Was die Mieten treibt

Wie das Kapital den arbeitenden Menschen das Geld aus der Tasche zieht

Seit der Finanzkrise sind viele Kapitalgeschäfte riskant, die Renditen klein. Außer im Immobilienmarkt: Hier werden nach wie vor Höchstprofite erzielt: Auf Kosten der Menschen, die auf eine Wohnung angewiesen sind. Zwei Texte:

Grund und Boden darf kein Privateigentum sein

Lucas Zeise

Unsere Zeit

 

Warum steigen die Mieten, während gleichzeitig die Inflation der Verbrauchsgüterpreise sich seit mindestens zwanzig Jahren in engen Grenzen hält? Es hat mit dem Charakter von Grund und Boden zu tun, der auch durch lebhaften Handel damit nicht zur Ware wird. In einer Welt, in der Überfluss an Anlage suchendem Geldkapital herrscht, führt der Zufluss an Kapital in den Branchen, die gemeine Waren produzieren, zu erhöhter Produktion, also steigendem Angebot. Wie es den Regeln des freien Marktes entspricht, sinken damit die Preise der Waren relativ schnell wieder. Das Wertgesetz setzt sich über den Zufluss von Kapital in Branchen mit relativ hohen Preisen und deshalb überdurchschnittlichen Profitraten durch. In diesem Punkt sind sich bürgerliche Vulgärökonomen und Marxisten einig. Sie sind sich auch einig darin, dass der Ausgleichsprozess in einigen Fällen länger dauern kann. Klassische Beispiele dafür sind Waren, deren Produktion nicht schnell erhöht werden kann. Die weltweite Produktion von Erdöl zum Beispiel konnte im Boom vor der Finanzkrise 2007 nicht schnell genug erhöht werden, so dass der Erdölpreis weit über 100 Dollar je Fass stieg und noch mehr als ein Jahr so hoch blieb und den Erdölkonzernen und einigen Förderländern satte Extra­erträge bescherte, obwohl die Weltwirtschaft 2008 schon in die Rezession abtauchte.
Dass steigende Preise (und hohe Profitraten) Kapital anlocken und in der Regel zu erhöhter Produktion führen, ist der von Marktanbetern gepriesene, aber dennoch durchaus vorhandene Vorzug der kapitalistischen Produktionsweise. Der Mechanismus funktioniert einigermaßen, obwohl die Monopole ihn systematisch behindern, um Extragewinn abzugreifen. Dass er auf dem Wohnungssektor fast gar nicht funktioniert, ist eine Tatsache, die höchstens von der Immobilienlobby und den ihr hörigen Politikern geleugnet wird. Sie erfinden deshalb eine Vielzahl von Gründen dafür – etwa den, dass das Baurecht zu kompliziert, die Bürokratie zu schwerfällig und die Gemeinden zu langsam seien, Baugrund auszuweisen. Der eigentliche Grund allerdings ist, dass ein wesentlicher Teil einer Wohnung der Boden ist, der bekanntlich nicht produziert und deshalb auch nicht vermehrt werden kann. Das Kapital, das angesichts steigenden Bedarfs an Wohnungen, steigender Mieten und Gewinne in den Immobiliensektor strömt, erzeugt nur zum Teil mehr Wohnungen. Der andere Teil schlägt sich in steigenden Preisen für Immobilien nieder. Nach kapitalistischer Logik müssen die Preise sich rentieren. Das tun sie, wenn höhere Mieten darauf bezahlt werden. Sie tun es auch, solange der Preisboom anhält. Auch brachliegender Boden wirft Rendite ab, wenn er zu höheren Preisen verkauft werden kann.
Die ökonomischen Klassiker haben die Grundrente vom Gewinn des Kapitalisten unterschieden. Letzterer wirft sein Kapital in die Produktion von Waren. Der Grundbesitzer (damals der Adel und damit der Klassengegner) erhält Miete, Pacht oder Rente ohne eigene Leistung. Steigende Immobilien- und Bodenpreise ändern daran nichts, ebensowenig wie steigende Mieten und Pachten. Auch kapitalistische Gesellschaften funktionieren besser, wenn die Rente aus Grundbesitz dem Gemeinwesen zukommt. Die Grundsteuer, die auf Anweisung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Jahr reformiert werden muss, böte die Gelegenheit, einen Schritt dorthin zu tun, indem der tatsächliche Bodenwert möglichst hoch besteuert wird. (Wie wir unsere Regenten kennen, wird es dazu nicht kommen.) Eleganter und viel effektiver wäre die Verstaatlichung des Grundeigentums. Länder mit sozialistischem Hintergrund wie zum Beispiel die VR China haben gute Erfahrungen damit gemacht, den Boden durch Verpachtung einer effektiven Nutzung zuzuführen.
Hilft uns das aktuell weiter? Ich meine schon: Erstens sollten wir die Forderung erheben, die Grundsteuer hoch auf den Bodenwert festzulegen – mit großzügigen Übergangsregelungen für kleine Grundvermögen. Zweitens sollten wir das Ziel fest im Blick haben, dass Grund und Boden kein Privateigentum sein kann. Drittens sollten wir keine Scheu haben, vielfältige Forderungen und Aktionen zu unterstützen, ob es ein „Mietendeckel“, der Aufkauf der „Deutsche Wohnen“ oder die Besetzung von Häusern und Stadtvierteln ist.

