Alexander Dinböck: Sepp Filz und Donawitz

Aufsatz über kommunistische Betriebsratsarbeit 1945 - 1951 (

"Wir übernehmen das sinkende Schiff" -

Sepp Filz und die kommunistische Betriebsräte in der Alpine-Montan in Donawitz 1945 – 1951

 

 

Wer, bis vor kurzem, die Skripten des Fernlehrgangs des ÖGB zur Gewerkschaftskunde[1] durcharbeitete, konnte in den beiliegenden Zeittafeln zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung 1945 – 1982 für das Jahr 1947 folgenden Eintrag lesen: "30. 10.: Sozialisten erobern bei Betriebsratswahlen in Donawitz die Mehrheit (früher: KPÖ)"[2] Einen erläuternden Hinweis dazu sucht man allerdings vergebens. Schließlich konnten die Autoren nicht damit rechnen, dass der  interessierte Leser den politischen Hintergrund dazu intus hatte. Abgesehen von diesem didaktischen Problem ist diese Notiz in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:

 

1. Hält sie fest, dass mindestens bis zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit des Betriebsrates des größten Betriebes Österreich, das Stahlwerk Donawitz, von den Kommunisten gestellt wurde. Das war damals durchaus kein Einzelfall. Anders als bei den allgemeinen Wahlen, erreichte die KPÖ bei den Betriebsratswahlen nach 1945 bis zu 20 Prozent der Stimmen und gewann bis zu den Wahlen 1951/52 laufend dazu.[3] In vielen wichtigen Großbetrieben stellten Kommunisten die Mehrheit im Betriebsrat (Bergbau Fohnsdorf, Alpine-Montan Donawitz,...). In den niederösterreichischen Ölfeldern betrug der kommunistische Anteil bis zu 65%.[4] Der kommunistische Einfluss war umso stärker, je größer die Betriebseinheiten waren. Aus allen diesen Daten geht hervor, dass der sozialistische Einfluss in den entscheidenden Sektoren der Produktion auf schwachen Füßen stand und die offizielle Politik des ÖGB dort auf heftigen Widerstand stieß. Dieser hatte sich in der Zeit von 1947 bis 1951 auf den Abschluss von sogenannten "Lohn-Preis-Pakten" mit den späteren "Sozialpartnern" festgelegt. Sie regelten das Verhältnis von Löhnen und Preisen. Als Instrument zum Bremsen der Lohnsteigerung sollten sie die Kaufkraft mindern, damit ein umso größerer Teil für die Investitionen der Betriebe zur Verfügung stand. Das Ergebnis waren sinkende Reallöhne, da die Preise keiner Regelung unterlagen und den Löhnen bald "davonliefen". Viele Arbeiter reagierten empört auf diese Zumutungen, immer wieder kam es zu Hungerdemonstrationen und "Kalorienstreiks". Die kommunistischen Gewerkschafter unterstützten diesen Widerstand.

 

2.  Zwar ging diese Position der Kommunisten im Donawitzer Werk bei der Betriebsratswahl 1947 verloren, wurde aber bereits 1949 wiedergewonnen. Der oben zitierte Eintrag in der Zeittafel verschweigt aber genau diese Tatsache. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass diese dominierende Stellung der Kommunisten im Betriebsrat ein schmerzhafter Stachel im Fleisch des ÖGB war, dass ihr (vermeintlicher) Fall einen Eintrag in das Kalendarium der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung im Nachkriegsösterreich rechtfertigte. Und das über 30 Jahre nach dem eigentlichen Ereignis!

