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"Die Bevorzugung der Reichen ist nicht zu ertragen"!

Kurt Palm- Interview in der Zeitung Junge Welt, 5.8. 06

Die Bevorzugung der Reichen ist auf Dauer nicht zu ertragen«
Ein Gespräch mit Kurt Palm

Kurt Palm, geboren 1955 in Vöcklabruck/Ober­österreich, ist Autor und Regisseur. Er studierte Germanistik und Publizistik in Salzburg, 1981 promovierte er mit einer Dissertation über »Bert Brecht und Österreich«. Er war Gründer und bis 1999 Leiter der freien Theatergruppe »Sparverein Die Unzertrennlichen«, Produzent und Regisseur von »Phettbergs Nette Leit Show« im ORF (1995/96).

Weitere Informationen: www.palmfiction.net
Sie sind auf der Kandidatenliste der KPÖ für die kommenden Nationalratswahlen am 1. Oktober an dritter Stelle gereiht. Was hat Sie dazu bewogen, für die österreichischen Kommunisten in den Wahlkampf zu ziehen?

Meine Entscheidung ergab sich aus der politischen Situation in Österreich. Ich habe das Gefühl, daß der Zeitpunkt gekommen ist, an dem Leute, die wie ich ein wenig in der Öffentlichkeit stehen, ein politisches Signal setzen sollten. Wir stehen hier einem gewaltigen Block gegenüber, der sich von der Mitte nach rechts entwickelt, während es auf der Linken so gut wie nichts mehr gibt. Es kann doch nicht sein, daß es in Österreich keine linke Bewegung gibt, die etwas zu sagen hat und über sich selbst hinaus wirkt. Meine Kandidatur soll einen Denkanstoß in die Richtung bewirken, daß die Linke wieder etwas selbstbewußter auftritt und sich als politische Kraft neu formiert.

Dazu kommt, daß die Grünen völlig verbürgerlicht sind und jeden fortschrittlichen Anspruch sozialer und politischer Art aufgegeben haben. Ich sehe in der KPÖ den einzigen Ansatz einer organisierten linken Kraft. Mit meiner Kandidatur möchte ich mich gegen das politische System in Österreich aussprechen, das davon gekennzeichnet ist, daß der Kapitalismus immer unverschämter in alle Lebensbereiche eindringt und die Leute immer brutaler aussaugt. Diesen Tanz der Vampire will ich mir nicht mehr gefallen lassen. Dagegen will ich nicht nur in meiner künstlerischen Arbeit auftreten, sondern auch als Bürger.

Nun ist die KPÖ alles andere als eine einheitliche Partei. Es gibt die KPÖ Steiermark, die mit ihrer Politik der sozialen Interessenvertretung einen hohen Bekanntheitsgrad aufweist, und es gibt die Rest-KPÖ, die als bürokratische Struktur jenseits der gesellschaftlichen Wahrnehmung dahinvegetiert. Was meinen Sie zu dieser Situation?

Das ist natürlich keine vorteilhafte Situation. Ich weiß das aus meiner aktiven Zeit in der Kommunistischen Partei, aus der ich 1983 ausgetreten bin, und auch als Funktionär im Kommunistischen Studentenverband. Diese Grabenkämpfe sind ungeheuer kraftraubend. Ich trete trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen für die KPÖ an, weil ich ihr Wahlprogramm – zum Beispiel: Fünf Prozent Millionärssteuer, Grundsicherung für alle – als vernünftig betrachte. Wenn ich gefragt werde, wo ich im parteiinternen Konflikt stehe, antworte ich: Auf dem Semmering (Grenzgebirge zwischen Niederösterreich und Steiermark). Bei den letzten Nationalratswahlen hatte die KPÖ 27000 Stimmen. Wenn wir diesmal 55000 erhielten, würde das die verstärkte Präsenz einer bestimmten Denkrichtung signalisieren.

Die Diskrepanz zwischen den Erfolgen der steirischen Kommunisten einerseits und dem Stagnieren auf niedrigstem Niveau, wie es das Schicksal der Rest-KPÖ zu sein scheint, läßt sich dennoch nicht bestreiten. Womit erklären Sie sich das?

Ich vermute, daß die Rest-KPÖ in ihrer bürokratischen Struktur verfangen ist und ebenso abgehoben agiert wie die ehemals herrschenden Kreise in der DDR und anderen sozialistischen Ländern. Wenn sich Kommunisten nicht wie der Fisch im Wasser bewegen, sondern nur im Parteilokal herumsitzen, bekommen sie ein Problem. In der Steiermark haben sie sich an die Basis begeben, das heißt, sie haben das Problem an der Wurzel gepackt.

Wie wollen Sie Ihren Wahlkampf anlegen?

