hat! Da ist man völlig machtlos und das ist die reine Absicht der Anbieter, die das wissen. Sie selbst halten sich „Experten“, die das bestätigen.

Ich spielte weiter und wollte nur meine 150 Euro zurück. Kurz: Ich schob über 2000 Euro in den Automaten, war nicht einmal eine Stunde dort, hatte keine Ahnung, dass ich mit hohen Einsätzen spielte. All mein Geld war weg und ich war über mich selbst entsetzt.

Das Gratisgetränk tröstete mich ebenso wenig wie das Versprechen des Personals: „Beim nächsten Mal…“ Draußen stand doch: „Wetten, Sie gewinnen?“ Ich war pleite und musste ich fast einen Monat warten, um wieder zu Geld zu kommen. Ich begann, den Anbieter zu hassen und verdammte mich, so blöd gewesen zu sein, dorthin zu gehen.

Ein paar Tage darauf versuchte ich künstlerisch etwas dagegen zu unternehmen, ich malte Bilder über die Spielsucht, sprach mit Betroffenen und schwor mir, nie wieder zu spielen und gegen diese Ungerechtigkeit, die so viele Menschen in unserer Gesellschaft kaputt macht, anzukämpfen.

Im September 2010 war meine Freundin für ein paar Tage verreist. In der gemeinsamen Wohnung fand ich einige tausend Euro. Geld, welches sie angespart hatte. Zunächst dachte ich nichts dabei. Dann, bei einem Einkauf, stelle ich fest, dass in nur 100 Meter Entfernung eine „Admiral“-Filiale „wartete“. Ich wollte meiner Freundin das Geld nicht stehlen, ich wollte für uns etwas dazugewinnen. Ich nahm ein paar Hunderter und ging spielen, unfähig, in die Zukunft zu denken. Ich verlor. In der Folge wollte ich nur mehr zurückgewinnen, damit sie es nicht bemerkt. Doch das Geldbündel schrumpfte gegen Null.

Ich hatte die Wahl, mich sofort umzubringen oder den letzten Versuch zu unternehmen, ihren Goldschmuck einzusetzen. Ich verlor natürlich auch den Schmuck. Als meine Freundin zurückkehrte, bot ich ihr meine Selbstanzeige an. Sie wollte das nicht. Ich gestand ihr meine Sucht und auch ein befreundeter Polizist meinte: Anzeige ist nicht immer der beste Weg. So schenkte ich ihr viele Bilder als Ersatz für ihren Schaden und versicherte ihr, im Kleinen den Schaden wieder gutzumachen. Wir schlossen Verträge ab. Die Beziehung ging zwar weiter, ich begriff aber nur langsam, was ich da angerichtet hatte. Ich wollte ihr niemals schaden, ich liebte sie doch. Dann starb auch noch ihr Sohn, der ebenfalls süchtig war (Drogen). Ich fühlte mich mitschuldig, weil ich durch meine Sucht Unheil über alle brachte. Ich half ihr zwar über den Verlust ihres Sohnes etwas hinweg, doch war die Liebe weg, mein Wesen kaputt. Ich wollte mich umbringen und kam ins LSF. Dort bekam ich keine Therapie der Spielsucht, sondern nur eine wegen des Suizidversuchs. Ich spielte nach dem Versetzen des Schmucks nie mehr, erst drei Jahre später wieder (2014). Ich landete im Gefängnis und wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Erst nach dem Urteil kam meine Exfreundin auf Besuch, sagte und schrieb mir, dass ich bei ihr keine Schulden hätte, die Verträge gelten ja. Sie habe nur im Bilderrechtsstreit mit einer anderen Person eine Anzeige machen wollen und wahrheitsgetreu alles aufgezählt, was damals geschah. Freilich, für das Gericht hat sich der Fall anders gelesen. Ich hätte absichtlich eine Beziehung gesucht, um zu Geld für das Spielen zu kommen. Gestohlen habe ich es tatsächlich, allerdings haben wir uns geeinigt. Ich erfuhr das aber alles erst nach der Verhandlung, zu spät, um es noch auf zivilrechtlichem Wege zu klären.

