Koloman Wallisch in der ungarischen Räterepublik

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Das revolutionäre Erbe des Koloman Wallisch

Dienstag, 07. Februar 2012

Koloman Wallisch gehört zu den bekanntesten Märtyrern des Februar 1934. Weniger bekannt ist seine Rolle in der ungarischen Räterepublik. Ein historischer Rückblick von Gernot Trausmuth.

Koloman Wallisch wurde am 28. Februar 1889 in Lugos (im Banat) geboren. Schon im Alter von 11 Jahren begann er als Maurerlehrling zu arbeiten. 1905 tritt er der Gewerkschaft und der Sozialdemokratie bei. Nach seinen Wanderjahren in Österreich und Deutschland wird er zum Militärdienst eingezogen. Im Ersten Weltkrieg ist er anfangs in Szegedin, der drittgrößten Stadt Ungarns, stationiert. Seine politische Aktivität ist den Behörden jedoch ein Dorn im Auge und er wird an die russische und dann an die italienische Front abkommandiert. Mit Kriegsende kehrt er Anfang November 1918 nach Szegedin zurück und wird Sekretär der Stadtparteiorganisation der Sozialdemokratie (SDP). Seine Frau Paula hat seine Rückkehr nach Szegedin später so beschrieben:
„Sofort nach der Ankunft in Szegedin berief Koloman für einen der nächsten Tage eine Sitzung aller Vertrauenspersonen der Partei und für den Abend eine Versammlung ein, zu der er einen Vertreter des Budapester Parteivorstandes erbat. Schon in der Sitzung war es als Wunsch aller ausgesprochen worden, dass er die Leitung des Parteisekretariats übernehme (...). Ein Herzenswunsch Kolomans war in Erfüllung gegangen. Nicht versorgt wollte er werden. In seiner Heimatstadt hätte er nicht nur sofort eine Arbeitsstelle gefunden, sondern auch mit Hilfe seines Schwagers, der Baumeister war, sich nach Ablegung der Meisterprüfung bald selbständig machen können. Ein ruhiges, behagliches Leben, eine auskömmliche Existenz wäre ihm sicher gewesen. Aber Koloman wollte in der Arbeiterbewegung wirken, er wollte dem Sozialismus dienen.“

Die Ungarische Revolution

Wallisch war in den kommenden Monaten auch aktiv im Szegediner Arbeiterrat und kämpfte dort mit den Kommunisten für die Sozialisierung der Produktionsmittel und die entschädigungslose Aufteilung des Grundbesitzes.

Ähnlich wie in Österreich war auch die ungarische Arbeiterbewegung 1917/18 von der Nachricht des Sieges der russischen Revolution nachhaltig geprägt worden. Eine Streikwelle, Antikriegsdemonstrationen und Landbesetzungen erschütterten das Land. Noch im Oktober 1918 kam es zu einem Aufstand, die Regierung stürzte und es wurde die ungarische Republik ausgerufen. Doch der liberale Premier Karolyi, der auch die Unterstützung der Führung der SDP hatte, war außerstande die Fragen der bürgerlich-demokratischen Revolution geschweige denn die soziale Frage zu lösen. Unter dem Druck der streikenden ArbeiterInnen und der meuternden Soldaten einerseits und der Entente-Mächte, die sich große Teile des ungarischen Staatsgebietes einverleiben wollten, trat er am 20. März 1919 zurück und wollte die Regierungsgeschäfte an die SDP abtreten. Die revolutionäre Gärung war allerdings bereits zu sehr fortgeschritten. Der Weg war frei für die Ausrufung der ungarischen Räterepublik nach russischem Vorbild. Koloman Wallisch erlebte diese Ereignisse in Budapest und nahm an den Leitungssitzungen der SDP teil, wo die weiteren Schritte beschlossen werden sollten. Wallisch zählte zum linken Parteiflügel, der eine Zusammenarbeit mit der erst im November 1918 gegründeten, aber rasant wachsenden Kommunistischen Partei (KMP) durchsetzte. Die SDP wollte anfangs eine Koalitionsregierung mit der KMP bilden, doch in der Arbeiterklasse war die Idee bereits vorherrschend, man müsse es „so machen wie in Russland“. Die Druckergewerkschaft weigerte sich das Zentralorgan der SDP zu drucken, dieser Streik verwandelte sich binnen Stunden in einen Generalstreik. Und am 21. März 1919 wurde die Diktatur des Proletariats proklamiert.