 

Dieser drohende Kontrollverlust über die Arbeiterschaft in zahlreichen Großbetrieben ließ den ÖGB auf wütende Konfrontation mit der KPÖ gehen. Der beginnende Kalte Krieg machte es leicht, jegliche Opposition, wie z. B. die erwähnten Hungerdemonstrationen, als (versuchte) "Kommunistenputsche", "von außen gesteuert" und "im Dienste der Russen" zu denunzieren. Betriebsratswahlen mit KPÖ- bzw. Einheitslisten wurden in diesem Klima zu "Schlachten" zwischen "westlicher Freiheit" und "östlicher Diktatur" hochstilisiert.  Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass fast alle Mittel recht waren, um im Werk Donawitz  Betriebsratsobmann Sepp Filz und den kommunistischen Betriebsräten nach Kräften das Leben schwerzumachen. Zahllose Verleumdungen, Falschmeldungen, mehrere Gerichtsverfahren und ein (wieder rückgängig gemachter) Gewerkschaftsausschluss sollten diese als Handlanger einer fremden Macht[5] diskreditieren und sie für die Masse der Arbeiter unwählbar erscheinen lassen. Doch anfänglich war diesem Vorhaben nur wenig Erfolg beschieden.

 

Sepp Filz, geboren 1906[6] in Donawitz in einer sozialdemokratischen Familie, erlernte im Hüttenwerk Donawitz den Beruf eines Schlossers. Diese Lehrjahre waren für ihn auch politische Lernjahre. Immer öfters gab es dort Arbeitskämpfe, weil seitens der Werksleitung an den sozialpolitischen Errungenschaften der Nachkriegsjahre[7] "gerüttelt" wurde. Es war die defensive Haltung der Sozialdemokratie in diesen Auseinandersetzungen gewesen, welche Filz schließlich veranlasste sich 1922 der KPÖ anzuschließen. Er beteiligte sich am Rande an den Kämpfen des Februar 1934 und wurde dennoch nicht verhaftet. So konnte er weiterhin seiner beruflichen und politischen  Arbeit nachgehen. Als Delegierter nahm er 1935 am VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale teil. Seine Inhalte wurden ihm zur strategischen Leitlinie im Kampf für ein freies Österreich und bestimmten die Tätigkeit der Partisanenbewegung im Raum Leoben (1943 - 1945), der er an führender Stelle angehörte.

 

Bereits am 8. Mai 1945 gelang es ihm und den Partisanen der Österreichischen Freiheitsfront (ÖFF) die Direktionskanzlei der Hütte Donawitz zu besetzen und eine Zerstörung der Werksanlagen durch abziehenden Nationalsozialisten zu verhindern. Er installiert auch Direktionsbeiräte, ohne deren Zustimmung im Stahlwerk keine Entscheidungen getroffen werden konnte. Diese Machtposition ging weit über das Betriebsrätegesetz der Ersten Republik hinaus. Doch diese Machtbefugnis war ein Gebot der Stunde, um eine rasche Inbetriebnahme der Produktion zu gewährleisten. Es waren aber auch die Lehren aus  der Zwischenkriegszeit, wonach die Betriebsräte die Werksangehörigen nicht nur in Gehalts-, Lohn-, Personal- und Wohnungsfragen unterstützen, sondern darüber hinaus auch mitverantwortlich bei der Führung der Betriebe sein sollten. Am 1. Kongress der Gewerkschaft Metall-Bergbau im März 1947 führte er die damaligen Überlegungen so aus: Ich bin der Meinung, unsere Gewerkschaft ist nicht nur einer Institution der Betreuung oder sie habe nur die nächstliegenden Belange der Arbeiter zu erledigen.[...] Sie muss an der Wirtschaftsführung und Neugestaltung des Staatsgebildes regsten Anteil nehmen. […] Wir Gewerkschafter in der Obersteiermark haben bereits einen Schritt in diese Richtung nach vorwärts getan und dabei auch schon schöne Erfolge erzielt .[8] Doch da war dieses Experiment schon wieder zu Ende. Am 23. Juli 1945 hatten erste Panzerspitzen der Briten Leoben erreicht, und diese Ansätze einer neuen Ordnung des öffentlichen Lebens beendet. Antifaschisten, welche öffentliche Ämter übernommen hatten, wurden ihrer Funktion enthoben. Das "Obersteirische Tagblatt" wurde eingestellt. Sogar Sepp Filz wurde kurzfristig verhaftet. Der Einfluss der Partisanen wurde zurückgedrängt, um "das Monopol der Linken" zu brechen.[9]

