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Pflege: So werden Angehörige zur Kasse gebeten

Volksanwalt und Zeitung greifen Kritik der KPÖ auf

So werden Angehörige zur Kasse gebeten
Die Abschaffung der Regresspflicht für Angehörige von Pflegefällen erweist sich als löchrig. Der Verfassungsdienst spricht von einem gesetzwidrigen Erlass. Eltern und Eheleute werden über Unterhaltspflicht zur Kasse gebeten.

Am 16. September 2008, kurz vor der Nationalratswahl, wurde durch einen Landtagsbeschluss die Regresspflicht auch in der Steiermark abgeschafft. Das bedeutet, dass von Eltern, Kindern und Eheleuten, Sozialhilfe, die ihre Angehörigen bekommen haben (das sind vor allem auch Kosten in Pflegeheimen), nicht mehr zurückgefordert werden darf. Politiker ließen sich dafür ausgiebig feiern.

Bereits Ende 2009 dämmerte einigen, dass mit der Novelle etwas nicht stimmt. Die KPÖ berichtete in einer Anfrage an den Soziallandesrat von Grauslichkeiten. Mittellosen würde Sozialhilfe verweigert, wenn sie nicht vorher Angehörige auf Unterhalt klagen. Eine Frau aus dem Bezirk Hartberg hätte das Einkommen ihres Vaters und des Ex-Mannes vorlegen sollen, von dem sie seit 20 Jahren geschieden ist.

Und jetzt tauchen Fälle auf, bei denen Ehepartner und Eltern wieder zur Kasse gebeten werden, wenn ihre Verwandten ins Pflegeheim kommen. Und zwar genau über diesen Umweg der Unterhaltspflicht. Laut Allgemeinem Bürgerlichem Gesetzbuch (ABGB) sind nämlich Eltern, Kinder und Ehepartner im Notfall wechselseitig zum Unterhalt verpflichtet. In der Praxis heißt das: Das Sozialamt übernimmt nicht die gesamten Pflegekosten, sondern zieht vorher das anrechenbare Einkommen des Pfleglings ab. Zu diesem zählen aber auch Unterhaltspflichten vom Ehepartner und den Eltern. Damit die Höhe berechnet werden kann, werden diese in einem ersten Schritt von der Behörde aufgefordert, ihr gesamtes Einkommen offenzulegen.

Präzedenzfall
Allein in der Stadt Graz sind seit Jänner unter diesem Titel 110 Fälle anhängig. Einer davon wurde an Volksanwalt Peter Kostelka herangetragen. Dabei wurden die Pflegekosten einer 85-Jährigen nicht vollständig vom Sozialamt übernommen. Dafür hätte der 84-jährige Ehemann 719 Euro pro Monat dazuzahlen sollen. "Ich verstehe den Beschwerdeführer, der sagt: Das, was politisch verkauft wurde, nämlich die Abschaffung des Regresses, ist etwas anderes als das, was jetzt vollzogen wird", sagt dazu die Büroleiterin des Volksanwalts, Adelheid Pacher. Für sie ist man mit dieser "merkwürdigen Vollzugspraxis wieder sehr nahe am Regress". Bis 11. Oktober hat das Land nun Zeit, zu diesem Präzedenzfall Stellung zu nehmen.

Aufgrund der bestehenden Erlässe sei er verpflichtet, den Unterhalt bei Zuschussleistungen zu berücksichtigen, bestätigt auch der Leiter des Grazer Sozialamts, Gernot Wippel, die kritisierte Regelung, mit der er selbst "sehr, sehr unzufrieden" ist.

Die Gretchenfrage, die sich hier stellt, lautet: Erfüllt die Behörde, indem sie Unterhaltsverpflichtete zur Kasse bitten lässt, den Auftrag des Gesetzgebers, der den Regress ja abschaffen wollte? Der Landesverfassungsdienst sagt dazu, dieses Argument sei nicht ganz von der Hand zu weisen. Gleichzeitig habe aber ein Antrag im Landtag, hier Klarheit zu schaffen, keine Mehrheit bekommen.

Gesetzwidriger Erlass
Dieser geht aber noch weiter und mit den Erlässen der Fachabteilung 11A hart ins Gericht. Ein Erlass, mit dem sichergestellt hätte werden sollen, dass zumindest Kinder vom Pflegeregress ausgenommen werden und nicht auch unter die Räder der Unterhaltspflicht kommen, habe die Rechtsunsicherheit nur noch vergrößert. Dieser Erlass sei "gesetzwidrig, wenn nicht sogar verfassungswidrig". Abschließend erklärt der Verfassungsdienst, dass "die derzeit bestehende rechtliche Situation äußerst unbefriedigend ist". Eine gesetzliche Klarstellung wäre dringend geboten.

(Kleine Zeitung, 30.9.2010)

30. September 2010