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Maria Cäsar im Gespräch

Großes Interview mit der Stadtzeitung Falter

Eine harte Schule
1929, 1939, 1989, 2009: Maria Cäsar über die Zeitenwenden, die sie erlebt hat, und die Zukunftshoffnungen, die sie hegt

Es war nicht sehr groß, dieses andere Österreich, also die Gruppe der Menschen, die im Nationalsozialismus aktiv Widerstand geleistet und dabei auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Maria Cäsar hat das getan, sie hat sich schon in jungen Jahren gegen den Ständestaat, später gegen Hitler engagiert und sich davon nicht einmal abhalten lassen, nachdem sie von der Gestapo verhaftet wurde. Heute ist Maria Cäsar in der Steiermark die mit Abstand bekannteste Zeitzeugin aus dieser Epoche. Gut vierhundert Schulen, sagt Cäsar, habe sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten besucht, oft mehrere Klassen pro Schule, um ihre Geschichte zu erzählen. Heute, nach einer Herzoperation und einem Schlaganfall, von dem sie nur langsam genesen ist, gehe das nicht mehr. „Zu anstrengend“, sagt Maria Cäsar im Wohnzimmer des kleinen Einfamilienhauses in Graz St. Peter, das sie mit ihrem zweiten Mann bewohnt. Und wirkt dabei so vital, dass man ihr diese Anstrengung kaum glauben mag. Draußen im Garten liegt der erste Schnee des Winters, drinnen serviert Maria Cäsars Gatte Rudolf Kaffee und Weihnachtskekse.

Falter: Frau Cäsar, wie war denn das Jahr 2009?

Maria Cäsar: Ich bin ein Mensch, der nach wie vor am politischen Geschehen Anteil nimmt. Und da war für mich zum Beispiel relevant, dass die rechtsextreme Bewegung leider Gottes zunimmt. Ich hätte nicht gedacht, dass das nach so langer Zeit wieder möglich ist. Besonders erschüttert mich, dass viele junge Leute auf diese Schreier und Populisten reinfallen. Dabei glaube ich gar nicht, dass die Jungen grundsätzlich ausländerfeindlich sind oder Richtung rechts tendieren.

Warum sind die Rechten erfolgreich?

Cäsar: Es gibt eine kleine Parallele zu den Dreißigerjahren. Ich habe das miterlebt: Da kommt jemand, der behauptet, er wisse über alles Bescheid, er könne für alles eine Lösung finden. Aber wenn man sich konkret die Strache-Leute anschaut, dann haben sie nicht nur keine Lösungen, sondern verhalten sich, sobald sie an der Schüssel sind, auch genauso wie die, die sie kritisieren. Ziemlich erschüttert hat mich, dass im Vorjahr der überwiegende Teil der SPÖ Martin Graf zum Nationalratspräsidenten mitgewählt hat. Oder dass die Winter in Graz kandidiert hat (Susanne Winter, die FPÖ-Spitzenkandidatin bei den Gemeinderatswahlen 2008, Anm.), und was sie über den Islam gesagt hat. Jetzt sitzt sie im Nationalrat. Das hat auf die jungen Menschen schon eine Auswirkung, so werden die Rechten salonfähig gemacht.

Haben Sie die Uniproteste verfolgt?

Cäsar: Natürlich. Die jungen Leute sind unzufrieden, sie sind mit den bestehenden Parteien nicht einverstanden. Die Protestwelle ist berechtigt, es ist notwendig, dass die Jungen ein bisschen aufmucksen. Das gehört dazu. Nicht ganz einverstanden bin ich damit, dass so viele Deutsche bei uns studieren. Man sollte doch verlangen, dass es da ein Limit gibt, dass sie dafür zahlen.

Als geborene Kärntnerin – Ihr Geburtsdorf Prevalje/Prävali war bis 1919 ein Teil von Kärnten: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum dieses Bundesland politisch so anders tickt?