Verloren und ohne Zukunftsperspektiven

Kapitel 6

Nun bin ich im Gefängnis. Verloren und ohne Zukunftsperspektiven. Anfangs ging ich noch zum Psychologen, der aus wissenschaftlicher Sicher meinte: „Sie sind nicht schuld an der Tat, weil die Spielsucht als Krankheit anerkannt ist, Sie sind aber schuldfähig.“ Das hilft nicht. Man ist hier 23 Stunden am Tag eingesperrt, verwahrt. Therapie gibt es in österreichischen Gefängnissen keine für die Spielsucht, es gibt nur vereinzelt Sammelgruppen mit 20 Teilnehmern, in denen über Spielsucht geredet wird – das ist aber keine Therapie!

Wie auch, auch in Gefängnissen wird gespart. Keine Arbeit für Gefangene und auch sonstige Einbußen. Zwei Psychologen für 500 Gefangene. Wenn man Glück hat, kann man einmal im Monat für fünf bis zehn Minuten mit dem Psychologen sprechen. Ist der Leidensdruck zu groß, bekommt man Antidepressiva oder Psychopharmaka. Dabei müsste gerade im Gefängnis angesetzt werden mit einer Therapie. Es sänke die Rückfallquote, dem Steuerzahler würde es Geld sparen. Gleich neben mir in der Zelle ist ein Mann, der schon sieben oder acht Mal wegen der Spielsucht hier war. Bankräuber sind hier, Spielsucht war ihr Motiv. Jeder Blick in die Medien lässt schnell erkennen, welches Problem die Spielsucht in unserer Gesellschaft darstellt. Laut Wiener Polizei sind 98 Prozent aller Banküberfälle auf Spielsucht zurückzuführen. Einbruch, Diebstähle, Betrug… allgegenwärtig und durch die Spielsucht verursacht. Die höchste Dunkelziffer gibt es beim Schaden im privaten Umfeld, dort Gestohlenes wird erst gar nicht zur Anzeige gebracht, weil es den Opfern nicht hilft, wenn der Täter eingesperrt wird. Diese Delinquenten sind nicht als süchtig gewertet, weil sich die Familie oder Freunde um sie kümmern. Ich möchte nicht falsch verstanden werden, die Sucht ist eine schwere Krankheit, die gehört behandelt. Es ist aber auch so, dass eine Straftat geahndet werden muss! Das ist zwingend notwendig, in jedem Sozialgefüge. Doch es muss auch die Möglichkeit geben, den Schaden zu begrenzen und nicht zum Nachteil der Bevölkerung gar nichts zu tun – der Täter spielt nach seiner Entlassung obsessiv weiter. Das ist ganz schön fahrlässig.

Auch handelt es sich bei Spielsüchtigen um anerkannt kranke Menschen. Kranke haben allerdings Anspruch auf ärztliche Hilfe und Therapie. Man kann es auch so sehen: Täterhilfe ist der beste Opferschutz. In der Gesellschaft und in Österreichs Gefängnissen gibt es so nur Verlierer: den Steuerzahler und den Menschen.

Das „kleine Glücksspiel“ ist ein Geschäft mit Leid, Kriminalität, Unglück und ganz viel Geld für die Anbieter. Die steirische Politik hat sich entschlossen, Kriminalität, Leid und Unglück für ein paar Millionen an Steuereinnahmen salonfähig zu machen. Nicht nur die Spieler sind diesen Politikern egal, sondern auch alle Menschen, die zur Arbeit gehen, Kinder haben, denen zugemutet wird, dass sie von einem Spieler aus ihrem Freundes- oder Familienkreis womöglich zum Opfer gemacht werden. Die Gefahr ist sehr groß, jeder kann zum Opfer werden. Verantwortungslose Politiker segneten ein Gesetz ab, das zweifellos Kriminalität nach sich ziehen wird.

Manchmal dachte ich mir, schade dass ich kein Tiroler bin oder Salzburger. Dort gibt es keine Automaten bzw. sie wurden verboten. Dort wäre ich nicht aus Neugier verlockt worden und mit Sicherheit nicht im Gefängnis, hätte Freunde, Freude und eine Leben, welches ich nicht verspielt hätte. „Wetten, Sie gewinnen…“ schreiben sie. Wetten, Sie verlieren!

