Religiös motivierte Gewalt, oder?

Soziale und ökonomische Fragen sind gesellschaftlich bestimmend, Religion ein in sich falsche Ideologie

Die mit exzessiver Gewalt ausgeführten Verbrechen in Spanien, Frankreich, Belgien, England, Rußland – eine unvollständige, nur auf Europa beschränkte Liste – verlangen nach Erklärungsversuchen, nach praktischen und theoretischen Reaktionen. Die praktischen liegen real vollständig in Händen konservativ-reaktionärer Repräsentanten des herrschenden Imperialismus, und die theoretischen?
Die jedes bürgerliche Recht mißachtende Gewalt, die seit dutzenden Jahren in konkreter Durchsetzung neokolonialer Machtansprüche zB Frankreich in seinen früheren afrikanischen Kolonien militärisch ausübt, schlägt zurück, nicht mit ‚einsickernden‘ Attentätern, sondern mit hier verwurzelten, hier aufgewachsenen jungen Menschen ohne soziale Perspektive und gesellschaftlich ausgegrenzt – nicht erst seit wenigen Jahren. Trotzdem kann das Phänomen nicht als ‚anti-imperialistischer Kampf des beginnenden 21. Jahrhunderts‘ fehlgedeutet werden - die Kriege und Gewalttaten in verschiedenen Ländern Afrikas, in Ozeanien, in Indien richten sich nicht gegen den imperialistischen Unterdrücker, und außerdem: Einer der wichtigsten Siege im Kampf gegen den mächtigsten imperialistischen Staat, die Zerschlagung der US-amerikanischen Militärmacht in Vietnam, kam ganz ohne Flugzeugsprengungen oder Anschläge gegen Zivilbevölkerung in tatsächlichen oder vermeintlichen ‚Ursprungsländern‘ aus. Eine derartig hineininterpretierte Komponente ist nirgends real vorhanden - sie ist Fiktion, die außerdem negiert den Gegensatz zwischen revolutionärem Kampf und anarchistischem Terror!
Auch bei Berücksichtigung der gesellschaftlich sozialen und ökonomischen Gründe für die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt kann die überwältigende Bedeutung religiöser Motivation nicht bestritten werden; sie ist dominant, weil keine nicht-religiöse politische Kraft anleitend und führend Maßnahmen zu einer notwendigen revolutionären Änderung der gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse anbietet, von auch nur ansatzweiser Durchführung ganz zu schweigen. Im Sumpf des Scheiterns der herrschenden Klasse wenden sich nicht nur die Unterdrückten an die Fiktion eines Lieben Gottes. Das ist auch heute die billige Variante: Religion ist das Opium des Volkes, es bleibt ein wohlfeiles Rauschmittel mit verheerenden Folgen, zu der es aber nur radikale Gegnerschaft geben kann.
Die Toleranz, die Gläubige für sich verbal von anderen einfordern, haben sie selbst nie gewährt: Weder die Christen gegenüber den Indianern Amerikas, die sie tauften, bevor sie viehisch in Massen liquidiert wurden, noch Moslems heute: Ein Nicht-Gläubiger ist des Todes. Was wäre geschehen, hätte Sigi Maron sein Lied ‚Es gibt kan Gott!‘ nur in der Nähe weniger Muslime gesungen, oder Manfred Deix hätte ähnlich beißend zutreffend wie christliche Reaktionäre auch muslimische Geistliche karikiert? Letzterer jedenfalls hat sich tunlichst davor gehütet! Mit welcher Argumentation sollten dem verbrecherischen Dogma der Theologie folgende Reaktionen so wie der Massenmord an der Redaktion von Charlie Hebdo ‚gerechtfertigt‘ werden? Mit Beleidigung religiöser Gefühle? Und welches intellektuelle Wissen wird ununterbrochen mit Füssen getreten, wenn eine Religion die Schöpfungslüge verzapft, und mit physischer Gewalt auch durchsetzt?
Es kann keine Rücksichtnahme geben für angebliche Gefühle, die tatsächliche Verbrechen zur Folge haben!
Die mit dem Islam verbundenen arabischen Gesellschaften haben ungeheuren Fortschritt für die europäische Kultur gebracht: Die von indischen Mathematikern übernommene Numerik, insbesonders die Null, war den römischen Zahlen prinzipiell überlegen, gelangte über Spanien nach Frankreich und Italien, und wurde dort konstitutiv für die Entwicklung des Merkantilismus, der Renaissance, der Aufklärung. Im Wiederkauen der Koransuren in den islamischen Universitäten Ägyptens ist diese schöpferische Leistung verschwunden. Der mit brutaler Gewalt gegen die Ignoranz der Kirche mit unzähligen Menschenopfern erkämpfte Sieg der Wahrheit, daß die Erde sich um die Sonne dreht, und Lebewesen nicht wie Äpfel und Birnen auf Bäumen wachsen, daß Arten nicht gottgeschaffen sind und ihre Entwicklung einem intelligentem Plan folge, das wurde in gesellschaftlichen, revolutionären Kämpfen erstritten, angefangen mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und der französischen Revolution: Die Aristokraten an den Galgen! Und da waren die Pfaffen immer mit dabei! Auch die katholische Kirche hat sich nie mit gesellschaftlichen Umstürzen eins gewußt, sondern hat – bis heute – christliche Mitkämpfer revolutionärer Bewegungen mit maximaler Härte verfolgt und liquidiert.
Welche Toleranz soll es dazu geben? Oder, für heute, Kompromisse? Daß Affe und Mensch vielleicht doch nicht gemeinsame Wurzeln haben, weil das im Koran oder in der Bibel nicht so beschrieben ist?
Die gewalttätigen Allüren des Islam, die sich aus dessen Nachziehbestreben als dritte der großen Weltreligionen ergeben, sind grundsätzlich abzulehnen und zu bekämpfen: Sie finden heute Ausdruck in klerikal-faschistoiden Klassengesellschaften. Mögliche antiimperialistische Züge sind dünn, und werden überdeckt durch innerislamische Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten, die mit ungeheurer Brutalität ausgetragen werden; überhaupt nicht vorhanden sind sie bei den haßerfüllten Vernichtungsfeldzügen gegen Jesiden oder Berber.
Die politische Aufgabe bleibt, die sozialen und ökonomischen Fragen als die gesellschaftlich bestimmenden konkret verständlich zu vermitteln, und dabei klerikale Ausdrucksformen jeglicher Art konsequent zurückzuweisen, nicht gebetsmühlenartig ‚von etwas anderem sprechen‘, sondern Religion als in sich falsche Ideologie auch zu bezeichnen, und daher für die anstehenden praktischen Aufgaben als nicht zielführend grundlegend abzulehnen.

Hans Mikosch, 12.Sept 2016

19. September 2016