Schloßbergsteig in Graz

im Andenken an Gerhard Dienes

Rede vom 17.10.2018 am Fuße des Schlossbergs von 
Dr. Gerhard M. Dienes
 

KRIEGSSTEIG 2018

 

Der Schloßberg ist heute das markante Wahrzeichen von Graz und hat zudem mit dem Uhrturm ein signifikantes Wahrzeichen-Wahrzeichen. Der Berg mit seiner Burg hat das Werden der Siedlung mitbedingt. Doch bildeten beide nur äußerlich eine Einheit. Die Stadt, zumindest jene des Mittelalters, war ja ein geradezu revolutionäres Symbol kommunal-bürgerlicher Freiheiten, die Festung dagegen stand für Feudalismus, für fürstliche Herrschaft- und war so keineswegs ein Ort der Identifikation für die Bewohnerinnen und Bewohner.

 

Im 16. Jahrhundert wurde die Burg zum ,.Bollwerk des Abendlandes gegen den islamischen Halbmond" ausgebaut. Später galt sie als Vormauer des Deutschtums gegenüber dem slawischen Südosten. Ein Berg des Kriegs, festungsbewehrt und kanonenbestückt, permanenten Anstürmen trotzend. Das ist der Stoff, aus dem Mythen entstehen und diese werden bis heute tradiert. Die Wirklichkeit aber sah anders aus, denn nicht einmal die osmanischen Türken haben die Festung jemals belagert. Schließlich ist es ein Paradoxon der Geschichte, dass der Grazer Schloßberg seine einzige Bewährungsprobe erlebte, als sein Festungscharakter bereits aufgehoben war und dass der Feind nicht aus dem Osten, sondern aus dem Westen kam. Es war die Belagerung und Beschießung durch die Franzosen im Jahre 1809. Napoleon forderte im Friedensvertrag die Schleifung der Festung. Nur Uhrturm, Glockenturm und Stallbastei blieben bestehen. Erste Anzeichen einer Identifikation der Stadtbevölkerung mit dem Berg in ihrer Mitte bilden sich aus. Diese verstärkte sich, als der kahle Felsen zum Parkberg wurde.

Friedrich Hebbel, 1847 hier weilend, frohlockte: „Gottlob, dass die Zeit der Vestungen vorbei ist, dass die Stapelplätze der Kanonen und der Bombenkessel sich zu Gärten verwandeln." Den Zugang zum Berggarten in der Stadt ermöglichten Wege und bald eine Zahnradbahn. Dem Stadtrat Johann Wiedner schließlich war es ein Anliegen, einen Felsensteig von der Sackstraße zum Uhrturm bauen zu lassen, damit die Grazerinnen und Grazer oben „Höhenluft und Sonnenschein" genießen können. Den Entwurf lieferte der städtische Oberrat Architekt Ludwig Muhry. 1912 und 1913 wurden die Vermessungen durchgeführt, 1914 die Gerüste hochgezogen. Der Ausbruch des 1. W Weltkriegs stoppte das Vorhaben.

Aber dann, 1916, mitten im Weltenbrand, wurde der Bau unter dem Titel „Übungsarbeit für die technische Truppe“, sprich für die Pioniere des lnfanterieregiments Nr. 27 fortgesetzt. Durch eine Bausteinaktion wurden die restlichen Geldmittel aufgebracht. Und obwohl die Arbeitsmannschaft

schließlich noch an die Front musste, konnte der Steig am 1. Juli 1918 eröffnet werden.

Die Stadtpolitik gab dem neuen Aufgang den Namen „Kriegssteig“.

Ja, Kriegssteig! Eine absolut unpassende Bezeichnung und das in Zeiten einer Katastrophe bisher nie gekannten Ausmaßes. Die Opferzahlen des 1. Weltkriegs überstiegen alle Vorstellungen:

9,960.000 Tote und Vermisste
19,000.000 Verwundete und Verstümmelte.

Zu Lande. Zu Wasser und in der Luft zerschmetterte, ertänkte, verbrannte, verätzte, vergifete der Mensch den Menschen mit Maschinenwaffen von bestürzender technischer Perfektion. Dem Elend der Front entsprach die Hoffnungslosigkeit der Heimat. Mangel an allem demoralisierte die hungernde, frierende und nicht nur am Leibe erkrankte Zivilbevölkerung.

 

Der damalige Bürgemeister Adolf Fizia ließ am Fels eine Gedenktafel anbringen: Johann Wiedner wird darauf gewürdigt, ebenso wie die Pioniere und natürlich der den Steig seiner Bestimmung übergebende Bürgermeister.

 

Die Inschrift vergisst aber etwas Essentielles, weswegen man geneigt ist, Bertolt Brecht zu zitieren:

 

„Und die einen sind im Dunkeln

Und die andem sind im Licht

Und man siehet die im Lichte

Die im Dunkeln sieht man nicht."

 

Die im Dunkeln waren, so steht es auf einer vom städtischen Kulturamt postierten Stele, russische Kriegsgefangene, daher rührt die inoffizielle Bezeichnung „Russensteig“.