Cäsar: Widerlich! Was Kärnten jetzt aufführt! Und es gibt kein Schuldgefühl. Dabei müssen jetzt Millionen an Steuergeldern in die Bank reingebuttert werden, und für die Armen hat man immer weniger übrig. Insgesamt spielt in Kärnten sicher eine Rolle, dass dort die nationale Frage – zum Beispiel bei den Ortstafeln – derart hochgeschraubt wurde. Man hat die Leute aufgehetzt. Jörg Haider ist auch nicht zufällig nach Kärnten gekommen. Er hat ganz genau gewusst, was er dort anrichten kann.

1929, als die Weltwirtschaftskrise ausgebrochen ist, besuchten Sie gerade die Volksschule in Judenburg. Vorhin haben Sie gemeint, es gäbe eine Parallele zu den Dreißigerjahren.Wo sehen Sie die?

Cäsar: Ich bin in Judenburg in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, gewohnt haben wir in einer Baracke. Aber weil meine Mutter aus bäuerlichen Verhältnissen kam, hat sie sich mit Hühnern und Hasen ausgekannt, in der Holzlag’ hat sie einen Stall aufgebaut. Dadurch ist es uns ein bisschen besser gegangen. Mein Vater hat als Maschinist im Gussstahlwerk gearbeitet, war aber immer wieder arbeitslos. Wenn er das zu lange war, wurde er ausgesteuert, bekam nicht einmal mehr Arbeitslosenunterstützung. Dann musste er bei Bauern arbeiten, für Lebensmittel oder ganz wenig Geld. Aber die wirtschaftliche Situation kann man nicht mit der heutigen vergleichen, die Entwicklung ist eine andere. Und damals spielte natürlich die „Judenfrage“ eine entscheidende ideologische Rolle. Heute könnte man vielleicht die Ausländerfeindlichkeit dazu in ein Verhältnis setzen.

Mussten Sie schon früh mitarbeiten?

Cäsar: Wir sind in den Wald gegangen und haben Heizmaterial beschafft. Oder nach Fohnsdorf, dort haben wir bei den Gruben Kohlen zusammengeklaubt.

Können Sie sich noch an Weihnachten 1929 erinnern?

Cäsar: Weihnachten! Wir hatten keine großartigen Geschenke. Wir haben kleine Sachen gekriegt, einen Riegel Schokolade oder ein Paar Strümpfe. Für uns war es schon etwas Besonderes, wenn wir in der Milchhalle ein Kipferl bekommen haben. Wir haben auch einen Christbaum aufgestellt, alles sehr bescheiden. Am Baum waren nur Kekse, Äpfel.

Politisch waren Ihre Eltern eher links. Haben Sie da Weihnachtslieder gesungen?

Cäsar: Weihnachten war bei uns keine so große Feier, Lieder haben wir nicht gesungen. Lieder haben wir gesungen, wenn wir auf die Alm gegangen sind. Für mich war das eine besondere Zeit – das Wandern in der Natur, das war ein großes Erlebnis!

Das Wandern war damals ja eine regelrechte Jugendbewegung.

Cäsar: Und wir haben dabei politische Lieder gesungen, „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, „Avanti populo“, aber auch Wanderlieder. Das hat wohl dazu beigetragen, dass wir ein Solidaritätsgefühl entwickelt haben. Auch bei den Roten Falken, denen ich mit zehn Jahren beigetreten bin, haben wir diese Lieder gesungen, die Politisierung kam erst später.

1934 wurden die Roten Falken gemeinsam mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei verboten. Wie haben Sie das mitbekommen?

Cäsar: Ich habe das als Ungerechtigkeit empfunden, wir haben ja nichts Ungesetzliches gemacht. Wir haben Lieder gesungen, sind auf die Alm gegangen. Und da war dieses Verbot für uns unverständlich. Aber wir sind weiter auf die Alm gegangen und haben unsere Lieder trotzdem gesungen.

