Pandemie und Betten

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Über die Gesundheitspolitik in der Steiermark und Österreich im Lichte von Corona sprache Karin Reimelt bei der Willi-Gaisch-Sommerschule 2020.

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Seit dem Ausbruch der des neuartigen SARS-Cov19-Virus in China ist mittlerweile ein halbes Jahr vergangen. Die unbeherrschbare Gesundheitskrise ist zum Glück in Österreich bis dato ausgeblieben. Doch zu Beginn der Pandemie, als die Nachrichten aus Italien, Spanien und Frankreich immer katastrophaler wurden, war die Sorge bei PolitikerInnen und Gesundheitsfachleuten sehr groß, dass die Gesundheitsversorgung in Österreich der Krise nicht gewachsen sein könnte. Und dass es zu Situationen kommt, in denen die – für die Verantwortlichen sehr belastende Entscheidung gefällt werden muss, wer noch ein Intensivbett oder ein Beatmungsgerät erhält und wer nicht.

Umso größer war die Erleichterung als klar wurde, dass Österreich, wie auch Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern über ausreichend Bettenkapazitäten im Intensiv- und Akutbereich verfügt.

Das ist deshalb so bemerkenswert, weil in den vergangenen Jahrzehnten die Forderung nach Abbau von Krankenhausbetten immer stärker gefordert wurde.  Ob ÖVP, FPÖ, SPÖ, Grüne oder NEOS, Rechnungshof und IHS, sie alle kritisierten die medizinische „Überversorgung“ und forderten, die Zahl der Akutbetten auf das Niveau des europäischen Durchschnitts und damit um 40 Prozent zu senken. Dadurch könnten 4,75 Milliarden Euro jährlich gespart werden, tönte Norbert Hofer (FPÖ) noch im Jänner 2020.

Warum wird eigentlich so vehement – auch noch nach Ausbruch der Corona-Krise – auf die Kürzung der Bettenzahl gedrängt? Natürlich geht es nicht um die Betten. Aber zu jedem Bett gehört Personal. Ärztinnen, PflegerInnen, Küche, Wäscherei, Reinigung, Verwaltung, der gesamte Personalschlüssel wird nach der Bettenzahl berechnet. Es geht um viele Milliarden. Da gibt es natürlich Begehrlichkeiten. Einerseits politisch, weil diese Summen natürlich für andere Bereiche frei würden. Aber vor allem auch wirtschaftlich.

Die EU hat die Losung ausgegeben: „Mehr Privat, weniger Staat“, Daher werden in Europa Spitäler und Abteilungen geschlossen, Betten abgebaut. Das heißt aber nicht, dass sie nicht gebraucht werden. Die EU-Vorgaben sagen ja nur, dass sie nicht aus öffentlicher Hand finanziert werden sollen. Private können und sollen durchaus am Gesundheitsmarkt mitmischen.

In der Steiermark wurde in diesem Sinn die „Plattform Gesundheitswirtschaft Steiermark“ gegründet, um in der Gesundheitsbranche „Wachstumschancen besser nutzen zu können“. Zitat WKO[1]: Die Gesundheitswirtschaft ist also nicht nur ein Kostenfaktor, sie ist auch ein bedeutender Wirtschafts- und Wertschöpfungsfaktor, der im privaten Bereich auf jeden Fall ausbaufähig ist.“ Träger sind unter anderem die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung und das Internationalisierungscenter Steiermark. Ein Kernziel dieser Plattform ist die „aktive Gestaltung der Gesundheitspolitik“.

Was den Gesundheitssektor (wie auch schon den Pflegesektor) besonders interessant für private Investoren macht, ist das Fehlen eines zyklischen Charakters. Medizinische Versorgung und Pflege wird immer gebraucht. Und der Kostenersatz ist gesetzlich geregelt und sicher. Das macht den Gesundheitssektor zu einem vergleichsweise attraktiven und risikoarmen Terrain für Investitionen.

Die geplanten Einsparungen und Kürzungen werden begründet mit den angeblich „explodierenden Gesundheitsausgaben“. Tatsächlich fließen viele Milliarden in unser Gesundheitssystem. Doch bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt sind die laufenden Gesundheitsausgaben (ohne Langzeitpflege) in Wahrheit ziemlich stabil: Die laufenden Gesundheitskosten ohne Langzeitpflege machten im Jahr 2000 8,0 % des BIP aus, 2010 waren es 8,6 % des BIP und 2017 8,9 %.

Überraschend ist, dass in Österreich nur 75 Prozent der Kosten wird von den Gebietskörperschaften (stationäre Versorgung) oder Sozialversicherungen (ambulante Versorgung) getragen. Rund ein Viertel aller Gesundheitsausgaben werden nämlich von den Menschen privat finanziert, sei es durch Selbstbehalte, Privat-Versicherungen oder Direktzahlungen.