Die Kommune von Szegedin

Koloman Wallisch kehrte nun nach Szegedin zurück und ging mit János Udvardi, dem lokalen Sekretär der KMP, an den Aufbau des Revolutionären Exekutivkomitees (REK) in der Stadt. In den Kasernen wurde nun eine Rote Armee gegründet (wobei sich diese weitgehend auf die alten Armeestrukturen stützte und in den kommenden Monaten angesichts der Bedrohung durch den Imperialismus nicht zur Verteidigung der Revolution imstande war, Anm.). Vor einer Massenversammlung wurde die Diktatur des Proletariats ausgerufen, die von allen Behörden und Vereinen unterstützt wurde. Vor dem Arbeiterrat referierte Wallisch über die Beschlüsse, die tags zuvor in Budepest gefällt wurden: „Bis jetzt hat sich die (sozialdemokratische, Anm.) Partei nach Westen orientiert und hat die Befreiung von dort erwartet. Jetzt hat es sich aber erwiesen, dass man uns, entgegen jeder demokratischen Auffassung, niederstampfen will. Hierauf haben sich die Sozialisten zusammengefunden und sind auf den Gedanken gekommen, nicht mehr nach Westen zu blicken, sondern nach Osten, und gegen die imperialistischen Staaten die Verbindung mit der Sowjetrepublik zu suchen...und der Sowjetrepublik unsere Allianz anzubieten.“
Wallisch wurde daraufhin auch in das Direktorium des Revolutionären Exekutivkomitees (REK) gewählt, das ab sofort die Macht in der Stadt ausübte.

Szegedin war für die Entente-Mächte strategisch von großer Bedeutung, lag es doch an einem Eisenbahnknotenpunkt und verfügte über wichtige Brücken, die über die Theiß führten. Von hier konnte die Besatzungsmacht Frankreich sowohl nach Rumänien wie auch nach Serbien operieren. Angesichts der revolutionären Entwicklungen versuchte Frankreich die Besatzung Szegedins sogar noch auszubauen.
Trotz dieser Bedrohung ging das REK ab dem 23. März daran Maßnahmen im Interesse des Proletariats zu setzen. Der erste Schritt war eine auch von Wallisch unterzeichnete Verordnung zur Sicherung der allgemeinen Versorgung. Alle Haushalte und Geschäfte mussten eine Auflistung ihrer Vorräte an Lebensmitteln und Kleidung vorlegen. Eine Reihe von Unternehmen wurde in das Eigentum der Stadtgemeinde überführt. Wallisch richtete sich in einer Rede an die Beamten und versuchte sie für die Mitarbeit am Aufbau der revolutionären Ordnung zu gewinnen: „Jeder, der eine Idee hat, hat die Pflicht, damit herauszurücken. Wenn wir von irgendeiner Arbeit hören, die wert ist, in Angriff genommen zu werden, werden wir sie in Angriff nehmen. Wir gehen nicht mehr ins Ministerium, sondern packen selber an. Was wir an kleinen Veränderungen in den letzten Monaten begonnen haben, das setzen wir jetzt mit gesteigertem Elan fort. Wir verfügen dazu über die Vermögen der Szegediner Bourgeoisie.“
Am 25. März wurde der Erlass über die Pflichtversicherung der Arbeiter verabschiedet. Laut einer Anordnung an die „Werktätigen des Unterrichtswesens“ sollte an die Umgestaltung des Schulunterrichts im sozialistischen Geiste geschritten werden. Der Religionsunterricht an den Schulen wurde verboten. Es wurden Fürsorgeämter zur Bekämpfung von TBC, Geschlechtskrankheiten und Zahnerkrankungen eingerichtet. Öffentliche Bäder sollten errichtet werden. Der Kampf gegen die Wohnungsnot wurde angegangen. Und zur Sicherung der öffentlichen Sicherheit wurden gestützt auf gewerkschaftlich organisierte Soldaten neue Einheiten (Volkswache, Rote Wache) organisiert. Ein weiterer wichtiger Erlass forderte die Landbesitzer auf den Boden zu bestellen, um die Versorgung zu sichern.