Haben Sie damals versucht, sich dieses Verbot zu erklären?

Cäsar: Die Auseinandersetzung war anders, die Gegensätze waren viel stärker. Die Christlichsozialen haben das einfach verfügt. Die politische Linie hat man als junger Mensch noch nicht ganz verstanden.

Im Juli 1934 kam es dann noch zum Putschversuch der Nazis ...

Cäsar: Wir haben davon schon gehört. Aber weniger als von der Auseinandersetzung mit dem Schutzbund, bei dem auch mein Vater Mitglied war. Auch in Judenburg hatte es einen Streikbeschluss gegeben. Die Sozialdemokraten waren von den Ereignissen des Februar 1934 erschüttert, es hat ja auch Todesurteile gegeben. Das hat auch die Arbeiter in den Judenburger Betrieben empört. Und sie waren enttäuscht, dass die Führung den Streik dann abgeblasen hat. Zugleich haben sie die Vorgangsweise der Christlichsozialen abgelehnt. Und so ist zu erklären, dass viele Sozialdemokraten zu den Nazis übergelaufen sind.

Warum sind Sie nach dem Verbot der Roten Falken zur kommunistischen Jugend gegangen?

Cäsar: Der Übergang war ganz normal. Die sozialistische Partei war aufgelöst. Und dann kam jemand von den Kommunisten zu unserer Gruppe, der dieselben Ziele hatte. Warum sollten wir uns nicht dafür einsetzen? Das war keine Bruchlinie, keine große Entscheidung. Die sozialistische Partei hatte versagt. Das tut sie ja heute auch noch: Die Ideale der arbeitenden Menschen vertritt sie nicht. Und deswegen sagten wir uns damals: Natürlich muss man etwas machen! Die jungen Leute waren da auch noch revolutionärer. Nur die Tragweite unserer Entscheidung konnten wir nicht richtig abschätzen. Die habe ich erst begriffen, als ich 1939 von den Nazis verhaftet wurde. Dabei hatte ich ja nichts Unrechtes gemacht, kein Verbrechen begangen. Ich wurde nur eingesperrt, weil ich eine andere Auffassung hatte.

Was hat denn am 23.5.1939 zur Verhaftung geführt?

Cäsar: Eine ganze Gruppe des kommunistischen Jugendverbandes in Knittelfeld wurde verhaftet. Ich hatte Flugblätter gegen die Nazis verteilt, war also als Vertreter dieser Bewegung registriert. Außer mir gab es in Judenburg – das hat die Gestapo gewusst – eine Gruppe von zehn weiteren gleich gesinnten Jugendlichen. Wer die waren, das wusste die Gestapo aber nicht. Am Tag der Verhaftung war ich im Kiosk meiner Mutter, da haben wir Obst, Gemüse und Süßigkeiten verkauft. Als die Gestapo kam, hatte ich sogar Flugblätter im Kiosk versteckt. Zum Glück war auch unser Schäferhund im Kiosk, vor dem hatten sie Angst und trauten sich nicht rein. Ich habe gesagt: „Bitte, ich mache Sie aufmerksam, ich kann nicht garantieren, dass der Hund nichts tut.“ Dadurch haben sie die Flugblätter nicht gefunden. Ich weiß gar nicht mehr, was oben stand, meine Mutter hat sie dann natürlich vernichtet, das war eine große Gefahr.

Und dann hat die Gestapo Sie mitgenommen?

Cäsar: Ich habe noch gesagt: „Zeigen sie mir Ihren Ausweis.“ Dann waren sie frech zu mir und haben gesagt, was ich mir erlaube, das zu fragen. Dann sind wir zur Wohnung meiner Mutter, sie war ganz blass und hat nur gefragt, ob ich mich noch umziehen könne. Ich kam dann in den Gemeindekotter nach Judenburg und am nächsten Tag zur Gestapo nach Graz.