Ich bin von Beruf Autor, Regisseur und Volksbildner. Ich werde mich deshalb auch im Wahlkampf nicht wie ein Politiker hinstellen und populistische Reden halten, um einige Stimmen zu bekommen. Das wäre gegen meine Überzeugung. Natürlich werde ich einige Auftritte absolvieren und dabei Passagen aus dem Kapital von Marx, die ich zusammengestellt habe, vortragen. Das heißt Auftritte, die mit meiner Arbeit zu tun haben. Einladungen zu Diskussionen werde ich gerne annehmen. Auch Flugblätter verteilen. Aber von Tür zu Tür laufen und um Stimmen betteln werde ich sicher nicht.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte soll der Wahlkampf der KPÖ haben?

Die Themen ergeben sich ohnedies von selbst. Die Situation im sozialen Bereich vor allem. Wir wollen thematisieren, daß im achtreichsten Land der Welt knapp eine Million Menschen an der Armutsgrenze lebt. Es gibt Hunderttausende atypisch Beschäftigte. Die Mieten verschlingen 50 Prozent und mehr der Familieneinkommen. Auf der anderen Seite wird ein kapitalfreundliches Gesetz nach dem anderen erlassen. Das alles ist natürlich keine spezifisch österreichische Problematik, sondern die bestimmende internationale Tendenz. So gesehen mutet es als hoffnungslos an, das im eigenen Land verändern zu wollen. Aber wo sonst als konkret vor Ort sollten wir es versuchen? Brecht sagte einmal: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

Was Sie eben zitiert haben, gilt im herrschenden Diskurs als populistisch. Die soziale Aufklärung schlechthin wird als populistisch denunziert. Auch gegen die steirische KPÖ richtet sich dieser Vorwurf. Mitunter sogar aus KPÖ-Kreisen jenseits des Semmerings. Da heißt es, daß die Steirer aus Gründen der Stimmenoptimierung der Migrantenfrage beispielsweise kaum Beachtung schenken würde.

In dieser Kritik ist schon ein Körnchen Wahrheit. Schauen wir uns nur den Österreichischen Gewerkschaftsbund an. Er befindet sich auch deshalb in einer so schweren Krise, weil er die neuen Realitäten nicht wahrnehmen wollte: die atypisch Beschäftigten, die Migrantenproblematik. In diesem Punkt sollte man auch die Politik der steirischen KPÖ kritisch beobachten.

Die KPÖ Steiermark hat die Vertretung der sozial Benachteiligten zu einem Kernpunkt ihrer Politik und Agitation gemacht. Stimmen Sie damit überein?

Es geht darum, die realen Probleme der Leute aufzudecken. Ich stimme mit Ernst Kaltenegger überein, wenn er die Wohnungsfrage schwerpunktmäßig thematisiert, weil das die Lebenssituation eines jeden Menschen betrifft. Jeder Mensch muß wohnen, muß sich kleiden, essen und trinken, muß sich bilden. Es muß nicht jeder ein Auto haben oder ein Handy. Aber es sollte ein Menschenrecht sein, daß jeder Mensch sich duschen kann – im 21. Jahrhundert. Auf diesem Gebiet hat die Rest-KPÖ meiner Meinung nach in den letzten Jahren geschlafen. In meinem Bekanntenkreis habe ich an den positiven Reaktionen auf meine Kandidatur feststellen können, daß das Bewußtsein, hier etwas ändern zu müssen, gewachsen ist. Die KPÖ muß doch keine neuen Themen erfinden, die liegen doch auf dem Tisch. Und die Menschen sind auch empfänglich für diese Themen. Daß es zum Beispiel mit den abartig hohen Mietpreisen so nicht weitergehen kann. Und daß die immer stärkere Bevorzugung der Besitzenden auf Dauer nicht zu ertragen ist. Da hat die KPÖ, das heißt die Rest-KPÖ, einiges aufzuholen.

Vielen Linkswählern wird bei diesen Wahlen wieder die SPÖ als das kleinere Übel erscheinen.

Die Wahl zwischen ÖVP und SPÖ ist die Wahl zwischen Pest und Cholera. Beide Krankheiten enden meistens tödlich. Rot-Grün in Deutschland hat den Kapitalismus besser verwaltet, als es die traditionell rechten Parteien vermocht hätten.

Rot-Grün hat, wie es heißt, den Reformstau aufgelöst. Was sagen Sie zur Verkehrung des Reformbegriffs?

Der herrschenden Klasse ist es in den letzten dreißig Jahren gelungen, die Sprache auf eine Weise ihren Interessen dienstbar zu machen, daß ihre allgemeine Verständlichkeit verlorengegangen ist. Den Begriff »Entlassung« gibt es nicht mehr. Das heißt heute »Freisetzung von Mitarbeiten«. Damit wird aus dem Bewußtsein gerückt, daß Familien, Biographien, Lebensläufe vernichtet werden. Ich glaube nicht, daß es schon einmal eine Zeit gegeben hat, in der die Sprache in einer solch totalen Form als Herrschaftsinstrument eingesetzt wurde. Vor allem in der Wirtschaftssprache wird die ursprüngliche Bedeutung von Begriffen ins Gegenteil verkehrt. Sanierung bedeutet Gesundschrumpfen, wobei es gesund sein soll, daß ein Teil der Beschäftigen entlassen wird und der andere mehr arbeiten muß. Wenn heute von Reformen gesprochen wird, wird wieder irgendeine Schweinerei vorbereitet. Gesundheitsreform bedeutet mehr arbeitslose Ärzte, mehr Eigenanteil, höhere Versicherungsbeiträge. Die Reform des Bildungswesen habe ich, der 23 Jahre Lehrbeauftragter an den Universitäten Wien und Klagenfurt war, so erlebt, daß über 23 Jahre sukzessive alles schlechter wurde.

