„Programm ist nur mit Einsparungen möglich!“

Einige Gedanken von Werner Murgg zum Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen

Wifo-Chef Badelt meint zum Regierungsprogramm der sogenannten türkis-grünen Koalition trocken: „Dieses Programm ist nur mit Einsparungen möglich.“ Ein genaueres Studium der über 300 Seiten erhärtet diesen Verdacht.

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Es ist klar: das Regierungsprogramm ist nur mit massiven Einschnitten im Gesundheits-, Pensions- und Sozialsystem finanzierbar. (Foto: Wikimedia Commons, BKA)

Dabei wird der eine oder andere Grün-Wähler sich fragen, wo eigentlich eine linke, grüne Handschrift in diesem Konvolut zu finden ist. Wer so fragt, hat die Entwicklung der Grünen während der letzten 25 Jahre von einer systemkritischen Kraft hin zu einem kleinbürgerlichen, systemkonformen Mehrheitsbeschaffer verschlafen. Links bedeutet immer noch Kampf für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten.

Beides kommt im Wertekanon der Grünen schon lange nicht mehr vor: An deren Stelle sind EU-Hörigkeit und ein abstrakter Humanismus getreten. Das soll nicht heißen, dass in diesem Programm nicht auch Positives zu finden ist: Verbesserungen beim Familienbonus für Bezieher kleiner Einkommen, die Senkung der Umsatzsteuer auf Damenhygieneartikel oder das 1-2-3-Umweltticket.

Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton hat angeblich gesagt: „Es geht um die Ökonomie, Dummkopf.“ Im wirtschaftspolitischen Teil des Programms ist alles enthalten was Industrie und Wirtschaft seit langem fordern. Natürlich wurden der von der ÖVP-FPÖ-Regierung eingeführte und von den Grünen heftig bekämpfte 12-Stunden-Arbeitstag bzw. die 60-Stunden-Woche nicht zurückgenommen.
 

Senkung der Köst

Mit der Senkung der Körperschaftssteuer (Köst) von 25 auf 21 Prozent erfüllt sich eine langjährige Forderung der Unternehmer. Dass gleichzeitig die unteren Einkommens- und Lohnsteuerstufen gesenkt werden sollen, ist nur ein schwacher Trost. Die Losung „Mehr Netto von Brutto“ geht für die Lohnabhängigen langfristig nach hinten los. Das zeigt sich auch an der Entwicklung der Lohnquote, die seit Jahrzehnten zurückgeht. Unternehmer tun sich bei der Zurückhaltung von Lohnforderungen der Lohnabhängigen leicht, wenn auch mit mickrigen Lohnerhöhungen durch Lohnsteuersenkungen ein paar Brösel mehr im Geldbörsel bleiben, die ohnehin auf kurz oder lang durch die kalte Progression wieder aufgefressen werden. Nur ordentliche Bruttolohnerhöhungen tragen zu einer anderen Primärverteilung des von den Beschäftigten geschaffenen Reichtums bei; mehr vom Kuchen für die Lohnabhängigen. Gleichzeitig werden so mit ordentlichen Sozialabgaben unsere Sozial-und Pensionssysteme krisenfest gemacht. Darin findet sich im Regierungsprogramm kein Wort.

Ein weiterer Leckerbissen für die Kapitalseite bedeutet die geplante Steuerfreistellung von Aktiengewinnen nach einer Behaltefrist. Die verblichene ÖVP-FPÖ-Regierung hatte die einjährige Behaltefrist, gemäß der Gewinne aus der Veräußerung von Aktien steuerfrei konsumiert werden konnten, abgeschafft und derartige Gewinne generell der Steuerpflicht unterstellt. Das soll nun wieder rückgängig gemacht werden. Das bedeutet: Während jemand für seine 20 Euro Zinsen am Sparbüchel 25 Prozent Kapitalerstragssteuer (KESt) zahlt, kann der Aktienspekulant steuerfrei den Gewinn einstreifen.
 

