Drei Wochen Corona-Krise

(Donnerstag, 26.3.2020)

Viele von uns sind seit fast drei Wochen zuhause und/oder arbeiten unter Umständen, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Schulen, Universitäten und sehr viele Betriebe sind entweder geschlossen oder arbeiten nur in einem sehr eingeschränkten Umfang. Über 170.000 Menschen haben seit Beginn der Corona-Krise ihre Arbeit bereits verloren.

Trotz einer beispiellosen Geldausschüttung durch die öffentliche Hand, für die sämtliche Ankündigungen, keine neuen Staatsschulden mehr aufzunehmen, ohne Diskussion entsorgt wurden, wird es durch den wochen- oder monatelangen Stillstand des öffentlichen Lebens zu zahlreichen Insolvenzen und Betriebsschließungen kommen. Tausende sind bereits in Kurzarbeit, täglich werden es mehr. Tausende haben über Nacht ihre Existenzgrundlage verloren.

Die Coronavirus-Erkrankung (Covid-19) wird auch in Österreich zahlreiche Menschenleben fordern und den gewohnten Alltag für längere Zeit unmöglich machen. Wann es wieder eine Rückkehr zur Normalität geben wird, wissen wir nicht. Manche Betriebe werden danach ihre Arbeit wieder aufnehmen, andere werden den langen Stillstand wirtschaftlich nicht oder zumindest nicht unbeschadet überstehen. Auch die Schulbildung und Entwicklung der Kinder und Jugendlichen wird zwangsläufig leiden, wenn sie monatelang nur Minimalunterricht via Internet bekommen und Kontakte zu anderen Kindern auf soziale Netzwerke und das Telefon beschränken bleiben. Für die Eltern ist das eine sehr große Herausforderung.

 

Eingeschränkt leben

Die bei uns angewendeten Maßnahmen gegen eine zu schnelle Ausbreitung der Erkrankung werden von so unterschiedlich orientierten Staaten wie den USA, Südkorea, Vietnam oder der VR China nicht ohne Grund angeordnet. Die EU-Staaten haben keine einheitliche Vorgangsweise gewählt. Österreich hat relativ früh begonnen, die im Fall einer Pandemie möglichen und logischen Schritte umzusetzen. Über deren Wirksamkeit kann vorläufig nur spekuliert werden. Wie groß die Gefahr ist, wie hoch die Sterblichkeit, das lässt sich aufgrund der nur punktuell durchgeführten Tests und des zu geringen Zeitraums, in dem Beobachtungen angestellt werden konnten, noch nicht abschätzen. Zu den Ausgangsbeschränkungen und den vielen anderen Maßnahmen gibt es keine Alternativen, da niemand weiß, wie gefährlich die Krankheit wirklich ist. Vielleicht wird es mit einigem zeitlichen Abstand heißen, dass das alles übertrieben war und der Preis dafür zu hoch. Die schwedische Regierung scheint sich dafür entschieden zu haben, dieses Risiko einzugehen. Österreich hat unter dem Eindruck des zusammenbrechenden Gesundheitssystems im Nachbarland Italien anders gehandelt und strikte Beschränkungen des öffentlichen, wirtschaftlichen und auch privaten Lebens angeordnet.

Auch sportliche Großereignisse wie die Olympischen Spiele, die Fußball-Europameisterschaft und auch der so beliebte Eurovision Song-Contest wurden bereits abgesagt bzw. auf unbestimmte Zeit verschoben.

Österreich zählt zu jenen Ländern, die trotz des Abbaus von Spitalsbetten im internationalen Vergleich noch über relativ viele (genaugenommen 2547) Intensivbetten verfügen. Österreich wird deshalb nicht so schnell jenen Punkt erreichen, an dem eine intensivmedizinische Versorgung für schwer Erkrankte nicht mehr möglich ist. In der Steiermark sind heute (Stand 26.3.) 180 Intensivbetten frei, nur 19 mit Corona-Patientinnen und -Patienten belegt. In einigen Tagen wird es anders ausschauen und man muss wohl davon ausgehen, dass ohne Isolation sehr schnell eine Überfüllung eintreten würde. Wir sind deshalb gut beraten, die Maßnahmen weiter mitzutragen und auf die Bedeutung eines gut ausgebauten, dichten und allen zugänglichen öffentlichen Versorgungsnetzes hinzuweisen.

