Marx und Engels zur Wohnungsfrage

Franz Stephan Parteder auf der Karl-Marx-Konferenz in Graz am 5. Mai 2018

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„Wohnen ist (neben der Umwelt) jener Bereich des gesellschaftlichen Lebens, bei dem die Menschen nicht glauben, dass der Markt alles regeln kann und soll“, sagte Franz Stephan Parteder beim Karl-Marx-Kongress am 5. Mai 2018 in Graz.

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Die Werke von Karl Marx und seinem Gefährten Friedrich Engels sind für uns keine Heilige Schrift, sondern eine Anleitung zum Handeln. Deshalb müssen wir ihre Schlussfolgerungen – wie sie es auch selbst getan haben – immer wieder anhand der wirklichen Bewegung, nämlich der gesellschaftlichen Entwicklung überprüfen.

Dabei stößt man aber auch auf Erstaunliches. So hat Friedrich Engels in seiner 1872 erstmals erschienenen Schrift „Zur Wohnungsfrage“ festgestellt: „Der Kern sowohl der großbürgerlichen wie der kleinbürgerlichen Lösung der „Wohnungsfrage“ ist das Eigentum des Arbeiters an seiner Wohnung“.

Dieser Satz liest sich wie ein Kommentar zum Wohnungskapitel des Programms der jetzigen schwarz/blauen Bundesregierung. Dort heißt es nämlich auf Seite 47: „Wir müssen alles unternehmen, dass wieder vermehrt Wohnraum im Eigentum erworben werden kann, denn Eigentum ermöglicht ein selbstbestimmtes, abgesichertes Leben.“

Karl Marx und Friedrich Engels haben, indem sie die Bewegungsgesetze des Kapitalismus und die Entwicklung seiner Widersprüche entdeckt und erforscht haben, viel dazu beigetragen, die Scheinheiligkeit solcher und ähnlicher Versprechungen aufzudecken.

Auch im monumentalen Werk „Das Kapital“ widmet sich Karl Marx im Kapitel „Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ (Band 1) der Wohnungsfrage und stellt etwas fest, was auch heute noch wichtig ist, wenn wir unsere Politik erarbeiten: „Der innere Zusammenhang zwischen Hungerpein der fleißigsten Arbeiterschichten und auf kapitalistischer Akkumulation begründetem, grobem oder raffiniertem Verschwendungskonsum der Reichen enthüllt sich nur mit Kenntnis der ökonomischen Gesetze. Anders mit dem Wohnungszustand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, dass je massenhafter die Zentralisation der Produktionsmittel, desto größer die entsprechende Anhäufung von Arbeitern auf demselben Raum, dass daher, je rascher die kapitalistische Akkumulation, desto elender der Wohnungszustand der Arbeiter.“ (MEW. Bd.23, S.686)

In die heutige Zeit übersetzt bedeutet das: Wohnen ist (neben der Umwelt) jener Bereich des gesellschaftlichen Lebens, bei dem die Menschen nicht glauben, dass der Markt alles regeln kann und soll. Jeder und jede braucht ein Dach über dem Kopf, eine Wohnung, die man sich von einem durchschnittlichen Einkommen auch leisten kann. Marx stellt (angesichts der englischen Zustände im 19. Jahrhundert) fest: „Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation und daher der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse überhaupt wird hier so handgreifbar, dass selbst die offiziellen englischen Berichte über diesen Gegenstand wimmeln von heterodoxen Ausfällen auf das „Eigentum und seine Rechte“. (ebd.)

Und er gibt – im 3. Band auf Seite 784 – einen sehr optimistischen Ausblick auf die Zukunft: „Vom Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie ... den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“

Die von Marx für das 19. Jahrhundert beschriebene Tendenzen – sprunghaftes Wachstum der großen Städte, knapper Wohnraum, neue Bevölkerungsschichten, die auf den Arbeitsmarkt drängen – treffen auch auf die heutige Zeit zu. Und auch die Ursache für die massenhaften Spekulationsgewinne hat sich nicht geändert. Es ist die städtische Grundrente.

