Gegen den Rechtsruck – nicht mit Appellen, sondern durch strukturelle Veränderungen
Bevor ich inhaltlich einsteige, möchte ich kurz die Perspektive erläutern, aus der ich spreche. Ich bin 1992 als Kriegsflüchtling aus Afghanistan nach Österreich gekommen und in Kärnten in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren aufgewachsen – genau in jener Zeit, in der Jörg Haider politisch dominierte. Diese Jahre haben meine Wahrnehmung geprägt. Ich habe früh gelernt, wie stark politische Sprache und bestimmte politische Figuren gesellschaftliche Realitäten formen können.
Die Freiheitliche Partei Österreichs, die FPÖ, ist eine rechtspopulistische bis extrem rechte Partei, deren Wurzeln nach 1945 im deutschnationalen Milieu und auch bei ehemaligen Nationalsozialisten liegen. In den ersten Jahrzehnten war sie eine kleine nationalliberale Partei, bis Jörg Haider sie ab 1986 grundlegend veränderte. Unter seiner Führung wurde sie zu einem Modellfall modernen europäischen Rechtspopulismus: mit einer aggressiven Anti-Establishment-Rhetorik, einem klar antimigrantischen Kurs, Law-and-Order-Politik, einem sozial aufgeladenen Nationalismus und der Strategie, radikale Begriffe zu normalisieren und gesellschaftliche Konflikte zu emotionalisieren. Diese Mischung aus kulturellem Nationalismus und wirtschaftlichem Populismus wurde später für viele europäische Rechtsparteien prägend. Im Jahr 2000 trat die FPÖ erstmals in eine Bundesregierung mit der ÖVP ein. Nach inneren Zerwürfnissen übernahm Heinz-Christian Strache die Partei, radikalisierte sie erneut und professionalisierte zugleich das Marketing. Heute zählt die FPÖ zu den erfolgreichsten extrem rechten Parteien Europas und versucht, Migrations- und Sozialpolitik, Sicherheit und nationale Identität entlang autoritärer Linien neu zu definieren.
Schaut man auf die Entwicklung der FPÖ, lassen sich drei Phasen erkennen. Die Haider-Jahre markierten die Normalisierung einer radikal rechten Sprache und brachten 1999 den ersten großen Wahlerfolg sowie den Einstieg in die Bundesregierung. Unter Strache folgte eine Phase der professionalisierten Radikalisierung, geprägt von neuen sozialen Medienstrategien und einer klaren Ausrichtung auf jüngere Zielgruppen, bis zum Ibiza-Skandal 2019, der der Partei jedoch nur kurzfristig schadete. Heute präsentiert sich die FPÖ unter Herbert Kickl als permanente Krisenpartei, die sich trotz oder gerade wegen ihrer früheren Regierungsbeteiligungen als Anti-Establishment-Kraft inszeniert. Sie nutzt jede Form von Unsicherheit – Pandemie, Inflation, Kriege, Energiepreise – zur Mobilisierung. Obwohl sie bei der Nationalratswahl im Vorjahr fast 30 Prozent erreichte, verzichtete sie auf die Regierungsbildung oder war nicht dazu bereit. Österreich ist seit Jahrzehnten ein politisches Labor für die Rechte. Vieles, was Haider einst salonfähig machte, ist heute Teil des politischen Mainstreams. Doch die extreme Rechte wächst nicht von selbst. Sie wächst, weil das politische Zentrum – vor allem die ÖVP und zunehmend Teile der SPÖ – seit Jahren auf Angst, autoritäre Maßnahmen und Kürzungspolitik setzt. Und sie wächst, weil viele Menschen das Gefühl haben, dass keine politische Kraft mehr wirklich für ihre Interessen einsteht.
Der Erfolg der extremen Rechten basiert auf mehreren Faktoren. Austeritätspolitik hat über Jahre Unsicherheit geschaffen, und Unsicherheit ist das zentrale Kapital der FPÖ. Gleichzeitig hat die politische Mitte rechte Sprache normalisiert, indem Migration als Bedrohung beschrieben oder Sicherheitspolitik ins Zentrum gerückt wurde. Auch die Linke hat Fehler gemacht: Sie hat an sozialen Wurzeln verloren, sich zu oft an technokratischen Diskursen orientiert und zu selten Antworten auf konkrete materielle Probleme geliefert. Mancherorts hat sie neoliberale Denkmuster übernommen, statt ihnen entgegenzutreten. Dadurch entstand ein politisches Vakuum.
Die aktuelle Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS wird international gerne als demokratische Schutzmauer gegen die extreme Rechte wahrgenommen. In der Realität setzt sie jedoch ein Kürzungsprogramm um, das soziale Unsicherheiten verschärft. Obwohl die FPÖ nicht Teil der Regierung ist, fließen Teile ihrer Agenda in die Politik ein: eine weitere Verschärfung der Asylpolitik, Einschnitte im Sozialbereich, steigende Belastungen für Haushalte mit niedrigen Einkommen, Tendenzen zur Privatisierung und eine restriktive Sicherheitspolitik. Wenn das politische Zentrum rechte Politik umsetzt, stärkt das nicht die Mitte, sondern die Rechte.
Gleichzeitig zeigt sich in Graz, dass linke Politik dann erfolgreich ist, wenn sie konkret, glaubwürdig und alltagsnah ist. Die KPÖ arbeitet seit den 1990er-Jahren im Gemeinderat entlang klarer Prinzipien: einer umfassenden Wohnungspolitik und dem Einsatz für öffentlichen Wohnbau, direkter Unterstützung für Menschen in Not, der Offenheit von Sprechstunden und Begegnungsräumen, transparenten Regeln für politische Mandatarinnen und Mandatare mit einem Lohnverzicht zugunsten von Menschen in schwierigen Lebenslagen, dem Ausbau sozialer Infrastruktur statt Kürzungen, konsequenter demokratischer Beteiligung und einer antifaschistischen Haltung ohne moralische Überheblichkeit. Erfolg entsteht nicht durch Symbolpolitik, sondern durch spürbare Verbesserungen im Alltag der Menschen. Das ist auch der Grund, warum viele Menschen, die auf nationaler Ebene FPÖ wählen, in Graz KPÖ wählen – weil sie die Arbeit als glaubwürdig und authentisch erleben. Diese Erfahrungen konnten wir auch in anderen Städten in der Steiermark wie Leoben und Knittelfeld sowie jüngst in Salzburg und Innsbruck wiederholen. Auf nationaler Ebene ist dieser Erfolg noch nicht gelungen, aber wir wissen, dass politische Glaubwürdigkeit Zeit braucht und auf lokaler Ebene beginnt. Kommunalpolitik ist dafür die entscheidende Grundlage.
Europa ringt heute um seine politische Zukunft. Der Aufstieg der extremen Rechten ist Symptom tieferliegender Probleme: Unsicherheit, Enttäuschung und fehlende soziale Stabilität. Wenn wir diese Ursachen benennen und politisch angehen, können wir dem Rechtsruck etwas entgegensetzen. Nicht durch Appelle, sondern durch strukturelle Veränderungen.
Vielen Dank.
Veröffentlicht: 24. November 2025