 

Ausmaß unbekannt

Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Intensivbetten durchschnittlich zu 82 % belegt sind, also nicht ausschließlich für Corona-Fälle zur Verfügung stehen. Und weil vorsorglich möglichst viele Betten – in einem ORF-Bericht war von bundesweit 500 die Rede – ausschließlich für Corona-Fälle freigehalten werden, werden lebensnotwendige Operationen verschoben. Viele Ärzte sind in Quarantäne, Ordinationen bleiben geschlossen. Zahnarztpraxen dürfen nicht öffnen, da sie besonders günstige Bedingungen für die Übertragung des Virus bieten.

Die meisten Sterbefälle betreffen Menschen über 65, die meisten Opfer waren über 80. In China beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung 76,5 Jahre (1960 waren es übrigens 43,7 Jahre), in Italien 82,5 Jahre und in Österreich 80,9 Jahre. Auch in der Steiermark waren unter den Opfern der Krankheit fast ausschließlich ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Am 24.3.2020, 21 Uhr, betrug die Gesamtzahl der bestätigten Infektionen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 in der Steiermark 584. Der Zuwachs war der höchste innerhalb eines Tages. Die Ausbreitung des Virus hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Am Abend des 26. März meldete die Steiermark 743 Infizierte.

Jede andere Vorgangsweise als die gewählte wäre sozialdarwinistisch („lassen wir die Alten und Kranken sterben, das ist der natürliche Lauf, auch bei der Grippe trifft es jedes Jahr Hunderttausende“). Ganz unterschiedliche Staaten haben ähnliche Strategien gewählt, denn die Pläne für den Fall einer Pandemie ähneln sich weltweit, das Handlungsrepertoire ist begrenzt. Man kann nur spekulieren, warum die in Szenarien durchgespielten Maßnahmen trotz schwerwiegender Folgen nicht nur für die Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch für die wirtschaftlichen Eliten so konsequent umgesetzt werden.

Die wirklichen Ausmaße der Corona-Pandemie kennt niemand, da noch keine breit angelegten Tests stattgefunden haben, die Hinweise darauf geben, wie viele Menschen wirklich infiziert sind. Bisher wurden fast ausschließlich Personen getestet, die mit Infizierten in Kontakt waren oder vor kurzem Italien bereist haben. Da nur ein Teil der Betroffenen Symptome zeigt (aber andere anstecken kann), ist die Zahl weitaus höher. Am 23.3. lag die Zahl der positiv getesteten Personen in Österreich bei 4000, während das IHS von einer Dunkelziffer von 55.000 Infizierten ausging. Wie plausibel das ist, wird sich erst in Zukunft zeigen, wenn breit angelegte Antikörpertests auch bei Personen durchgeführt werden, die keine „typischen“ Symptome aufgewiesen haben. (Drei Tage später wurden bundesweit übrigens bereits 6.847 positiv getestete Personen gezählt.)

 

Wirtschaftliche Folgen

Die langfristigen Auswirkungen der Wirtschaftskrise, die bereits vor Corona eingesetzt hat und sich nun sehr schnell vertiefen wird, sind nicht absehbar und mit der Krise, die 2007 begonnen hat, in vielen Punkten nicht vergleichbar. Ob das Kapital versuchen wird, nach dem Ende der Corona-Pandemie mit einer neoliberalen Offensive das Ruder herumzureißen (auch wenn sich die Bevölkerung in den am höchsten entwickelten Staaten immer weniger für den deregulierten Kapitalismus begeistern kann), oder ob, wie schon oft in der Geschichte in ähnlichen Situationen, an der militärischen Eskalationsspirale bis hin zum Krieg gedreht wird, wissen wir nicht. Dass der Chef der Wiener Börse in einem TV-Interview die Praxis verteidigt, Hilfsgelder zu kassieren und gleichzeitig hohe Dividenden an Aktionäre auszuschütten, zeigt nur, dass die Panik groß ist. Sonst würde man mit dem Abkassieren auf einen anderen Zeitpunkt warten.

