Vier Jahre EU-Linkspartei, die steirische KPÖ und das tägliche Leben

Beitrag von Franz St. Parteder (KPÖ Vorsitzender Stmk)

Vier Jahre nach dem Gründungskongress der EU-Linkspartei und ein Jahr vor der nächsten EU-Parlamentswahl sind die Illusionen, welche damals in Rom vorherrschten, verflogen.


Franz Stephan Parteder
Dienstag, 17. Juni 2008


Vier Jahre EU-Linkspartei, die steirische KPÖ und das tägliche Leben



Vier Jahre nach dem Gründungskongress der EU-Linkspartei und ein Jahr vor der nächsten EU-Parlamentswahl sind die Illusionen, welche damals in Rom vorherrschten, verflogen.
Bei dieser supranationalen Partei kann man weder von einer „Wiederbegründung der revolutionären Tendenz in der europäischen Linken“ (Walter Baier) sprechen, noch hat sie es geschafft, zu einer hegemoniefähigen Kraft unter den kommunistischen und fortschrittlichen Parteien Europas zu werden.
Sie ist ein Teil der Linken, aber vor allem ist sie ein  mit EU-Geldern finanzierter Apparat, der die Krise dieses Teils unserer Bewegung verwaltet.

Die seinerzeit von den mit großer Hast vorgehenden Gründern der EL ausgegrenzten kommunistischen Parteien, welche auf ihre besondere Identität nicht verzichten wollen (Kommunistische Partei Griechenland, Kommunistische Partei Portugals, Kommunistische Partei Böhmens und Mährens) haben ihre Stellung in den Gesellschaften ihrer Länder gefestigt; mit der Sozialistischen Partei der Niederlande hat eine neue politische Kraft die Bühne betreten, die sich von Grundaussagen der transformatorischen Linken distanziert und nicht bereit ist, sich den Vorgaben der EU-Linkspartei unterzuordnen.


Vor der EU-Parlamentswahl

Im Vorfeld der EU-Parlamentswahlen 2009 erscheint es als nicht sehr attraktiv, nur mit dem Symbol der EU-Linkspartei und einem einheitlichen Wahlprogramm anzutreten. Der DKP-Zeitung vom 23.5. 08 entnehme ich folgenden Bericht von Heinz Stehr:   „Die Europäische Linkspartei (EL) hatte Mitgliedsparteien und die beobachtenden Parteien zu einem Meinungsaustausch zu den EU-Wahlen eingeladen. Erste politische Überlegungen für Forderungen lagen vor, über Formen der Kandidatur begann die Diskussion.
Beim Austausch der Meinungen ging es auch um den Charakter politischer Forderungen: soll ein Programm der EL zu den EU-Wahlen erarbeitet werden oder, unabhängig von nationalen Programmen, eine politische Willenserklärung? Oder sollen gemeinsame Eckpunkte in nationale Programme eingearbeitet werden?
Der Vorschlag zur Erarbeitung von Eckpunkten fand Unterstützung, ohne dass darüber aber schon entschieden wurde.“
Es ist eine Tatsache, dass die Mehrheit der bei der kommenden EU-Parlamentswahl kandidierenden kommunistischen und Linksparteien nicht mit der unattraktiven Markenbezeichnung EL, sondern als eigenständige Kräfte antreten werden, wobei angesichts der bisherigen Ergebnisse bei nationalen Wahlen zu erwarten ist, dass auch in Zukunft Parteien, die nicht zur EU-Linkspartei gehören, eine Mehrheit der MandatarInnen in der Linksfraktion dieses Parlaments stellen werden.

Das wissen auch die VerfechterInnen der EU-Linkspartei. Mit Ausnahme der deutschen Partei „Die Linke“ mit ihrer Spezifik und ihrer dynamischen Politik sind die tragenden Säulen des Projekts faktisch eingestürzt.
In Frankreich zeigten die Wahlergebnisse der FKP vor allem bei der Präsidentenwahl eine Isolierung dieser Partei, in der zur Zeit eine heftige Diskussion auch über die Sinnhaftigkeit des Projekts EU-Linkspartei geführt wird.
In Spanien hat die „Vereinigte Linke“ parlamentarische Positionen verloren. Auch hier gibt es intensive Debatten und vor allem den Versuch der Kommunistischen Partei (PCE), sich stärker als eigenständige Kraft zu profilieren.
Besonders dramatisch ist die Lage in Italien. Die Strategie Fausto Bertinottis ist gescheitert, die KommunistInnen sind nicht mehr im Parlament vertreten. Die kritische Bewertung der eigenen Politik seit 2004 führt auch dazu, dass wesentliche Teile der Partei Rifondazione Comunista und die Partei PdCI davon ausgehen, bei der EU-Parlamentswahlen mit ihren eigenen Symbolen (das heißt mit Hammer und Sichel)  anzutreten.