Und wie stellt sich für Sie die internationale Situation dar?

Ich habe den Eindruck, daß wir uns in einer Endphase befinden, wo noch einmal alles auf einen gewaltigen Konflikt zutreibt, an dessen Ende ein radikaler Wandel stehen wird, den wir noch erleben werden. Was sich jetzt im Nahen Osten abspielt, wird für Israel und die USA nicht gut ausgehen. Auch wenn sie den Libanon dem Erdboden gleichmachen, haben sie dabei nichts gewonnen.

Die internationale Solidarität mit den Palästinensern und Libanesen hält sich allerdings in Grenzen. Auch in der Linken ist die Tendenz bemerkbar, zu beiden Seiten auf gleiche Distanz zu gehen. Ich denke hier an eine Erklärung des KPÖ-Vorsitzenden Mirko Mess­ner, die sich gegen israelische Gewalt und Hisbollah-Terror richtet und die Friedenskräfte auf beiden Seiten, aber nicht den nationalen Widerstand zum positiven Bezugspunkt hat.

Ich halte es für absolut falsch, die Schuld auf beide Seiten verteilen zu wollen. Man kann die israelische Terrormaschinerie nicht mit der Hisbollah vergleichen.

Betrachten Sie den Widerstand der Hamas und der Hisbollah gegen die israelische Aggression als legitim?

Wenn der nicht legitim ist, dann frage ich mich, was sich die Leute dort denn noch gefallen lassen sollen? Schlimmer als es ist, kann es für sie nicht mehr werden. In den palästinensischen Flüchtlingslagern gibt es eine Arbeitslosenrate von 90 Prozent, die Jugendlichen haben nicht den Funken einer Chance für ein nur halbwegs menschenwürdiges Leben. Ich kann Selbstmordattentate nicht gutheißen. Aber ich verstehe die Beweggründe dieser Menschen, die in der Logik der Verzweiflung liegen. Der Widerstand der Palästinenser und der Hisbollah ist, wenn auch nicht in jeder Form, legitim.

Wenden wir uns nun dem Künstler Kurt Palm zu.

Ich habe Bücher über Brecht, Mozart, Adalbert Stifter und James Joice geschrieben, ich drehe Filme, bin Theaterregisseur, mache Opern und Operetten, veranstalte Karl-Marx-Abende. In der Vielfältigkeit meines Wirkens fühle ich mich sehr wohl. Weil ich ein Mensch bin, dem schnell fad wird. Natürlich verstehe ich mich als politischen Künstler. Wenn ich über Mozart oder Stifter schreibe, dann interessiert mich vor allem die Rolle des Künstlers in seiner Zeit. Ich versuche, Leute zu eigenständigem Nachdenken über Kunst anzuregen. Wichtig ist, daß man tradierte Denkweisen, überkommene Rezeptionsmuster, die sich über Jahrzehnte oder Jahrhunderte festgesetzt haben und Teile der herrschenden Ideologie sind, hinterfragt und neue Ansätze findet.

Haben Sie auch eine neue Sichtweise auf Adalbert Stifter, der gemeinhin als stockkonservativ gilt, entwickelt?

Da hat die Germanistik und die herrschende Literaturgeschichte etwas Beachtliches geleistet: einen Dichter dort zu verorten, wo er nicht hingehört. Mein Anliegen war es, Stifter den Rechten zu entreißen und aufzuzeigen, daß Stifters Literatur modern ist, daß sie marxistisches Gedankengut vorweggenommen hat. Er hat auch eine Sprache entwickelt, die weit über seine Zeit hinausweist. Stifter hat sicher mehr mit Kafka als mit dem Biedermeier zu tun.

Sie haben kurze Zeit in der DDR gelebt. Wollen Sie den Lesern des ehemaligen FDJ-Zentralorgans etwas mitteilen?

Das war 1984/85. In meinem neuen Buch über Brecht schreibe ich auch über meine Erlebnisse in der DDR, auch über meine schönen Erinnerungen an die Sero-Läden, die Sekundärrohstoffverwertungsläden. Wenn die Regierung der Meinung war, daß die Leute zu wenig Material in die Sero-Läden bringen, wurden die Jungpioniere durch das Land geschickt, die wie die heiligen drei Könige an die Tür klopften und das Lied sangen: Haben Sie nicht noch Altpapier, liebe Oma, lieber Opa, klingelingeling, ein Pionier, klingelingeling, steht hier, haben Sie nicht noch Altpapier, Flaschen, Gläser oder Schrott, klingelingeling, schnell geben Sie es mir, sonst holt es sich die FDJ.
Ein schönes Schlußwort bitte.

9. August 2006