»Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!«

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„Wir können nur eine Lehre aus der Geschichte und aus der Gegenwart ziehen“, betonte die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus beim Internationalen Mahnmal von Boris am Grazer Zentralfriedhof am 1. November 2023. Foto:
Foto: © Georg Fuchs

Fast mein ganzes Leben habe ich an dieser wichtigen Veranstaltung teilgenommen, schon als Kind, als mein Vater mit mir jedes Jahr zu Allerheiligen hierhergekommen ist. Er hat mit mir viel über die Menschen, die hier begraben sind, erzählt und den Grundstein in meinem Leben dafür gelegt, dass ich eine Ahnung davon bekommen habe, was es bedeutet, in Frieden aufzuwachsen und bei uns dafür einzutreten, dass es nie wieder zu Krieg und Faschismus kommt.

Jeder Form von Erniedrigung, Ausbeutung, Ausgrenzung und Antisemitismus ist entschieden entgegenzutreten. Die Erinnerung an die Schreckensherrschaft des NS-Faschismus und seine Opfer, von denen nicht wenige aus den Reihen meiner Bewegung kommen, ist keine Routine, der wir uns einmal im Jahr stellen. Die Auseinandersetzung mit Terror und Mord, mit willkürlicher Verfolgung und Enteignung, ist ganz wesentlich, wenn wir den Auftrag, den Schrecken nicht zu vergessen und aus der Geschichte zu lernen, ernst nehmen.

In unserer Stadt ist vieles lange Jahre unausgesprochen geblieben. Graz hat eine wichtige Rolle bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich gespielt. Das verpflichtet uns in besonderer Weise, uns mit dieser Zeit auseinanderzusetzen. Beim so genannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, das sich von da an „Großdeutsches Reich“ nannte, hatte das Naziregime seine Schreckensherrschaft schon jahrelang kontinuierlich verschärft, ständig neue Schikanen eingeführt, Gegnerinnen und Gegner deportiert, ausgeraubt, weggesperrt, misshandelt. Der NS-Terror kam in Graz aber nicht über Nacht.

Besonders die jüdische Bevölkerung unserer Stadt war schon seit Jahrzehnten dem Terror der in Graz zu bedeutenden Stärke angewachsenen Nazis ausgeliefert. Sofort nach der Annexion Österreichs setzten in Graz die so genannten „wilden Arisierungen“ ein. Die Politik der Entrechtung und Vertreibung gipfelte bald darauf in der Politik der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und anderer, die vom Nazi-Regime nicht geduldet wurden: politisch Andersdenkende, Roma, Kriegsdienstverweigerer, Menschen mit Behinderungen – sie alle wurden ihrer Menschlichkeit beraubt.

Die Ausschaltung der Demokratie und politische Verfolgung haben dem Nationalsozialismus den Weg bereitet. Auch darüber ist über lange Zeit sehr wenig geredet worden. Das Schweigen erzeugt Unklarheit. Wo nicht offen gesprochen werden kann, wo andere Meinungen nicht gehört werden, wo keine Diskussion erlaubt ist, dort reifen aus dieser Unklarheit Weltbilder, in denen Recht und Unrecht verschwimmen.

Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Faschismus und autoritärem Gedankengut hat in zu vielen Köpfen nie stattgefunden. Das macht unsere Gesellschaft anfällig für menschenverachtende Ideen, für Verschwörungstheorien und antidemokratisches Gedankengut. Das ist längst ein ernstes Problem geworden.

Millionen Tote und die halbe Welt in Schutt und Asche: Das war das Resultat von zwölf Jahren Nazi-Herrschaft. Die Befreiung vom Faschismus, das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Massenmorde liegen nun ein ganzes Menschenleben zurück. Die Spuren dieser Zeit sind verwischt und auf den ersten Blick nicht zu erkennen. So wie dieses Areal beim Internationalen Mahnmal, auf dem wir heute wieder zusammengekommen sind: Hier wurden während der NS-Zeit Menschen verscharrt. Es sind die sterblichen Überreste von 1228 jugoslawischen Staatsbürgern, 400 Personen aus Frankreich, Deutschland, der Sowjetunion, Ungarn, Italien und Großbritannien. Sie haben ihre Heimat nicht wiedergesehen. Auch rund 900 Menschen aus Österreich haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Um aus dem Vergessen auszubrechen, wurden bisher rund 300 Stolpersteine in Graz verlegt. Sie erinnern an Opfer des Nationalsozialismus, an Ermordete und Vertriebene. Wer bei einer der Verlegungen dabei war und mit Nachfahren und Angehörigen spricht, weiß, dass die Erfahrung von Vertreibung, Beraubung und Gewalt über Generationen weiterwirkt.

Viele in unserer Stadt Graz wurden Opfer des NS-Rassenwahns: Jüdinnen und Juden, Roma, Angehörige von ethnischen und religiösen Minderheiten. Menschen mit Behinderungen wurden als „lebensunwert“ der Vernichtungsmaschine zugeführt.

Es ist mir auch wichtig, heute an jene zu erinnern, die in Österreich lange Zeit ausgeblendet und totgeschwiegen wurden: Menschen, die Widerstand gegen das Regime leisteten, Sand im Getriebe des Nazi-Staates waren und versucht haben, in einem unmenschlichen System ihre Menschlichkeit nicht zu verlieren. Wer Österreich nur als ein Land von Mittätern und Mitläufern betrachtet, tut jenen unrecht, die unter Einsatz ihres Lebens Mitmenschen versteckten, versorgten und auf andere Weise unterstützten. Der Steirer und spätere Landesvorsitzende der KPÖ Franz Leitner rettete als Blockältester unter Einsatz seines Lebens im KZ Buchenwald hunderten jüdischen Kindern das Leben. Einer davon war Israel Meir Lau, der spätere Oberrabbiner von Israel und heutige Oberrabbiner der Stadt Tel Aviv. Franz Leitner wurde dafür 1998 von Yad Vashem die höchste Auszeichnung Israels „Gerechter unter den Völkern“ verliehen.