Vor Jahren, als ich einige Initiativen und Oppositionspolitiker wie Herrn Kaltenegger vor dem kleinen Glücksspiel warnen sah, dachte ich wenig daran, dass mich das auch betreffen könnte. Ich bin nun mitten drinnen und habe alles verloren. Keine Therapie, keine Zukunft, schlimmer, ich wurde kriminell, habe Menschen finanziell geschädigt und keine Freunde mehr. Jeden Tag begrüße ich im Gefängnis neue Gefangene, die ihre Taten zur Finanzierung ihrer Spielsucht begangen haben.

Es kann sich auch jeder Spieler „draußen“, der noch das Glück hat, frei zu sein, abschminken, dass seine Sucht, seine Krankheit, einen Milderungsgrund darstelle – bei Kokainsucht wäre das interessanterweise anders. Mir geht es aber nicht um Milderungsgründe oder um Verständnis für eine begangene Straftat. Es geht mir um die Verhinderung von Straftaten und darum, dass die Menschen, denen die Spielcasinos egal sind, weil sie damit nichts zu tun haben, aufzurütteln. Was bedeutet ein Spiellokal in eurer Nähe? Was, wenn eure Kinder, Enkel, Partner dort ihr Leben ruinieren? Macht es Spaß, wenn man auf dem Weg nach Hause in der Nähe eines Spiellokals vorbeiläuft, aus dem gerade ein Spieler kommt, der Geld braucht?

Vorteil bringt das Glücksspiel keinen. Es bedeutet Kosten, Einsparmaßnahmen der Regierung und Kriminalität. Vor vorneherein verhindern bedeutet mehr Sicherheit vor Kriminalität, weniger Familientragödien und mehr Geld für die öffentliche Hand für jene Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind. Auch nur ein einziges eröffnetes Spiellokal bedeutet einen Angriff auf das Gemeinwohl! Das wissen etwa die Tiroler. Fahrlässig, kurzsichtig und Beihilfe für Anbieter leistend, so verhält sich die steirische Landespolitik, die der Bevölkerung das zumutet.

Die Strategie der Anbieter hat sich vor ein paar Jahren geändert. Man erfand als Feigenblatt die vielen illegalen Anbieter in Hinterhöfen, Tankstellen, Wirtshäusern. Die mag es schon geben, bewusst wurde aber so der Fokus auf diese Anbieter gerichtet und vom Multi abgelenkt – das Feindbild der „Illegalen“ war erfunden. Eine gute Strategie, so werden die großen Glücksspielkonzerne zu den „Guten“. Eigene Nachforschungen ergaben, dass es gar nicht so viele „Illegale“ gibt wie etwa auf der Seite spielerinfo.org (von einem Glücksspielkonzern) angegeben. Nach den ab 2016 geltenden Gesetzen gibt es ein paar Automaten weniger. Der Große hat die Kleinen vertrieben.

1000 Automaten in der Steiermark, alle auf der höchsten Stufe einen Tag gespielt, würde acht Milliarden Euro (!) Umsatz bringen. Viel Geld, das nicht in die Volkswirtschaft fließt, sondern ein paar Fette fetter macht.

Natürlich spielt nicht jeder mit höchstem Einsatz und auch nicht dauernd, aber auch jeder geringere Betrag bedeutet einen Schaden für die Allgemeinheit. Das Geld fließt nicht zurück in örtliche Betriebe, sondern in die Kasse von wenigen Milliardären. Es ist unsinnig, weiter zu rechnen. Vermutlich lässt sich dieses neue Gesetz nicht mehr rückgängig machen, weil die dafür verantwortlichen Politiker „Sachzwänge“ geschaffen haben und das Land auf Jahre hinweg die Verträge einhalten muss, sonst werden enorme Strafen fällig. Die Politik hat sich zuvor keiner öffentlichen Diskussion gestellt, ein gut bezahlter Erfolg einiger Lobbyisten zum Nachteil der gesamten Bevölkerung.