 Und dabei sind die sogenannten „informellen Zahlungen“ noch gar nicht berücksichtigt. Ein Eurobarometer-Sonderbericht über Korruption (2017) ergab, dass 9% der UmfrageteilnehmerInnen in Österreich ihrem Arzt/ihrer Ärztin eine zusätzliche Zahlung, ein wertvolles Geschenk oder eine Krankenhausspende übergeben, um eine schnellere Behandlung zu erhalten oder um vom Spitalsarzt in seiner Privatpraxis behandelt zu werden. Dies liegt deutlich über dem EU-Durchschnitt von 5% und höher als in Bulgarien, Lettland und Polen[2].

Die Deckelung der Gesundheitsausgaben in den vergangenen Jahren hat auch in Österreich tiefe Spuren hinterlassen: Gab es 1990 noch 8,1 Akutbetten pro 1.000 EinwohnerInnen, so waren es 2017 nur mehr 5,3.[3] Kürzungen wurden in den meisten EU-Staaten rigoros durchgezogen. Daher liegt Österreich nach Deutschland trotz dieser Kürzungen in Europa auf dem zweiten Platz. Wären die neoliberalen Forderungen nach einer weiteren Senkung um 40 Prozent umgesetzt worden, läge Österreich in etwa auf dem Niveau von Spanien oder Italien.

Die Erfahrungen in China und Italien haben gezeigt, wie wichtig es ist, eine ausreichende Kapazität an Akut- und Intensivbetten sicherzustellen", heißt es in der OECD-Studie. In Österreich gibt es pro 100.000 EinwohnerInnen 28,9 Intensivbetten. Österreich liegt damit im OECD-Vergleich nach Deutschland an der zweiten Stelle. In der Steiermark gibt es etwa 30 Intensiv-Betten pro 100.000 Menschen.

Wie wichtig diese gute Ausstattung in der Krise war, zeigt die Auslastung im März 2020: Mit Stand 30.3.2020 waren in ganz Österreich bereits die Hälfte der Intensivbetten belegt. Bei den Beatmungsgeräten war die Situation noch problematischer: Am 27.3. waren nur mehr ein Drittel der Geräte frei, wobei die Situation regional sehr unterschiedlich war. In Salzburg waren 82 % der Geräte frei, während in Wien nur 19 % und in der Stmk nur mehr 16 % verfügbar waren.

Klar ist, dass nicht nur bei den Betten, sondern damit einhergehend auch beim Personal eine gewisse Kapazität vorgehalten werden muss. Diese Infrastruktur kann nicht einfach bei Bedarf plötzlich hochgefahren werden! Pflege und Behandlung braucht Qualifikation. Das Bett, das Beatmungsgerät allein nützt gar nichts, es muss auch ausreichend Menschen geben, die damit umgehen können.

im internationalen Vergleich ist der Personalstand in den Spitälern in Österreich mit 7,7 pro 1000 EW sehr gering. Obwohl wir bei den Betten im oberen Bereich sind, liegen wir beim Personal im untersten Drittel, knapp vor Italien – und zwar nicht pro Bett, sondern pro 1000 EinwohnerInnen.

Gerade im Pflegebereich fehlt Personal. So hat im Bereich der KAGES von 1998 bis 2018 die Zahl der ÄrztInnen um mehr als 50 % zugenommen. Bei der Diplompflege hingegen betrug die Zunahme nur 23 %, und bei der Pflegehilfe gerade mal 0,28 % in zwanzig Jahren! Mit diesem Wissen verwundert es nicht, dass in Österreich die Pflegekräfte chronisch überlastet und Burnout-gefährdet sind.

In der Steiermark plant die Landesregierung bis 2025 die Spitalsbetten im Vergleich zu 2014 um 950 zu reduzieren. Bis 2035 sind weitere massive Einschnitte geplant: 10 bis 13 Spitäler sollen geschlossen werden, sodass in jeder der sieben steirischen Regionen nur mehr ein Leitspital übrigbleibt.

In der Corona-Krise gab die immer noch relativ gute Bettenkapazität der Spitäler in Österreich den Menschen Sicherheit. Bei vielen hat dies zu einem Umdenken und einer neuen Wertschätzung für unser öffentlich finanziertes Gesundheitssystem geführt. So ließ die Präsidentin des Rechnungshofes, Margit Kraker, verkünden: „Ganz Österreich wird seine Lehren aus der Corona-Krise ziehen müssen. Da ist der Rechnungshof keine Ausnahme. Der Staat wird definieren müssen, was ihm für die Versorgung der Bevölkerung besonders wichtig ist und was vorher nicht so gesehen wurde. Und auch wir als Rechnungshof werden die richtigen Schlüsse ziehen.“ Es bleibt zu hoffen, dass dem neoliberalen Feldzug gegen die öffentliche Gesundheitsversorgung nach Corona ein Riegel vorgeschoben wird.
 

Karin Reimelt ist Direktorin des KPÖ-Landtagsklubs.

 

[1] WKO, 13.1.2017, https://news.wko.at/news/steiermark/Startschuss-fuer-neue-steirische-Plattform-Gesundheitswir.html.

[2] Austria Health System Review 2018

[3] https://data.oecd.org/healtheqt/hospital-beds.htm

26. November 2020