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Schein und Sein der „BürgerInnenbefragung“

Ein Kommentar von Hanno Wisiak

Trotz berechtigter Freude über das Ergebnis der sogenannten „BürgerInnenbefragung“ darf eines nicht vergessen werden: Die Art und Weise, wie sie durchgeführt wurde, untergräbt die Grundfesten der Demokratie.

Die Vorgeschichte: Nagl ist einer der bekanntesten PolitikerInnen Österreichs. Und das nicht von ungefähr. Immerhin schaffte er es – mit oft spektakulärem Unsinn – ständig medial präsent zu sein. Vom Telefon-Verbot in Bus und Bim bis zur Murgondel reichten seine Ansinnen. Die Idee, einigen Immobilien-Spekulanten aus der Patsche zu helfen und deshalb über eine Enkel-Firma der – mit einer Milliarde Euro verschuldeten – Stadt Graz eine Firma zu kaufen und ihre Schulden zu übernehmen, reiht sich nahtlos in diese Zirkuspolitik ein.
Um selbst nicht die politische Verantwortung dafür übernehmen zu müssen, ließ er also die BürgerInnen befragen. Weil er aber die Grenze bei 45.000 TeilnehmerInnen festsetzte und zu befürchten war, dass mit der Befragung über den Reininghaus-Deal allein dieses Ziel nicht zu erreichen gewesen wäre, musste ein polarisierendes Thema her. Mit der „Umweltzone“ war ein solches schnell gefunden.

Das Problem: Dass sich immer mehr Menschen enttäuscht und angewidert vom EU-hörigen Privilegienstadl abwenden, braucht nicht zu wundern. Nagl, der sich zu gut in der Rolle des Neuerers gefällt, zauberte also eine Art „Plebiszit light“ aus dem Hut: Mittels e-Voting und Briefwahl waren die GrazerInnen dazu aufgerufen, an seiner Demokratie-Show teilzunehmen. Beides Instrumente, die die Grundfeste der Demokratie – das freie und geheime Wahlrecht – untergraben. Wer garantiert denn, dass etwa ein autoritärer pater familias seiner Familie am sonntägigen Mittagstisch, quasi zwischen Suppe und Hauptspeise, ihr Votum diktiert?
Auch ob ausgeschlossen werden kann, dass ein und dieselbe Person mehrmals wählen könnte, oder ob tatsächlich gewährleistet ist, dass die Identität von Einzelnen nicht mit dem Stimmverhalten in Verbindung gebracht werden kann, bleibt weiterhin offen. Eine Antwort darauf ist sowohl Nagl als auch seine sozialdemokratische Steigbügelhalterin Schröck schuldig geblieben.

Das Fazit: Zu befürchten bleibt, dass das Modell „BürgerInnenbefragung“ Schule macht. Das Steiermärkische Volksrechtegesetz, das den Menschen relativ weitgehende direkt-demokratische Möglichkeiten garantiert, gerät rasch in den Ruf des Altbackenen, verstaubt langsam und hat schließlich all sein Potential eingebüßt. So weit dürfen wir es nicht kommen lassen.

Direkte Demokratie muss substanziell ausgeführt und ausgebaut werden. Keineswegs darf sie zur unverbindlichen Spielwiese für politische Selbstinszenierungen verkommen!

17. Juli 2012