Das Ende der Megamaschine

aus dem Buch von Fabian Scheidler

»Rente« bedeutet hier nicht Altersversorgung, sondern ein Einkommen aus Gebühren für die Nutzung von Land, Wohneigentum oder aus »geistigen Eigentumsrechten«, zum Beispiel Patenten. Entscheidend ist, dass Kapitalbesitzer hier gar nichts produzieren und dann verkaufen, sondern allein aus dem Rechtstitel auf ein Eigentum ein Einkommen generieren.

Tributzahlungen von diesem Typ vereinnahmen einen erheblichen Anteil der Volkseinkommen. In deutschen Großstädten wie Hamburg, Berlin oder München müssen die Menschen im Schnitt etwa die Hälfte ihres Einkommens für Miete bezahlen. Nur ein Bruchteil davon kann als Gebühr für Baukosten, Instandhaltungen und Dienstleistungen aufgefasst werden. In Berlin zum Beispiel konnten Wohnungseigentümer bei Altbauten mit einer Nettomiete von sechs Euro pro Quadratmeter bis vor Kurzem gut leben, ausreichend Rücklagen für Reparaturen bilden und sogar Gewinne machen. Dieselben Wohnungen werden nun für einen Quadratmeterpreis von zwölf Euro und mehr vermietet. Die sechs zusätzlichen Euro sind reines Tributgeld. In anderen europäischen Metropolen liegen die Preise oft noch viel höher, in Paris zum Beispiel bei bis zu 50 Euro pro Quadratmeter. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bemerkte zu Recht: »Der Pariser Wohnungsmarkt kennt keine Wirtschaftskrise.«

Wenn neu gebaut wird, sind natürlich größere Investitionen notwendig, und es lässt sich die Vermietung als ein gewöhnliches Geschäft begreifen, um diese Kosten plus einen Gewinn herauszuholen. Nun sind Wohngebäude aber keine Verbrauchsgüter, sondern können potenziell Jahrhunderte existieren. Sind die einmal getätigten Investitionen amortisiert, fließt, von Verwaltungskosten und gelegentlichen Instandsetzungen abgesehen, ein endloser Strom leistungslosen Einkommens an die Eigentümer. Da in vielen Ballungsgebieten strukturell Knappheit von Wohnraum herrscht, die nur sehr bedingt oder gar nicht durch Angebotserweiterung gemildert werden kann, sind diese Einkommensströme einem echten Marktgeschehen weitgehend entzogen.

Die Konzentration des Wohneigentums ist ein zentrales Mittel, um einen gewaltigen Geldfluss von der Unter- und Mittelschicht in Richtung der großen Vermögen aufrecht zu erhalten, der so gut wie nichts mit der Produktion und dem Verkauf von Gütern und Dienstleistungen zu tun hat. Ähnlich wie einst die Adelsprivilegien, so verleiht hier der bloße Eigentumstitel umfassende Rechte auf Tributzahlungen. Und der Staat schützt diese Privilegien und setzt sie notfalls mit Gewalt durch: Wer seine Miete, sei sie auch noch so überzogen, nicht bezahlen kann oder will, wird irgendwann von der Polizei geräumt. Das Gespann von Immobilieneigentümern und Staatsgewalt gehorcht letztlich einem ähnlichen Prinzip wie das Schutzgeld­system der Mafia: Man entrichtet Tribut dafür, dass man nicht mit Gewalt vertrieben wird. Und wie bei der Mafia kann man nicht über einen fairen Preis verhandeln.

In dieser Perspektive ist der Kampf für ein »Recht auf Stadt« und gegen Zwangsräumungen eine wichtige Keimzelle für eine andere ökonomische Ordnung – so wie seit biblischen Zeiten der Kampf um eine gerechte Landverteilung. Wie es in der Epoche der Französischen Revolution um eine Abschaffung der Adelsprivilegien ging, so gilt es heute, das moderne Tributsystem des Geldadels aufzubrechen und die Städte den Menschen zurückzugeben, die sie bewohnen. Die Überführung privater Wohnungsgesellschaften in die Hände von nicht-profitorientierten Genossenschaften und kommunalen Betrieben wäre dazu ein erster Schritt.

21. Juni 2019