Privates Kapital mobilisieren

Wie der sprichwörtliche „rote Faden“ zieht sich der Wunsch nach Mobilisierung von Privatkapital und damit einhergehend dessen größtmögliche Schonung durch das Programm. Da soll die private Pensionsvorsorge gefördert und ökologische und ethische (was immer das heißt) Investitionen von der KESt befreit werden. Auf EU-Ebene will man sich dafür einsetzen, dass Banken, die Kredite für klimaneutrale Wirtschaftsprojekte zur Verfügung stellen, weniger Eigenkapital hinterlegen müssen. Josef Urschitz hat in der Tageszeitung „Die Presse“ nicht ganz zu Unrecht gefragt: „Ist die nächste Finanzkrise grün?“

Wie überhaupt vieles, was hier gefordert wird, hinten und vorne nicht zusammengeht. Die KÖSt-Senkung und die Absenkung der Lohn- und Einkommenssteuertarife kosten zusammen 4,6 Milliarden Euro. Allein die Umsetzung des 1-2-3-Tickets und die Nahverkehrsmilliarde, sowie die Verbesserung beim Familienbonus werden mit weiteren Milliarden zu Buche schlagen. Wo dieses Geld herkommen soll, bleibt ohne Besteuerung der großen Vermögen ein Geheimnis. Lassen wir noch einmal Wifo-Chef Badelt zu Wort kommen: „In Summe ist das Regierungsprogramm nur dann möglich, wenn es zusätzliche Einsparungen gibt.“

Schließlich bekennen sich ÖVP und Grüne ausdrücklich dazu, die Schuldenquote der Republik weiter in Richtung Maastricht-Ziel von 60 Prozent zu senken. Da passt die Aufnahme der Unternehmerforderung nach Senkung der Lohnnebenkosten dazu. Auch wenn es dort heißt: „Ohne Einschränkung der Leistungen.“

Der gelernte Österreicher und die gelernte Österreicherin können sich auf Einsparungen im Gesundheits-, Pensions- und Sozialsystem gefasst machen. Davon steht freilich nichts im Programm.
 

Ökosteuern?

Vielleicht werden die benötigten Milliarden über Öko-Abgaben hereingeholt. Auch dazu steht nichts Konkretes im Programm. Eine „Task Force“ soll bis 2022 Maßnahmen vorschlagen. Schließlich will man bis 2030 die Stromerzeugung zu hundert Prozent auf Ökostrom umgestellt haben und bis 2040 gänzlich auf Kohle, Öl und fossilem Gas zur Energiegewinnung verzichten. Sollte das tatsächlich umgesetzt werden, sind wahrscheinlich dreistellige Milliardenbeträge zur Umsetzung notwendig. Bis 2022 soll eine CO2-Bepreisung über bestehende Abgaben oder ein nationales Emissionshandelssystem ausgearbeitet sein. Statt über Verbote und Gebote bei Kurzstreckenflügen, beim LKW-Transit, oder beim PKW-Verkehr, hier über temporäre Fahrverbote nach Ausbau öffentlicher Verkehrsangebote, nachzudenken, soll umweltfreundliches Verhalten über den Preis erreicht werden. Frei nach dem Motto: Wer es sich leisten kann, darf die Umwelt weiter verschmutzen, die Billa-Kassierin fährt nur mehr öffentlich. Was wir brauchen, wäre ein Verbot von Kurzstreckenflügen zugunsten der Bahn – die im Regierungsprogramm vorgesehene 12-Euro-Abgabe auf Kurzstrecken ist lächerlich – und eine gesetzliche Beschränkung des LKW-Transits durch unser Land. Das ist in der EU praktisch nicht durchsetzbar.
 

Wohnen

Auch beim Thema Wohnen setzen Kurz und Kogler auf Mietkauf und die Förderung von Eigentumsbildung, während unter der Überschrift „Schaffung von leistbarem Wohnraum“ auf „transparente Preisbildung“, „ein attraktiveres Mietrecht“ und „hohe Rechtssicherheit für Mieterinnen und Mieter“ – alles inhaltsleere Phrasen – gesetzt wird. Die Forderung nach fixen Mietzinsobergrenzen sucht man beispielsweise vergeblich. Positiv bleibt anzumerken, dass Maklerprovisionen zukünftig vom Besteller zu zahlen sind.
 

