Sozialhilfe: VwGH-Beschwerde löst Trendwende aus
Missverständliche Formulierung in der Praxis zu Ungunsten der Betroffenen falsch ausgelegt – KPÖ schlägt Novellierung des Sozialhilfegesetzes vor
Einer unglückliche Formulierung im steirischen Sozialhilfegesetz ist es zu verdanken, dass es in der Vergangenheit zu einer verfassungswidrigen Auslegung gekommen ist, die mehrere Betroffene mit geringem Einkommen benachteiligt hat. Der Landtagsklub der KPÖ unterstützte die Beschwerde einer Betroffenen, die Landesregierung lenkte daraufhin ein.
Die Sozialhilfe gliedert sich in den Lebensbedarf und den vertretbaren Aufwand für Unterkunft. Der Lebensbedarf wird durch Richtsätze jährlich neu festgelegt. Derzeit beträgt der Sozialhilferichtsatz für einen Alleinstehenden € 507,-- pro Monat. D.h. der Sozialhilfean-spruch wird folgendermaßen berechnet:
€ 507,– Richtsatz für den Lebensbedarf eines alleinstehend Unterstützten
Davon wird das eigene Einkommen (Notstandshilfe, Arbeitslosenunterstützung oder Unterhalt) abgezogen, die Differenz wird an Sozialhilfe ausbezahlt. So geschieht dies z.B. auch in Graz.
In § 8 (6) Sozialhilfegesetz (SHG) steht geschrieben: Werden richtsatzgemäße Geldleistungen gewährt, so ist zusätzlich der vertretbare Aufwand des Hilfeempfängers für Unterkunft zu tragen. Aufgrund dieser missverständlichen Formulierung kommt es in der Steiermark zu unterschiedlichen Vollzugspraxen. Einige Bezirkshauptmannschaften haben diesen Satz so ausgelegt, dass sie nur den Richtsatz für den Lebensbedarf dem eigenen Einkommen gegenübergestellt haben. D.h. eine Person mit einem eigenen Einkommen von 507,– bekam keinen Aufwand für Unterkunft aus Sozialhilfemitteln. Hier ein Beispiel aus der Praxis (DSA Karin Gruber):
Wir lernen Frau K. während einer Sozialsprechstunde in Knittelfeld kennen. Sie ersucht Frau LAbg. Pacher um eine finanzielle Unterstützung. Frau K. hat ein Einkommen von 425,53 Euro an Notstandshilfe vom AMS und 110 Euro an Unterhalt vom geschiedenen Mann, das sind insgesamt 535,53 Euro monatlich. Ihre Miete beträgt nach Abzug der Wohnbeihilfe 113,48 Euro. Nach meiner Auslegung des Sozialhilfegesetzes ist sie damit weit unter dem SH-Richtsatz, ich rate Frau K. dringend, um Sozialhilfe anzusuchen. Sie tut dies auch und bekommt einen ablehnenden Bescheid der BH Knittelfeld. Ich helfe Frau K. bei einer Berufung gegen diesen Bescheid. Der Berufung wird von der zuständigen Oberbehörde, der FA11A der Stmk. Landesregierung keine Folge gegeben. Die KPÖ entschließt sich nun im Fall der Frau K. Beschwerde beim VwGH einzubringen – es ist kein anderes Rechtsmittel mehr möglich. D.h. die KPÖ übernimmt die Gebühren in der Höhe von 180 Euro und trägt das Kostenrisiko für den Rechtsanwalt (eine VwGH-Beschwerde kann nur ein Anwalt einbringen).
Als der VwGH die FA11A zu einer Gegendarstellung des Falles auffordert, ändert die FA11A ihre Meinung, stellt einen neuen Bescheid aus, der den alten außer Kraft setzt und spricht Frau K. die von ihr geforderte Sozialhilfe zu. Es kommt zu einer Nachzahlung in der Höhe von insgesamt € 1.980,20 von Juni 2006 bis Februar 2007.
Das Gesetz ist so unklar formuliert, dass selbst die FA11A als Berufungsbehörde, wo ausgebildete JuristInnen arbeiten, es falsch auslegte. Wie sollen da C- und B-BeamtInnen in den Bezirksverwaltungsbehörden es richtig auslegen können. Die KPÖ stellt daher einen Antrag auf Novellierung des Sozialhilfegesetzes und eine klarere Formulierung des § 8, Abs. 6 SHG.
€ 507,-- Lebensbedarf Alleinstehender
€ 620,48 Sozialhilferichtsatz minus
€ 425,53 Notstandshilfe minus
€ 110,-- Unterhalt vom Ex-Mann
€ 84,95 monatliche Richtsatzergänzung
Da sowohl die Notstandshilfe als auch der Unterhalt nur 12 mal jährlich ausbezahlt werden, die Sozialhilfe allerdings 14 mal jährlich (ausgenommen Mietenanteil) steht Frau K. im Juni und November eine Sonderzahlung in der Höhe von 507 Euro zusätzlich zu, im Februar und August außerdem je 44 Euro zur Abdeckung von Energiekosten.
Frau K. bekäme, würde sie in Graz wohnen
jährlich ausbezahlte SH in Graz € 2.121,40
€ 507, – Lebensbedarf für Alleinstehende
Vertretbarer Aufwand für Unterkunft wird als Annexleistung betrachtet und nicht berechnet.
€ 110,– Unterhalt vom Ex-Mann
€ 535,53 Gesamteinkommen von Frau K. 12 mal jährlich
Lt. BH Knittelfeld liegt Frau K. über dem SH-Richsatz Lebensbedarf, auf die Sonderzahlungen wird nicht eingegangen, vertretbaren Aufwand für Unterkunft gibt es keinen, sie erhält daher keine monatliche Richtsatzergänzung, keine Sonderzahlungen, keine Abdeckung der Energiekosten.
jährlich ausbezahlte SH in Knittelfeld € 0,–
Einer diesbezüglichen Berufung bei der FA11A der Stmk. Landesregierung wurde keine Folge gegeben. Eine eingebrachte VwGH-Beschwerde bewog die FA11A zum Einlenken, der erste Bescheid der FA11A wurde aufgehoben und ein neuer erstellt, der Frau K. zu ihrem Recht verhalf.
Veröffentlicht: 16. April 2007