Auch in der Steiermark gab es Widerstand, der mit besonderer Härte verfolgt wurde. Besonders hohe Verluste hatten die Partisanen der „Kampfgruppe Steiermark“. Im steirisch-slowenischen Grenzgebiet leisteten sie Widerstand. Im Gebiet Leoben-Donawitz war es die Österreichische Freiheitsfront. Sie organisierten Sabotageaktionen gegen die Rüstungsindustrie und die Schienen-Infrastruktur.

Hunderte wurden verhaftet, in Konzentrationslager deportiert, gefoltert und ermordet. Der Preis für den Sieg über das NS-Regime war für alle, die diesen Kampf führten, hoch. Dass wir heute in einem souveränen und neutralen Österreich leben, ist ganz wesentlich das Verdienst der Alliierten Armeen, aber auch dieser mutigen Frauen und Männer im Widerstand gegen das NS-Regime.

Das Schüren von Feindbildern und das Ausspielen von Menschen gegeneinander, Rassismus und Antisemitismus, ob aus Überzeugung oder Kalkül: Diese Muster sind längst nicht überwunden. Und diese Denkmuster haben einen fruchtbaren Nährboden in der Verunsicherung, der Perspektivlosigkeit und der Ausgrenzung, die heute viele Menschen trifft.

Sie sind nicht zuletzt Ausdruck einer Gesellschaft, die von steigenden Zukunftsängsten, sozialen Nöten und von der wachsenden Kluft zwischen Oben und Unten geprägt ist. Steigt die Ohnmacht gegenüber den herrschenden Verhältnissen, können auch autoritäre Ideen und die Suche nach Sündenböcken wachsen und gedeihen. Das muss immer ein Alarmsignal für uns alle sein und gleichzeitig eine Verpflichtung, immer dafür einzutreten, dass Menschen nicht erniedrigt und klein gemacht werden.

Es ist besonders in schwierigen Zeiten notwendig, alles zu tun, um jenen, die das nicht aus eigener Kraft können, eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Dazu gehört, alle bestmöglich zu unterstützen, die in Notlagen geraten. Menschenrechte, eine intakte Umwelt, Bildung und Arbeit, das brauchen wir alle. Und wir alle wissen, Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Dafür müssen wir uns immer einsetzen. Und wir haben uns verpflichtet, uns nicht militärisch in Kriege einzumischen. Wir bekennen uns zur immerwährenden Neutralität. Wir bekennen uns zur Selbstverteidigung und auch zur Teilnahme an UN-Friedensmissionen und wir verstehen Österreich als Land, das keine Kriege beginnt, sondern immer aktiv mithelfen soll, sie zu beenden.

Das ist nötiger denn je. Denn wir leben wieder in Zeiten von Krieg und Krisen. Die Bilder von Tod und Zerstörung verfolgen uns jeden Tag. Sie kommen aus der Ukraine, aus Israel und Gaza, sie kommen aus viel zu vielen Orten dieser Erde. Wenn Mütter um ihre Kinder trauern, dann trauern sie immer hüben und drüben – auf beiden Seiten von Frontlinien. Sie alle eint aber eines: dass sie Menschen zurückgelassen haben, geliebte Menschen, Freunde, Eltern und Kinder.

Im Wissen darüber tragen wir tagtäglich eine große Verantwortung: Hinter jedem Terroranschlag und Krieg stecken Menschen, die diese Gewalt anzetteln und anderen aufzwingen. Und es braucht Menschen, die bereit sind, mitzumachen. Krieg und Faschismus beginnt oft mit Worten, mit der verbalen Erniedrigung von Menschen, mit Diskriminierung. Deshalb brauchen wir eine Abrüstung der Waffen, aber genauso dringend brauchen wir auch eine Abrüstung der Sprache. Es ist wichtig, offen miteinander zu reden, anderen zuzuhören, andere Meinungen zuzulassen, nicht immer recht haben zu müssen.

Aber in grundlegenden Fragen des Zusammenlebens brauchen wir immer Übereinstimmung, um gemeinsam eine sozial gerechte, friedliche und solidarische Gesellschaft in unserem Land und in unserer Stadt gemeinsam zu gestalten.

Heute waren wir in der Früh im Keller des Landesgerichtes in Graz, wo wir der Opfer gedachten, die durch die NS-Diktatur hingerichtet wurden. Ich danke Prof. Kubinzky für seine guten und eindeutigen Worte und ich danke den KünstlerInnen für die Auswahl der Lieder. Imagine von John Lennon war darunter. Das Lied, welches Generationen Hoffnung gibt, dass es niemals falsch ist sich für den Frieden einzusetzen. Dass man kein Träumer ist, wen man sagt, dass wir alle nur eine Welt haben, in der es nicht wichtig ist welcher Kultur und Religion man angehört. Weil es auf dieser Erde nur einen Unterschied gibt, nämlich den zwischen Oben und Unten.

Deshalb können wir nur eine Lehre aus der Geschichte und aus der Gegenwart ziehen: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Elke Kahr


P.S.:Am 1. November findet jedes Jahr am Internationalen Mahnmal am Zentralfriedhof eine Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht von dem widerlichen und zutiefst verabscheuungswürdigen Anschlag auf den jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs gewusst habe, bin ich in meiner Rede nicht darauf eingegangen. Es ist erschreckend, dass Menschen mit solchen Mitteln ihre Gesinnung zur Schau stellen.

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Veröffentlicht: 2. November 2023