Salto-Mortale rückwärts

Einen vollkommenen Salto-Mortale rückwärts legten die Grünen bei den Themen Asyl und Migration aufs Parkett. Um an die Futtertröge zu gelangen, hat man sich bis zu einem Grad verbogen, der bisher orthopädisch für unmöglich gehalten wurde. Dabei geht es nicht darum, ob die einzelnen Maßnahmen im Regierungsprogramm Zustimmung ober Ablehnung finden – vieles was hier gefordert wird, steht im Einklang auch mit fortschrittlichen Migrationsexperten, wie beispielsweise den Briten Paul Collier und Alexander Betts – sondern es geht darum was Grün noch gestern gefordert hatte und heute ins Reich der Vergessenheit verbannt wurde. Dabei rede ich gar nicht von heiklen Themen wie der geplanten Sicherungshaft. Auch die wurde von Kogler & Co. geschluckt.

Was die Arbeitsmigration betrifft, will man, sollten in Österreich bzw. im EU-Raum die von Industrie und Wirtschaft geforderten Arbeitskräfte nicht gefunden werden, diese weltweit anwerben. Dazu dient die Ausweitung der „Rot-Weiß-Rot-Karte“ bei gleichzeitiger Senkung der Gehaltsgrenzen. Brain-Drain auf globaler Ebene sozusagen. Jetzt nicht nur für den IT-Ingenieur, sondern auch für den ungelernten Saisonier. Während in Kroatien oder Rumänien ganze Landstriche durch Abwanderung veröden, ködern Kogler und Kurz weltweit Arbeitskräfte, um der heimischen Wirtschaft und Industrie die Ausbildungskosten zu sparen. Und das bei allein 32.000 Asylberechtigen in unserem Land, die ohne Arbeit sind. Man reibt sich die Augen, ob dieser Ungeheuerlichkeit!
 

EU über alles

Natürlich findet sich im Kapitel „Österreich und Europa in der Welt“ der mainstreamige EU-Schmus im Sinne der Herrschenden. Ich zitiere: „Die Europäische Union ist eine der größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts und das erfolgreichste Friedensprojekt unseres Kontinents etc., etc.“ Was sieht Türkis-Grün als eine der Hauptaufgaben der EU in der Zukunft? „Es braucht eine klare Haltung der EU-Kommission gegenüber Budgetsündern“, also eine weitere Entmündigung der Parlamente der Mitgliedsstaaten. Auch die neoliberale Globalisierung wird verteidigt: „Österreich wirkt auf europäischer und internationaler Ebene protektionistischen Tendenzen entschlossen entgegen.“

Das Programm fordert eine „verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung auf europäischer Ebene“ (EU-Armee?) und das Engagement Österreichs im Rahmen der permanenten strukturierten Zusammenarbeit der EU (PESCO). Wie das mit dem einige Seiten weiter postulierten Bekenntnis zur immerwährenden Neutralität Österreichs zusammengeht?  


Demokratie

Wirkliche Demokratie beginnt erst jenseits des abstrakten Transparenz- und Humanitätsgeschwafels. Sie beginnt dort, wo von gesetzgebenden Körperschaften Beschlüsse gefasst werden, die im objektiven Interesse der Mehrheit der davon Betroffenen sind. Beispielsweise die im koalitionsfreien Raum vom österreichischen Nationalrat nach dem Auseinanderfallen der FPÖ-ÖVP Koalition von FPÖ, SPÖ und Liste Pilz beschlossene „Hacklerregelung“: Wer 45 Jahre gearbeitet hat, kann mit 62 in Pension gehen. Nun wollen Kurz & Kogler diese Regelung wieder abschaffen. Damit zukünftige Parlamentarier außerhalb enger koalitionärer Korsette nicht auf „dumme“ Gedanken kommen, fordert das Regierungsprogramm: „Daher sollen unter Einbeziehung aller Parlamentsparteien, Maßnahmen geprüft werden, um in Vorwahlzeiten nachhaltiges und verantwortungsvolles Handeln im Parlament sicherzustellen und die üblichen Prozesse im Gesetzgebungsverfahren einzuhalten.“

Demokratie im Sinne der Herrschenden…

 

Werner Murgg

Veröffentlicht: 21. Januar 2020