 

Nach der Sicherung der Produktionsanlagen im Werk stürzten sich Filz und seine Mitstreiter in den Kampf um die Erhaltung des Standorts Donawitz. 1938 war diesem mit der Errichtung des Stahlwerkes in Linz eine innerösterreichische Konkurrenz erwachsen. Da zwei Stahlwerke für das, nun wieder, kleinere Österreich zuviel sein würden, würde die Entscheidung zugunsten jenes Standortes fallen, der das erste Eisen produzieren würde und diesen Wettbewerb wollte Filz gewinnen. Der Standort Donawitz hatte zwar Demontagen durch die sowjetischen Truppen erlitten, allerdings wies es keine Kriegszerstörungen und Bombentreffer auf, wie das in Linz der Fall war. Die Voraussetzungen waren zwar vorhanden, die Probleme des Neubeginns waren trotzdem gewaltig. Durch die Rückkehr der Fremdarbeiter in ihre Herkunftsländer mangelte es vorerst an Arbeitskräften, so dass auch Alte und Versehrte im Rahmen ihrer Möglichkeiten anpacken mussten. Doch bereits im Oktober 1945 drohte wegen finanzieller Schwierigkeiten eine Entlassung von 1000 Arbeitern. Filz reiste mit einer Delegation nach Wien und sprach beim neugegründeten ÖGB, in der Generaldirektion der Alpine-Montan Gesellschaft sowie bei Bundeskanzler Renner vor und erwirkte eine Kreditzusage der Bundesregierung. Der beabsichtigte Personalabbau konnte verhindert werden. Als ein Lieferengpass an Koks das geplante Vorhaben bedrohte, war es Filz der über Kontakte zur tschechischen Kommunistischen Partei Kokslieferungen aus der Tschechoslowakei sicherstellte. Schließlich gelang es, dass am 10. August 1946 in Donawitz das erste Eisen produziert wurde. Doch damit war die Ungewissheit noch nicht vorbei. Schließlich musste die Produktion auch am laufen gehalten werden. Damit im Werk der 2. Hochofen in Betrieb genommen werden konnte, veranlasste Filz durch seine Kontakte zu den sowjetischen Behörden die Lieferung von 3500 Tonnen Schrott.

Um die mangelhafte Ernährung zu verbessern, entschloss sich der Betriebsrat zusätzlich Lebensmittel von den Bauern der Gegend gegen, von ihnen benötigte, Eisenwaren einzutauschen. Wenig später konnte ein größeres Kompensationsgeschäft ("Brot für Eisen") mit den sowjetischen Wirtschaftsbetrieben (USIA) erfolgreich durchgeführt werden. Dies rief umgehend den Präsidenten der steirischen Arbeiterkammer, Otto Möbes, auf den Plan. Er erregte sich über diese Tauschgeschäfte, indem er meinte, dass diese "den unweigerlichen Ruin unserer gesamten Volkswirtschaft zur Folge" hätten. Zudem würden immer größere Teile der Exporterlöse verloren gehen und außerdem würde diese Art der Geschäfte nur "von politischen Propagandisten zur Nutzung ihrer eigenen Idee" missbraucht werden."[10]

 