Bertinotti war jahrelang der Guru sehr vieler Linker in Europa, die nach raschen Auswegen aus der Krise unserer Bewegung gesucht haben. Sehr vieles, was unter Walter Baier und danach in der Bundes-KPÖ durchgesetzt wurde, kann man ruhig als Bertinotti-Epigonentum bezeichnen.

Existenzkrisen

Der Versuch, mit Hilfe der EU-Linkspartei kommunistischen Parteien den marxistischen Giftzahn zu ziehen, hat zu Existenzkrisen dieser Parteien geführt. Kein Wunder, dass jetzt nach einem Ausweg gesucht wird.
Ein Teil der ParteiführerInnen sieht diesen Ausweg in einem Kurs auf Beschleunigung der Selbstaufgabe. Argumentiert wird dies damit, dass die gesamte Linke (zu der auch die Sozialdemokratie gezählt wird) in Europa in der Krise sei. Man müsse daher die Kräfte bündeln, man dürfe nicht mehr von der Zentralität des Widerspruches von Kapital und Arbeit ausgehen, sondern müsse ökologische, feministische und andere Fragestellungen (Tierschutz) gleichwertig behandeln. Die noch bestehenden Parteien sollten in pluralen Subjekten aufgehen, in denen der Kommunismus (sprich Marxismus) nur mehr eine „kulturelle Tendenz“ (Bertinotti) wäre.  Das Problem der Regierungsbeteiligung von fortschrittlichen Kräften und das damit einhergehende Glaubwürdigkeitsproblem werden ausgeklammert. Die Tatsache, dass in Italien die Regenbogenlinke  mit genau diesem Konzept dramatisch gescheitert ist, wird verdrängt.

Ich beobachte die Entwicklungen in der Bundes-KPÖ seit Herbst 2004 nur von außen. Deshalb bin ich über den dortigen Diskussionsprozess nicht genau informiert. Auf dem Separatparteitag der Bundes-KPÖ im Dezember 2007 wurde jedoch Walter Baier die Gelegenheit geboten, in einem Redebeitrag den Anschluss der KPÖ an die EU-Linkspartei mit der„Überwindung des Dogmatismus“ gleichzustellen und alle, die diesen Weg nicht mitgehen wollen, als faktische Stalinisten hinzustellen.
Man ist von Baier allerhand gewohnt. Dieses Amalgam hat aber weder in den tatsächlichen Positionen der KritikerInnen der EU-Linkspartei noch in der gesellschaftlichen Entwicklung in den europäischen Staaten seit 2004 eine Begründung. Es handelt sich dabei um Voluntarismus, verbunden mit einer gezielten Denunziation.
Anscheinend ist die Verbindung zwischen der Bundes-KPÖ und den oben dargestellten Positionen nach wie vor so eng, dass es von dort her kaum eine positive Auflösung  des Knäuels von Problemen geben kann, die mit der Entwicklung der EU und dem Versuch zusammenhängen, eine fortschrittliche Gegenposition aufzubauen.
Die Sackgassen, in welche fortschrittliche Kräfte in Europa durch die strategischen Entscheidungen Bertinottis und der EU-Linkspartei geführt wurden, sind aber seit dem Wahldebakel in Italien deutlicher sichtbar als zuvor. Die transnationale und transformatorische Rhetorik  wirkt  angesichts der realen Entwicklung manchmal schon lächerlich. Die EU-Linke entpuppt sich als marginale Kraft, die bestenfalls ein Teil einer breiteren fortschrittlichen Strömung ist, die in vielen Fragen konsequenter auftritt als sie.

Deshalb gibt es sogar in Italien Ansätze einer Neuorientierung. Dass die Bertinotti-Gruppe ihre Mehrheit in den Führungsorganen der Rifondazione Comunista verloren hat, ist nämlich nicht ausschließlich auf persönliche Rivalitäten  nach einem Wahldebakel zurückzuführen, sondern vor allem darauf, dass sich der Gedanke durchsetzt, dass es für KommunistInnen darum geht, eine „nützliche Partei“ für die arbeitenden Menschen zu werden, dass es darum geht, eine „soziale Partei“ zu sein, die ihren Gebrauchswert in der Vertretung dieser Interessen hat. Dabei gerät in Italien und anderswo die Erfahrung der Sozialistischen Partei der Niederlande immer stärker ins Blickfeld von fortschrittlichen Persönlichkeiten und Bewegungen, die eine Neuorientierung suchen.