Wie hat Sie die Gestapo behandelt?

Cäsar: Die waren so frech, bestimmend. Ich habe sie erst in Graz richtig kennengelernt. Da habe ich gleich mitbekommen, wie sie jemanden misshandelt haben, der ist durch das ganze Zimmer geflogen. Zu mir haben sie gesagt: „Wann du sagst, wer die anderen Leute sind, dann lassen wir dich frei und du kannst sofort gehen.“ Am nächsten Tage sind sie wieder gekommen und haben mir gedroht, mich in den Keller zu sperren. Ein anderes Beispiel: Ein Gestapo-Beamter hat in meiner Gegenwart einem anderen gesagt: „Die Eltern sind schon da und beim Fotografieren.“ Das hat auf mich gewirkt. Ich habe mir gedacht: „Um Gottes willen, was machen die mit meinen Eltern?“ Im Keller war ich ein paar Mal eingesperrt. Bei Wasser und Brot. Man hat fast nichts gesehen, es gab nur eine Pritsche. Ich bäumte mich aber auf und dachte: „Die erfahren von mir überhaupt nichts!“ Ich hatte einen kleinen Vorteil, weil wir zu der Zeit, als wir Flugblätter verteilten, auch geschult wurden. Da hat man uns geraten, dass wir bei der Gestapo möglichst wenig reden sollten. Ich hatte also ein Vorwissen. Außerdem war ich einfach stur.

Wie ist es Ihnen denn während der 14 Monate Untersuchungshaft gegangen?

Cäsar: Manchmal ist man mehr verzagt, manchmal aber auch zuversichtlich. Einmal haben wir, als wir im Hof spazieren gegangen sind, aus dem Fenster des Männertraktes die „Internationale“ gehört. Das hat uns Hoffnung gegeben, dass wir doch wieder rauskommen würden. Aber es hat auch Zeiten gegeben, wo wir ziemlich verzagt waren.

Weil Sie auch mitbekommen haben, wie es anderen in Haft erging?

Cäsar: Wie die Leute geschlagen wurden. Ich habe gesehen, wie sie eine Frau an den Haaren durch das ganze Stiegenhaus gezerrt haben. Wie brutal sie waren! Immer wieder haben wir uns gefragt: „Warum behandeln sie uns wie Aussätzige?“ Menschliche Gefühle gab es praktisch keine, mit Ausnahme vereinzelter Aufseherinnen. Einer der Gestapo-Chefs war ein berüchtigter Schläger und ist in Graz nach 1945 zum Tode verurteilt worden.

Wissen Sie noch den Moment, in dem Sie freikamen?

Cäsar: Ich habe es gar nicht geglaubt, wie die Zellentür aufgegangen ist und die Aufseherin gesagt hat: „Sie werden enthaftet.“ Dann hat sie mir ewas zum Essen gegeben, ich kann mich sehr gut erinnern, Mohnnudeln waren das. Ich habe sie nicht essen können, obwohl ich hungrig war. Der Gestapo-Beamte hat mir dann gesagt, dass sie mich, wenn ich noch das geringste Vergehen begehe, in das Konzentrationslager sperren. Ich habe damals nicht genau gewusst, was das für mich bedeutet hätte. Die Leute, die 1939 oder 1940 in Graz oder in der Obersteiermark verhaftet wurden, kamen ja nicht ins Lager. Die hatten sie noch gar nicht ausgebaut und organisiert. 1941 sind dann alle ins Lager gekommen.

Als Sie entlassen wurden, überwog da das Gefühl von Glück oder der Zorn?

Cäsar: Auf der einen Seite hatte man eine Freude, dass man diese schreckliche Zeit überlebt hat, auf der anderen Seite war man natürlich hasserfüllt gegen dieses Regime. Das unbegründete Eingesperrt-Werden hat man lange nicht verkraftet. Unmittelbar nach meiner Freilassung habe ich dann geheiratet. Mein erster Mann, der auch Mitglied unserer Gruppe war, ist 1943 im Krieg gefallen.