Am 18. Juli 1947 titelte die "Neue Zeit"[11] "KP-Funktionäre misshandeln Arbeiter. Skandalöses Verhalten des Beitriebratsobmannes von Donawitz – Terror ohne Beispiel!"[12] Darin wurde Sepp Filz beschuldigt den Arbeiter Jakob Schäffer mit "Nazischwein" angebrüllt zu haben, als er ihn wegen einer Angelegenheit zur Rede stellen wollte. Als Schäffer antworten wollte, habe Filz ihm einen Faustschlag versetzt und ihn aus der Betriebsratskanzlei geworfen. Mit diesem Vorfall war ein Wahlkampfthema im sonst inhaltsleeren Betriebsratswahlkampf gefunden. Was war wirklich geschehen? Jakob Schäffer war seit 1945 SPÖ-Mitglied und davor Pfrimer-[13] und Juli-Putschist[14]. Bei der Aussprache mit Filz soll er diesem gedroht haben, indem er sage: "Einmal bist du mir entgangen, ein zweites Mal wird dir das nicht gelingen, du Kommunistenschwein. Es kommt wieder unsere Zeit." Darauf dürfte Filz ihn tatsächlich aus dem Zimmer geworfen haben.Er wurde schließlich angeklagt (und auch freigesprochen), doch fand die Verhandlung nicht mehr vor der Wahl statt. Leider hatte dieses Vorkommnis entscheidende Auswirkungen auf die Betriebsratswahl 1947.[15] Die SPÖ-Liste erreichte 11 Mandate (KPÖ: 10, ÖVP: 1) und stellte bis 1949 den Beitriebratsobmann.

 

Während des Oktoberstreiks 1950 wurden Filz und die kommunistischen Betriebsräte verhaftet und ins Grazer Landesgericht überstellt. Man verdächtigte sie, dass sie die Hochöfen in Donawitz hätten stilllegen wollten. Nach zwei Wochen wurden die Betriebsräte schließlich enthaftet, da die  Voruntersuchung zu keinen Beweisen geführt hatte. Sie wurden allerdings erst nach einer Entscheidung des Einigungsamt Leoben vom 18. Dezember 1950 wieder eingestellt. Doch Filz war noch nicht lange in Freiheit, da wurde er im Februar 1951 zu 6 Monaten schwerem Kerker verurteilt. Der Grund lag schon weiter zurück: Filz hatte am 20. April 1950, eine Veranstaltung des VdU, die ununtersagt unter dem Schutz der Exekutive stattfinden konnte, gestört. Diese Verurteilung wurde von seinem Arbeitgeber genutzt, um ihn erneut fristlos zu entlassen. Nach Ende der Haft und als Betriebsrat, der auch am Oktoberstreik 1950 beteiligt gewesen war, fand er in der Steiermark keine Arbeit mehr und zog 1952 nach St. Pölten, wo er bei Voith zu arbeiten begann.

erschienen in den Alfred-Klahr-Nachrichten 04/2011



[1]    Gewerkschaftskunde Gk3: Vom 1. bis zum 9. ÖGB-Bundeskongress. Die wichtigsten Beschlüsse der Bundeskongresse des ÖGB 1948-1979 mit Zeittafeln 1945 – 1982. Auflage: März 1985

[2]    Gewerkschaftskunde Gk3, a. a. O., ZT II/2

[3]    Prader Hans: Probleme kooperativer Gewerkschaftspolitik. Am Beispiel der Politik des ÖGB im Wiederaufbau 1945 – 1951. Diss. Universität Salzburg, 1975. S. 321

[4]    Ebd.

[5]    Gemeint war natürlich die Sowjetunion.

[6]    Alle biographischen Angaben zu Sepp Filz: Halbrainer, Heimo: Sepp Filz und seine Zeit. Ein Donawitzer Arbeiter auf der Walz, im Widerstand und beim Wiederaufbau. Diplomarbeit Universität Graz 1993.

[7]    Gemeint sind die Reformen von Sozialminister Hanusch (Sozialdemokratie), welche in der Zeit von 1918 – 1920 umgesetzt wurden.

[8]    Zit. nach Halbrainer, a. a. O., S. 178

[9]    Zit. nach Halbrainer, a. a. O., S. 197

[10]  Zit. nach Halbrainer, a. a. O, S. 194f.

[11]  Das ist die Tageszeitung der SPÖ Steiermark.

[12]  Zit. nach Halbrainer, a. a. O., S.209f.

[13]  Gemeint ist der Putsch des steirischen Heimatschutzes unter Dr. Walter Pfrimer am 12./13. September 1931

[14]  Gemeint ist der Putsch der Nationalsozialisten am 25. Juli 1934

[15]  Zit. nach Halbrainer, a. a. O., S. 212

 

Veröffentlicht: 28. März 2012