Kriminalität und Spielsucht

Kapitel 7

Spieler, die verlieren, verlieren zunächst ihr eigenes Geld. Dann verlieren sie Geld, das ihnen nicht gehört. Als Spieler nimmt man eigenartigerweise an, das „geborgte“ Geld zurückzugewinnen, um es der Person, von der man es – möglicherweise – gestohlen hat, wieder zurückzugeben. Das zeigt schon den Realitätsverlust, die Unfähigkeit, realistisch vorausschauen zu können. Wie bei allen Süchten liegt das am gestörten Belohnungssystem im Gehirn, das Verhalten wird durch „magisches Denken“ soweit begünstigt, dass ein Süchtiger oft nicht mehr klar vorausdenken kann, weil die Sucht alles dominiert. Spieler spielen nicht mehr um Geld, leben sehr bescheiden, auch wenn sie Geld haben. Geld wird zum Mittel, der Zweck ist das Spielen. Eine Mietzahlung wird gerne zugunsten des Spielens ausgelassen.

Die Kriminalität beginnt im engsten Kreis, zunächst wird der Partner Opfer der Spielsucht, dann werden Freunde Opfer, weil man sie bestiehlt, oder auch Verwandte, Bekannte. Bei allen handelt es sich um Menschen, die indirekte Opfer der Spielsucht werden.

Die Häufigkeit der Kriminalität in diesem Kreis ist extrem hoch, doch nur ganz selten werden diese Fälle in der Öffentlichkeit bekannt. Wer zeigt schon deinen Partner, Freund, Verwandten, sein Kind oder Enkelkind an? Diese in keiner Statistik sichtbaren Delikte im engen Kreis werden selten geahndet, Vorfälle werden oft privat geregelt oder toleriert – eine Toleranz, die in diesem Fall mit Ohnmacht gleichzusetzen ist.

Der Schaden bleibt gleich, für Wirtschaft und Privatpersonen, aus Scham sprechen die wenigsten darüber, etwa die Mindestrentnerin, deren Enkel Geld für eine vermeintliche Ausbildung holte und dann verspielte. Das wissen auch die Anbieter, sie kennen die abhängig machende Wirkung auf Spieler. Sie arbeiten in ihren Lokalen mit psychologischen Tricks: Gratisgetränke, Verlosungen, Vermittlung von Zusammengehörigkeit durch Veranstaltungen… all das vermittelt dem Spieler den Eindruck des Dazugehörens zu einer Familie. Das macht es einfacher, aus der eigenen Familie Geld zu holen, zu “borgen“. Es ist doch alles nicht so schlimm, wir sind doch eine Familie, wir gehören zusammen!

Die größte Gefahr des kleinen Glücksspiels liegt in der unsichtbaren Kriminalität, genau dort kann wirklich jeder zum Opfer werden, auch wenn der Betroffene gar nicht weiß, dass diese Automaten überhaupt existieren. Wie verantwortungslos ist die Politik, die den eigenen Bürger so etwas zumutet?

Die Fälle von Kriminalität, die besonderes Aufsehen erregen und die Zeitungen füllen, sind im äußeren Tatbegehungskreis zu finden: Raub, Diebstahl, Einbrüche bis hin zu Mord und Selbstmord. Der Krake Glücksspielanbieter hat seine Fangarme auch um Unbeteiligte gelegt.

Ich habe meine Erfahrungen gemacht, habe mich zudem bemüht, mich mit der Spielsucht durch „Vorbildung“ und Empirie auseinanderzusetzen, habe ausreichend Bildung – trotz aller Vernunft und Selbstsicherheit bleibt der Automat eine Droge, der ich noch nichts entgegensetzen kann. Im Gefängnis eine Therapie zu bekommen scheint aussichtslos.

Für mich selber habe ich kaum noch Zukunftshoffnungen. Mir tut irrsinnig leid, was ich getan habe, ich wollte das doch nicht! Alles begann aus Neugier, aus einer Dummheit, die zum Verhängnis wurde. Mir tun alle Unbeteiligten leid. Die Tage hier im Gefängnis sind grau und leer, vielleicht eine gerechte Strafe? Das ändert nichts daran, dass das Übel draußen weitergeht. Ich bin 23 Stunden am Tag in einem Betonkasten, noch viele Jahre lang. Ich nehme an, der Anbieter will mich dereinst wieder als Kunden haben, sonst bekäme ich eine Therapie. Bleibt zu hoffen, dass ich eines Tages rauskomme und es gibt keine Automaten mehr in der Steiermark – diese Hoffnung muss ich wohl aufgeben.

Ich war einmal erfolgreich, Künstler, liebte die Natur, diskutierte, hatte Freunde… Nichts blieb mir, gar nichts.

 

 (Schluss)

Veröffentlicht: 13. November 2014