Im 3. Band hat Friedrich Engels die Aussagen von Karl Marx zu diesem Thema zusammengefasst. Obwohl sich der Großteil dieses Abschnittes mit der Landwirtschaft unter kapitalistischen Bedingungen auseinandersetzt, sind diese Passagen auch für unser Thema relevant. Was verstehen wir unter Grundrente? Im Unterschied zur kapitalistischen Warenproduktion, für die es keine räumlichen Begrenzungen gibt, ist Grund und Boden nicht vermehrbar. Daraus entsteht ein Extraprofit, den schon bürgerliche Politökonomen vor Marx als Grundrente bezeichnet haben. Wer Grund und Boden in einer rasch wachsenden Stadt besitzt, kann daraus enorme Profite geschlagen, weil damit gehandelt wird wie mit jeder Ware, obwohl er (im eigentlichen Sinn keinen Wert hat, weil er nicht Produkt menschlicher Arbeit ist). Solange es aber keine Eingriffe in das Eigentum gibt, ist das Immobiliengeschäft sehr profitabel, vor allem wenn man alle Kosten auf die Menschen überwälzen kann, die eine Wohnung brauchen, über die Miete, aber auch über die Kosten für eine Eigentumswohnung. Private Immobilienkonzerne sind besonders parasitäre Erscheinungsformen des Kapitalismus in seiner heutigen Entwicklungsstufe. Die Überführung von Grund und Boden in gesellschaftliches Eigentum erscheint derzeit eine Utopie zu sein. Die Exzesse der Immobilienkonzerne und der Banken auf diesem Gebiet und auch die immer wieder entstehenden Immobilienblasen zeigen aber, dass bereits eine krisenhafte Situation entstanden ist. Wohnen wird immer teurer, die Profite, die man aus der Wohnungsnot ziehen kann, werden immer größer, elementare Lebensbedürfnisse können von der Mehrheit der Menschen nur mehr mit Krediten finanziert werden, die sie nicht mehr zurückzahlen können, wenn es zu Krisen kommt. Auf dem Boden der jetzigen Gesellschaftszustände ist keine Lösung der Wohnungsfrage in Sicht.

Friedrich Engels hat das in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“ mit folgenden Worten festgestellt: „In Wirklichkeit hat die Bourgeoisie nur eine Methode, die Wohnungsfrage in ihrer Art zu lösen - das heißt, sie so zu lösen, dass die Lösung die Frage immer wieder von neuem erzeugt.“

Genau das hat die Bundesregierung mit ihrem neuen Mietrecht vor.

Die von mir schon zweimal zitierte Arbeit von Friedrich Engels wurde im Jahr 1872 vom sozialdemokratischen Zentralorgan „Der Volksstaat“ als Artikelfolge erstmals veröffentlicht und 1873 als Separatdruck mit dem Titel „Zur Wohnungsfrage“ zusammengefasst. Generationen von Marxistinnen und Marxisten haben sich positiv auf diese Schrift bezogen, die – eingebettet in eine Polemik mit proudhonistischen und bürgerlichen Rezepten zur Überwindung der Wohnungsnot – einige Grundfragen unserer Bewegung klarstellt.

Die Wohnungsnot ist eine Erscheinungsform der ausbeuterischen Wesensart des Kapitalismus. Aber gerade weil diese Wesensart sich hier in einer verschleierten Form zeigt, weil unter der Wohnungsnot nicht nur die Arbeiter, sondern auch andere Bevölkerungsschichten leiden, gibt es sehr viele Vorschläge und Versuche, die Wohnungsfrage auf dem Boden des bestehenden Gesellschaftssystems umfassend zu lösen.