Russen! Die Kriegspropaganda bezeichnete sie als minderwertig und rückständig, als „Ungeziefer" eine Diktion, die jene der Nationalsozialisten vorwegnahm.

 

Der Erste Weltkrieg hatte nicht nur eine neue fürchterliche Dimension des Schreckens, des Vernichtens und des Blutzolls, sondern auch hinsichtlich der Kriegsgefangenschaft gebracht. Insgesamt rund 8 Millionen Kriegsgefangene zählte der Krieg der Jahre 1914 bis 1918.

In der Donaumonarchie wurde die Steiermark zu einem bevorzugten Lagerstandort für die vornehmlich aus dem zaristischen Russland stammenden Gefangenen. Im Lager Knittelfeld, die Stadt zählte damals kaum 10.000 Einwohner, lag die Höchstzahl der Inhaftierten bei 35.000, im Lager der Kleinstadt Feldbach überstieg sie die 40.000er Marke.

Rasch wurden die Gefangenen als Kriegsressource entdeckt. Zwangsarbeit ist nämlich eine Erfindung des 1. Weltkrieges: Die Gefangenschaft als wesentlicher Faktor der Kriegswirtschaft. Zwar verbot die Haager Landkriegsordnung explizit Kriegsgefangene für Arbeiten heranzuziehen, die im Zusammenhang mit Kriegsunternehmen standen, doch setzte sich immer mehr die Auffassung durch „Not kennt kein Gebot“.

 

„Sehr grausam", so ein in Knittelfeld gefangen Gewesener bei seiner Rückkehr in St. Petersburg, ,,wurde mit uns umgegangen, besonders quälten sie uns dafür, dass wir uns weigerten Schuhe für die österreichische Armee zu machen - wir hielten das für einen Verrat an unserem Vaterland. Für diese Verweigerung quälten sie uns mit Hunger, Anbinden an den Pfosten. die Kräfte übersteigende Arbeit, Schläge mit dem Gewehrkolben und im Mai 1915 wurde ein Kamerad wegen einer solchen Verweigerung von einem österreichischen Soldaten in  Anwesenheit eines österreichischen Offiziers mit dem Bajonett in die Brust gestoßen, weswegen er starb'".

 

Der Einsatz beim Bau des Steigs auf den Schloßberg widersprach nicht der Landkriegsordnung, doch wie das der Kameraden, die widerrechtlich Schrapnelle etc. fertigen mussten, war auch das Dasein der in Graz eingesetzten Gefangenen ein wenig ersprießliches.

 

Allein die schier endlose Dauer des Zwangsaufenthaltes bedingte traumatische Erfahrungen. Das belegt die im Krieg international etablierte Begrifflichkeit für eine spezifische psychische Lagerkrankheit: „Barbed wire desease“, „cafard“ oder ,.Stacheldrahtkrankheit" für einen weit über Heimweh und Lagerkoller hinausreichenden Zustand der Depression.

 

 

Im November 1918 war der Erste Weltkrieg zu Ende, der lrrsinn aber nicht vorbei.

 

Erich Kästner klagte an:

 

Stimmen aus dem Massengrab

(Für den Totensonntag, anstatt einer Predigt)

 

Da liegen wir und gingen längst in Stücken.

Ihr kommt vorbei und denkt: sie schlafen fest.

Wir aber liegen schlaflos auf dem Rücken.

weil uns die längst um Euch nicht schlafen läßt.

 

Wir haben Dreck im Mund. Wir müssen schweigen.

Und möchten schreien, bis das Grab zerbricht!

Und möchten schreiend aus den Gräbern steigen!

Wir haben Dreck im Mund. Ihr hört uns nicht.

 

Ihr hört nur auf das Plaudern der Pastoren,

wenn sie mit ihrem Chef vertraulich tun.

Ihr lieber Gott hat einen Krieg verloren

Und läßt Euch sagen: laßt die Toten ruhn!

 

Ihr dürft die Angestellten Gottes loben.

Sie sprachen schön am Massengrab von Pflicht.

Wir lagen unten, und sie standen oben.

Da liegen wir, den toten Mund voll Dreck.

 

Und es kam anders, als wir sterbend dachten.

Wir starben. Doch wir starben ohne Zweck.

Ihr laßt Euch morgen, wie wir gestern, schlachten.

Das Leben ist der Güter höchstes nicht.'

 

Vier Jahre Mord, und dann ein schön Geläute!

Ihr geht vorbei und denkt: sie schlafen fest.

Vier Jahre Mord und ein paar Kränze heute!

Verlaßt Euch nie auf Gott und seine Leute!

Verdammt, wenn Ihr das je vergeßt!

 

 

Doch es wurde vergessen. Schon als man Frieden schloss, wurde vergessen.

„Das ist kein Friede. Das ist ein Waffenstillstand für zwanzig Jahre meinte der französische General Foch nach der Vertragsunterzeichnung zwischen den Siegermächten und Deutschland in Versailles - und sollte, wie Kästner, Recht behalten.

 

3. Februar 2020