Die Nachfrage nach Konsumartikeln und Dienstleistungen wird wieder steigen, wenn die Geschäfte öffnen dürfen. Viele werden an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. In manchen Branchen entsteht langfristiger Schaden, andere werden es ohne große Einbußen überstehen. Andere waren auch vorher schon angeschlagen, unter anderem die Automobilindustrie. Magna hat gleich nach der Landtagswahl am 24.11.2019 stillschweigend über 1000 Arbeitsplätze abgebaut, vor allem Leiharbeitskräfte aus Slowenien. Die Nachfrage nach Erdöl wird steigen, wenn große Industriebetriebe die Produktion wieder aufnehmen und sich die Straßen mit Autos füllen. Für kurzfristige Liquiditätsprobleme hat die Bundesregierung umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen angekündigt. Auch Privatpersonen soll geholfen werden. Auf Delogierungen wird weitgehend verzichtet, Strom- und Gasabschaltungen bei Zahlungsverzug soll es zumindest bis 1. Mai nicht geben, hieß es von Seiten der Bundesregierung am 26. März. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass schon jetzt sehr viele Menschen, die über kein soziales Netz verfügen, größte Schwierigkeiten haben, Miete und Strom zu bezahlen. Nicht alle, die jetzt dringend Hilfe brauchen, haben auch Anspruch darauf. Es ist wichtig, dass wir uns für unbürokratischen Lösungen für diese Menschen einsetzen, so wie wir uns dafür einsetzen müssen, dass die Bevölkerung nicht die Kosten für die Rettung von Konzernen übernehmen muss, während die Aktionäre weiter hohe Dividenden kassieren.

Die EU hat sich in der Corona-Krise als überflüssig erwiesen. Jedes Land geht einen eigenen Weg. Dass manche lebenswichtigen Medikamente nur noch in Indien und China produziert werden, ist ein Irrweg, passt aber zu den Globalisierungsdogmen, die in den Verträgen von Maastricht und Lissabon in Beton gegossen sind. Dass es wochenlang nicht möglich war, in Österreich Schutzmasken zu beziehen oder gar selbst herzustellen, ist nicht nachvollziehbar. Es ist unvernünftig, sich von Versorgungsketten abhängig zu machen, die man im Fall der Fälle nicht beeinflussen kann.

 

Krise und Auswege

Die Corona-Krise ist keine Verschwörung, um die Diktatur zu proben, und auch keine Vorstufe zum Faschismus und keine Krise der Demokratie (zumindest nicht in Österreich). Die Corona-Krise wird auch nicht zum Wendepunkt der Geschichte. Während die einen Neoliberalismus und Deregulierung für gescheitert erklären, lobbyieren die anderen schon heute für Steuerbegünstigungen für Konzerne nach der Rückkehr zum Alltag. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass wie nach 2008 Schritt für Schritt wieder jener Zustand einkehrt, an den man sich als Normalität gewöhnt hat. Es gibt keine progressive politische Kraft, die stark genug ist, glaubwürdig und mehrheitsfähig einen Gegenentwurf anbieten zu können.

Nach jeder Krise stellt sich die Frage, wem die Kosten umgehängt werden. Für die Bankenrettung haben alle gezahlt, sehr wenige haben profitiert. Bei Corona kann man noch gar nicht abschätzen, wer von den milliardenschweren Rettungspaketen am meisten profitiert. Aber eines steht jetzt schon fest: Die gefeierten Helden und Heldinnen des Alltags in der Kinderbetreuung, im Einzelhandel, in der Pflege und in den Gesundheits- und Sozialberufen werden nicht mehr so viel Applaus bekommen wie jetzt. Die Kürzungen im Gesundheitssystem werden wieder stillschweigend fortgesetzt. Und die Dividenden werden weiter fließen, während die Löhne und Gehälter auf lange Perspektive nicht steigen werden. Das muss aber nicht so sein. Wir können Einfluss nehmen, in die Auseinandersetzungen eingreifen und glaubwürdig für eine Politik eintreten, die die Interessen der breiten Mehrheit in den Mittelpunkt stellt. Corona ändert nichts daran, wie der Kapitalismus funktioniert, beflügelt aber die Fantasien vieler. Wir müssen realistisch bleiben, uns auf die kommenden Herausforderungen vorbereiten und dürfen uns dabei weder von Untergangspropheten noch von romantischen Entschleunigungsfantasien leiten lassen.

Georg Fuchs

27. März 2020