Noch dazu gegen die Sowjetunion.

Cäsar: Er musste ja einrücken. Wir hatten beschlossen, dass er nicht gegen die Sowjetunion kämpfen und überlaufen wird. So weit ist es nicht gekommen. Sie müssen sich vorstellen: Ich war eingesperrt, habe meinen Mann verloren. Natürlich war ich empört gegen den Nationalsozialismus! All das war auch ein Grund, dass ich mich dann an der „Roten Hilfe“ (eine illegale Hilfsaktion für Angehörige verfolgter Kommunisten, Anm.) beteiligt habe.

Gab es Momente, in denen Sie daran gezweifelt haben, dass Sie den Krieg überleben würden?

Cäsar: Für mich war das eine ganz schwierige Zeit. Ich hatte auch noch einen kleinen Buben. Ich habe auch die Bombenangriffe auf Judenburg erlebt, dann habe ich mich ein halbes Jahr in Jugoslawien versteckt, weil die Nazis die Leute der „Roten Hilfe“ verhaftet hatten.

Haben Sie sich nach Kriegsende über den Einmarsch der Roten Armee gefreut?

Cäsar: Natürlich haben wir uns auf der einen Seite gefreut. Auf der anderen Seite … Ich habe aber in Judenburg keine Vergewaltigung erlebt. Wir hatten nichts zum Leben. Ein Zug ist durch Judenburg gefahren, vom Waggon heraus haben wir Polenta und Zucker mit der Hand genommen, das Patzerl, das wir erwischt haben, nach Hause getragen. Judenburg war eine geteilte Stadt: Bei den Russen hat man eine Suppe bekommen, während die Engländer sogar das weiße Brot, das sie nicht gegessen haben, verbrannt haben! Es hieß, sie dürften es uns aus hygienischen Gründen nicht geben. Natürlich, eines hat man auch bei den Russen nicht dürfen. Zu sagen: „Geben Sie uns den Stern auf der Kappe.“ Das war nicht gescheit, weil dann am Abend auch der Soldat auf Besuch gekommen ist.

Gab es nach dem Krieg eine Wertschätzung für Ihre Tätigkeit im Widerstand?

Cäsar: In Judenburg war es ein wenig besser. Judenburg ist nicht so eine große Stadt, da kennt man sich untereinander. Und einer, der immer Sozialist war, wurde damals wieder Bürgermeister. Aber später in Graz wurde man als Kommunist wie ein Aussätziger behandelt. Ich wurde oft gefragt: „Du bist so ein lieber Mensch, wie kannst du denn ein Kommunist sein?“ Man war richtig verschrien. Selbst als mein Sohn in die Mittelschule kam, haben sich einige Eltern darüber beklagt, dass wir eine kommunistische Familie waren. Natürlich hat dabei eine Rolle gespielt, dass der Antikommunismus im Nationalsozialismus so stark war, dass er nach dem Krieg weitergewirkt hat. Wir haben oft versucht, als Kommunisten zu zeigen, dass wir die Träger des Widerstands waren. Wir haben es aber zum Beispiel nie geschafft, in die Schulen zu kommen. Das wurde mir erst 1986 ermöglicht.

1950 sind Sie nach Graz, in den Lend, gezogen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Cäsar: Meine Kinder sind in die Schule gegangen, und obwohl ich Alleinerzieherin war, hat der eine den Werkmeister gemacht und der zweite hat studiert. Das war nicht ganz einfach, das alleine zu bewerkstelligen. Als Frau hat man es nach 1945 grundsätzlich nicht leicht gehabt. Kennen Sie die Geschichte von unserer Baracke? Mein Sohn kam eines Tages zu mir und berichtete, dass unsere Baracke abgerissen würde. Die Arbeiter waren auch schon da. Da hab ich mir gedacht: „Das ist das Letzte, was mir überhaupt passieren kann! Jetzt setze ich mich mit den Kindern auf die Straße!“ Der kommunistische Gemeinderat hat sich dann eingesetzt, dass ich eine Wohnung bekomme.