Die Sprache der Herrschenden

Auch auf dem Parteitag der deutschen Partei „Die Linke“ hat vor allem Oskar Lafontaine eine ähnliche Position vertreten und gesagt:  „Wenn wir die Frage beantworten wollen, wie wir uns im Konzert der anderen Parteien behaupten wollen, dann gibt es für mich eine klare Antwort: DIE LINKE braucht immer ein eigenständiges Profil. Wenn sie dieses eigenständige Profil nicht hat, dann wird sie nicht überleben! (...)
Wer die Sprache der Herrschenden spricht, verfestigt die bestehenden Zustände.“

Ich möchte hinzufügen: Wer in europapolitischen Fragen die Sprache der Herrschenden spricht und sagt, dass die meisten Probleme nur auf europäischer Ebene gelöst werden könnten, der übersieht nicht nur die Dialektik von Nationalem und Internationalem (siehe Volksabstimmung in Irland), er verfestigt auch die bestehenden Zustände  und macht die Linke zur Gefangenen der EU.
In ihrer Selbstüberschätzung (man hat ja das große „Europa“ hinter sich) rümpfen derartige Linke aber die Nase über die SP der Niederlande, die Linkspartei in Schweden, die Portugiesische und die Griechische KP  oder auch die steirische KPÖ und bezeichnen sie als nationalistische  oder populistische Parteien.

In einem Grundsatzartikel hat sich Ronald van Raak, Parlamentsabgeordneter der niederländischen SP, mit diesen Anwürfen auseinandergesetzt. Er schreibt: „Politicians who write off people's concerns about their own lives and their own neighbourhoods as ‘provincial’ demonstrate just how far removed they are from the citizens whose interests they claim to want to serve.”
 Politiker, welche die Sorgen der Menschen um ihr eigenes Leben und um ihre Wohnumgebung als “provinziell” abschreiben, demonstrieren nur, wie weit sie sich von den Bürgern entfernt haben, deren Interessen sie zu vertreten vorgeben.
Und er fügt hinzu: „It is certainly the case that ever more of the problems with which we are faced do not stop at our borders, that they demand international coordination and cooperation. But the arrogant disregard for national politics as, even now, the most effective means for the emancipation of men and women and the protection of democratic and social rights is not cosmopolitan so much as short-sighted. A truly cosmopolitan spirit is one which sees the connections between the local, national and international and seeks the most effective way to realise fine ideals in practical reality.”
“Es ist gewiss so, dass immer mehr Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, nicht an unseren Grenzen halt machen, dass sie eine internationale Koordination und Kooperation verlangen. Aber die arrogante Missachtung der nationalen Politik als des (auch jetzt) effektivsten Mittels der Emanzipation von Männern und Frauen sowie des Schutzes der demokratischen und sozialen Rechte ist nicht so sehr kosmopolitisch als kurzsichtig. Ein wirklich kosmopolischer (d.h. internationalistischer) Geist ist derjenige, der die Verbindungen zwischen dem Lokalen, dem Nationalen und dem Internationalen sieht und nach dem effektivsten Weg sucht, hohe Ideale in der praktischen Realität zu verwirklichen “.

Genau von dieser beschriebenen Kurzsichtigkeit waren und sind Leute wie Walter Baier befallen, der – leider unter Applaus der Delegierten des Separatparteitages der Bundes-KPÖ – noch im Dezember 2007 gesagt hat: „Der Klassenkampf in Europa ist schon seit geraumer Zeit über den Nationalstaats hinausgewachsen, sein Rahmen ist heute global, zumindest aber, tatsächlich europäisch geworden.“
Das klingt gut, hält die fortschrittlichen Kräfte aber in Wirklichkeit davon ab, den Klassenkampf dort zu führen, wo es notwendig ist: Vor Ort.

Die steirische KPÖ sieht sich als Partei für das tägliche Leben der Menschen und für die großen Ziele der Arbeiterbewegung.
Wir hoffen darauf, dass die Erfahrungen der letzten Jahre in allen Ländern Europas und auch in Österreich letztlich jene Kräfte stärken, die nützliche, soziale und revolutionäre Parteien schaffen wollen, welche mit relevanten Teilen der Bevölkerung fest verbunden sind. Und wir hoffen darauf, dass es zu einer stärkeren Kooperation und Zusammenarbeit dieser fortschrittlichen Kräfte kommt. Vielleicht ist der positive Ausgang der EU-Volksabstimmung in Irland ein Anstoß dazu. Die EU-Linkspartei in ihrer heutigen Form ist dazu nicht in der Lage. Deshalb werden wir in der Steiermark an keiner Kandidatur zur EU-Parlamentswahl 2009 teilnehmen, die sich auf die EU-Linkspartei bezieht.





17. Juni 2008