EU-BUDGET

Neue Reformauflagen bei Krisengeld

Die Junge Welt berichtete am 19. 1.2021 über die wirtschaftlichen Pläne der Euro-Gruppe. Gefordert werden neue »Reformprogramme«

 

 

Junge WELT, 19.1.2021

 

Von Steffen Stierle

 

 

In der Coronakrise nehmen die ohnehin großen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Euro-Ländern weiter zu. Das zeigt eine Analyse der EU-Kommission, über die am Montag im Rahmen einer Sitzung der Euro-Gruppe per Internet diskutiert wurde. Abhilfe wollen die Finanzminister schaffen, indem sie Hilfsgelder an »Reformauflagen« koppeln.

Deshalb müssen derzeit alle Mitgliedstaaten, die von Mitteln aus dem »Next Generation EU«-Fonds profitieren wollen, sogenannte Aufbaupläne erarbeiten. Den Rahmen hatte der Rat im November vorgegeben. Demnach geht mit der Mittelvergabe etwa die Pflicht einher, den digitalen Wandel voranzutreiben und in klimafreundliche Technologien zu investieren. Aber auch Arbeitsmarktliberalisierung ist ein Thema, wenn etwa verlangt wird, »den Aufbau von Humankapital und erfolgreiche Arbeitsplatzwechsel zu unterstützen«.

Darüber hinaus erwartet Brüssel, dass in den Reformprogrammen bereits die Rückkehr zu strikter Etatdisziplin angelegt wird: Sobald wie möglich »sollte eine Neuausrichtung der Haushaltspolitik (…) – unter anderem durch Beendigung der Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen und Bürger – dazu beitragen, die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auf mittlere Sicht zu gewährleisten«, heißt es in dem Analysepapier.

Nun geht es also darum zu prüfen, ob die Reformpläne der Euro-Länder den Vorstellungen von Rat und Kommission entsprechen. Erst dann können die Mittel fließen. Im Bundesfinanzministerium geht man davon aus, dass mit den Auszahlungen frühestens Mitte des Jahres begonnen werden kann. Die Antwort Brüssels auf die erste Welle der Coronapandemie käme dann erst Monate nachdem sich deren Ausbruch zum ersten Mal gejährt hat.

Die Bundesregierung will in der Debatte laut einem Vorbereitungsdokument, das jW vorliegt, darauf achten, dass die Mitgliedsländer »in den nationalen Plänen darlegen, wie sie durch Reformen und gezielte Investitionen das Wachstumspotential und die Widerstandsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften erhöhen«. Einen eigenen Aufbauplan habe man bereits im Dezember verabschiedet und bei der Kommission eingereicht. Finalisiert werden soll dieser bis Ende April. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) darf für die BRD mit rund 23 Milliarden Euro aus dem EU-Topf rechnen.

Ein weiteres großes Thema der Euro-Gruppe waren die zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte. Insbesondere die Krisenpolitiker der BRD zielen seit Monaten darauf ab, durch erhebliche staatliche Zuschüsse für Indus­trie und Finanzwelt die Gunst der Stunde zu nutzen, um die Vormachtstellung im Staatenkartell weiter auszubauen und dem durch den »Brexit« verursachten Machtverlust entgegenzuwirken.

Wie eine »technische Note« der Kommission zur Vorbereitung der Euro-Gruppendebatte zeigt, gehen die Brüsseler Analysten von einem deutlichen Auseinanderdriften dieser Volkswirtschaften während der Krise aus. Eine Reihe bestehender Ungleichgewichte verschärfe sich derzeit. So verweist die Behörde etwa darauf, dass die Pandemie bislang in jenen Mitgliedstaaten die stärksten Auswirkungen hat, die schon vor der Krise durch relativ hohe öffentliche und private Schuldenstände gekennzeichnet waren. Hinzu komme, dass dies häufig auch Länder seien, in deren wirtschaftlicher Struktur der Tourismus eine besonders große Rolle spielt.

Zwar betont die Kommission auch, dass sich die Coronakrise »fundamental« von der Finanzkrise 2008 unterscheide und nicht das Ergebnis »finanzieller Exzesse« sei. Die formulierten Reformziele ähneln dennoch jenen aus »Troika«-Zeiten. So sollen die Maßnahmen beispielsweise die Produktivität erhöhen, für ein reibungsloses Funktionieren der Märkte sorgen und die Verwaltung effektiver machen.

Was letztlich in der Euro-Gruppe verhandelt wird, steht oft unter dem »Leitgedanken« der speziellen Definition einer europäischen Solidarität. Wenn in Brüssel von Solidarität die Rede ist, geht es um eine Leistung, für die eine Gegenleistung verlangt wird. Die Leistung sind Kredite oder Zuschüsse. Die Gegenleistung »Reformprogramme« im Sinne der neoliberalen EU-Wirtschaftspolitik.

27. Januar 2021