Haben Sie da nicht einen Dauerzorn gehabt?

Cäsar: Ich bin oft explodiert. Aber ich hatte eine harte Schule hinter mir. Trotzdem war ich immer ein Mensch, der sich für andere eingesetzt hat, später auch in der Frauenbewegung. Dort waren meine Themen die Benachteiligung der Frau, die Fristenlösung, aber auch Frieden, Abrüstung, antifaschistische Fragen und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Ich habe mich als junger Mensch für eine gerechte und bessere Welt eingesetzt und tue das heute noch.

Bevor Sie als Zeitzeugin begonnen haben in Schulen zu gehen: Haben Sie öffentlich über Ihre Zeit im Widerstand gesprochen?

Cäsar: Ich habe erst nach und nach zu erzählen begonnen, was ich mitgemacht habe. Obwohl wir einen wichtigen Beitrag zur Moskauer Erklärung geleistet haben, sind wir immer im Hintergrund gestanden.

Das hat sich dann radikal geändert, als es mit dem Kommunismus bergab ging.

Cäsar: Da hat man das lockerer genommen.

In gewisser Weise verdanken Sie also Gorbatschow Ihre zweite Karriere.

Cäsar: Ja, ich muss ihm dankbar sein!

Wie sind Sie denn mit dem Rollenwandel – von der „aussätzigen“ Kommunistin zur Zeitzeugin mit Vorbildwirkung – zurechtgekommen?

Cäsar: Ich musste mich erst an diese Situation gewöhnen, ich habe in dieser Zeit sehr viel an mir gearbeitet. Die Wende 1989 war für mich auch nicht so leicht: wenn man erkennt, dass man einem Ideal nachgerannt ist, das nicht unbedingt eines war. Man hat umdenken, dazulernen müssen. Ich glaube aber nach wie vor, dass es eine bessere und gerechtere Gesellschaft geben könnte. Und ich bin immer noch ein bisschen optimistisch. Auch wenn ich mir die Entwicklung in Amerika ansehe. Seit Barack Obama Präsident ist, habe ich wieder die Hoffnung, dass die Welt vielleicht doch ein bisschen besser wird.

Das sagen Sie als Kommunistin!

Cäsar: Ich bin für eine aufgeschlossene Gesellschaft. Ich bin zwar schon so alt, habe das Lernen aber nie aufgegeben. Ich glaube, dass das möglich ist. Ich glaube, dass die Gerechtigkeit siegen wird.

Im nächsten Jahr steht Ihr 90. Geburtstag bevor. Was wünschen Sie sich persönlich für 2010?

Cäsar: Dass ich einigermaßen gesund bleibe. Und noch etwas von der neuen Welt erleben kann.

Zur Person:
Maria Cäsar, geboren als Maria Kreth am 13.9.1920 im slowenischen Prevalje, wuchs in Judenburg auf. Mitglied bei den „Roten Falken“, danach beim illegalen Kommunistischen Jugendverband, Aktivitäten gegen Ständestaat und das NS-Regime. Verhaftung durch die Gestapo, nach 14 Monaten Untersuchungshaft entlassen, Verurteilung wegen „Hochverrats“. Dennoch engagiert sich Cäsar weiter im Widerstand. 1950 übersiedelt sie nach Graz, arbeitet für den KP-nahen Bund demokratischer Frauen, und in der Bezirksleitung der KPÖ-Graz, ab 1986 als Zeitzeugin an Schulen. 1999 Goldenes Ehrenzeichen des Landes Steiermark

falter, 23.12.09. Das Gespräch führte Herwig Höller

22. Dezember 2009