Flucht und Untergrundarbeit

Doch die französische Besatzungsmacht wollte diese soziale Revolution nicht länger dulden. Am 26. März stellte sie dem REK ein Ultimatum, das zwar gegen die im Waffenstillstandsabkommen zugesicherten Rechte verstieß, dem aber angesichts der militärischen Überlegenheit der imperialistischen Heere Folge geleistet werden musste. Hunderte revolutionäre AktivistInnen verließen daraufhin am 27. März Szegedin. Die Kommune von Szegedin musste nach 5 Tagen der Gewalt weichen, die Stadt wurde von nun an zu einem Zentrum der Konterrevolution. Koloman und Paula Wallisch mussten ebenfalls flüchten: „Wir schnürten nun zum ersten Mal unser Bündel, um zu fliehen. Bündel ist nicht symbolisch gemeint, sondern ich hatte tatsächlich nur ein Bündel, in dem etwas Wäsche zusammengepackt war. Kolomans Mutter mussten wir in der besetzten Stadt zurücklassen wir fuhren nachts auf einem Leiterwagen mit Ochsengespann, zusammengekauert, in Tücher gehüllt. (...) Wir waren nun Flüchtlinge und ganz auf die Gastfreundschaft angewiesen.“

Doch auch in Kiskunfelegyhaza, wohin die Mitglieder des REK geflüchtet waren und wo sie bis 16. April bleiben sollten, setzte Wallisch seine revolutionäre Arbeit fort. Es ging nun um die Organisierung der Untergrundarbeit in Szegedin und Umgebung. Wallisch war außerdem für den Kontakt mit der Budapester Räteregierung unter Bela Kun verantwortlich. Unter anderem war Wallisch auch Mitglied des revolutionären Gerichtshofes, am 2. April sogar Vorsitzender desselben. In fünf von sechs Verfahren wurden die wegen konterrevolutionärer Tätigkeiten Angeklagten auch verurteilt (in einem Fall wurde sogar zum Tode), in allen Fällen wurden die Verurteilten jedoch nachher freigelassen. 1929 veröffentlichte eine rechtsgerichtete Zeitung in Wien mit Bezug auf diese Tätigkeit eine Artikelserie unter dem Titel „Die Greueltaten des Koloman Wallisch in Ungarn“. Wallisch klagte den zuständigen Redakteur wegen Ehrenbeleidigung und erhielt 1931 vor Gericht Recht.

Ab Mitte April bemüht sich das REK um die Organisierung der revolutionären Rätebewegung unter den LandarbeiterInnen im Umland von Szegedin. Wallisch wird am 10. Juni in das Präsidium des lokalen Arbeiter-, Soldaten und Bauernrates und als Delegierter zum Rätekongress gewählt. Auch in diesem ländlichen Bezirk zeigten Wallisch und GenossInnen in der Praxis, dass die Revolution konkrete Verbesserungen für die Menschen bringen würde: Lebensmittelversorgung, Schule, Erwachsenenbildung, soziale Unterstützung für Kriegsopfer usw. Die falsche Agrarpolitik der Räteregierung, die im Gegensatz zu den Bolschewiki gegen eine Bodenreform war, erschwerte jedoch Wallischs Bemühungen.

Revolution oder Konterrevolution

Am 12. und 13. Juni nahm Wallisch am Parteitag der vereinigten Arbeiterpartei teil, wo es um die Zukunft der Räterepublik und den Charakter der neuen Partei gehen sollte. In seinem Referat bezieht Wallisch offen Position: „Was den Namen betrifft, bin ich der Ansicht, dass wir aufrichtig sein und offen sagen sollen, was wir sind: Kommunisten.“
Er gehörte somit zu jenem Teil der früheren SDP, die sich im Zuge der Revolution den Positionen der Kommunistischen Internationale, die kurz davor gegründet wurde, weitgehend angenähert hatten.

Wallisch steht in diesen Wochen in engem Kontakt mit den Genossen, die in Szegedin einen Generalstreik gegen die Konterrevolution und die französische Besatzungsmacht versuchen, und er tritt in unzähligen politischen Versammlungen unter den Einwohnern der Gehöfte als Redner auf, wo er die LandarbeiterInnen zur Unterstützung der Diktatur des Proletariats aufruft.

Einen letzten großen Auftritt hat Wallisch im Rahmen des internationalen Aktionstages in Solidarität mit Sowjetrussland, der ungarischen Räterepublik und für die Annullierung des Friedens von Versailles. In dem von ihm eingebrachten Resolutionstext hieß es: „Das Volk des Gebietes von Szegedin warnt gleichzeitig die konterrevolutionäre Regierung, die sich in Szegedin organisiert hat, sie möge nicht mit den Bauern rechnen; sie möge sich fortscheren, ebenso wie die Regierung Gyula Karolyi, und nicht warten, bis man sie mit Sensen und Hacken fortjagt. Hoch die III. Internationale! Hoch das Proletariat der Entente!“

Doch das Ende der ungarischen Räterepublik war zu diesem Zeitpunkt bereits besiegelt. Nach 133 Tagen sah sich Bela Kun gezwungen zurückzutreten. Tschechische, rumänische und französische Truppen besetzten das Land. Die rechten Teile der Sozialdemokratie machten alle Maßnahmen der Räterepublik rückgängig und händigten die Macht den Vertretern der alten Ordnung aus. Die Reaktion verübte ein Blutbad unter der ArbeiterInnenklasse. 5000 RevolutionärInnen wurden ermordet.

Szegedin war Ausgangspunkt der Konterrevolution unter der Führung von Admiral Horthy. Konterrevolutionäre Sonderkommandos unter dem Antisemiten Pronay begannen im Umland von Szegedin mit einem Femegericht. 4 Genossen von Wallisch wurden gehenkt. Koloman und Paula Wallisch mussten nach Jugoslawien und später in die Steiermark flüchten.

In Bruck/Mur bemüht sich Wallisch weiterhin um die Organisierung der ArbeiterInn. Er wird Gemeinderat der SDAP, später auch Landtagsabgeordneter und Nationalrat. Im Februar 1934 ist er als Parteisekretär in Graz aktiv, als er aber vom Schutzbund in Bruck/Mur gerufen wird, begibt er sich an die Seite seiner Genossen und leitet den Widerstand in der Obersteiermark, obwohl er die Ausweglosigkeit dieses Kampfes erkannt hatte. Auf der Flucht in die Berge wird Wallisch am 18. Februar 1934 verhaftet und am Tag darauf in Leoben vom Standgericht zum Tode verurteilt und gehenkt.

Koloman Wallisch verkörperte die besten Traditionen der internationalen ArbeiterInnenbewegung. Seinem Leben und Werk gedenken wir am 12. Februar, sein Erbe führen wir in unserem politischen Kampf als revolutionäre SozialistInnen weiter.

 

 (aus funke.at)

Veröffentlicht: 28. März 2012