Dagegen tritt Engels auf und sagt am Ende des zweiten Abschnittes seines Werkes: „Und solange die kapitalistische Produktionsweise besteht, solange ist es Torheit, die Wohnungsfrage oder irgendeine andre das Geschick der Arbeiter betreffende gesellschaftliche Frage einzeln lösen zu wollen. Die Lösung liegt aber in der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, in der Aneignung aller Lebens- und Arbeitsmittel durch die Arbeiterklasse selbst.“ (Marx/Engels. Ausgewählte Werke. Bd. 4, S. 251. Berlin 1986).

 

Das bedeutet aber nicht, sagt Engels, dass man auf Verbesserungen auf diesem Gebiet verzichten soll. Über Schutzgesetze, wie Gesundheits- und baupolizeiliche Inspektion der Arbeiterwohnungen, Übertragung der Befugnis an die Behörden, gesundheitsgefährliche und baufällige Wohnungen zu schließen, hat er folgende Meinung: „Das fragliche Gesetz, wie manche andere in England, hat nur die Bedeutung, dass es in den Händen einer von den Arbeitern beherrschten oder gedrängten Regierung, die es endlich wirklich anwendet, eine mächtige Waffe sein wird, in den gegenwärtigen sozialen Zustand Bresche zu legen.“ .

Es gibt für Engels eine wichtige Vorbedingung für ein „praktisches Herangehen“ an die Wohnungsfrage: „Der erste Schritt beim Herantreten an die bestimmten konkreten Verhältnisse der Gesellschaft besteht doch wohl darin, dass man sie kennenlernt, dass man sie nach ihrem bestehenden ökonomischen Zusammenhang untersucht.“

Die Erscheinungsform des kapitalistischen Gesellschaftssystems hat sich seit Engels‘ Zeiten stark verändert. Verursacht durch die Existenz von sozialistischen Ländern und durch eine starke Arbeiterbewegung in Westeuropa gab es zuerst eine bedeutende Besserstellung für die Mehrheit der Bevölkerung auch auf dem Wohnungssektor (Mieterschutz, Begrenzung von Wohnungskosten, kommunaler Wohnbau). Gleichzeitig wurden nach dem zweiten Weltkrieg bei uns arbeitende Menschen massenhaft zu Eigentümern gemacht. Man darf die Augen nicht davor verschließen, dass viele von ihnen Eigenheime besitzen oder Wohnungseigentümer in Genossenschaftswohnungen sind.

Beginnend mit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts werden die sozialpolitischen Errungenschaften auch auf dem Wohnungssektor immer stärker und in immer schnellerem Tempo zurückgenommen. Seit dem Beginn der großen Krise 2008 gehören auch die Berichte über Austreibungen von verschuldeten Menschen aus ihren Häusern und Wohnungen fast schon zum Alltag. Wohnen macht wieder arm, während die Profite der Eigentümer großer Wohnungsgesellschaften stark anwachsen. Dies ist auch die Folge der massenhaften Privatisierung von kommunalen Wohnungsgesellschaften und von Werkswohnungen.

Ein praktischer Ansatz für fortschrittliche Wohnungspolitik ist auch im 21. Jahrhundert ohne eine Analyse der konkreten ökonomischen Verhältnisse nicht möglich, weder auf europäischer, gesamtstaatlicher noch auf kommunaler Ebene. Gleichzeitig bedeutet die Tatsache, dass unsere Bewegung weit davon entfernt ist, die „Kommandohöhen“ des Staates und der Wirtschaft zu besetzen, dass fortschrittliche Wohnungspolitik zwar über das Bestehende hinausweisen muss, dass

es ihr aber nicht möglich ist, sich über die geschriebenen und die ungeschriebenen Gesetze hinwegzusetzen, die in unserer Gesellschaft gelten.

Vor diesem Widerspruch darf man nicht kapitulieren. Wer aber unter Hinweis auf die oben zitierte Feststellung von Friedrich Engels darauf verzichtet, gemeinsam mit vielen Betroffenen gegen den Sozialabbau auf dem Gebiet des Wohnens zu kämpfen oder für konkrete Verbesserungen einzutreten, macht genau das. Er betreibt eine Politik der revolutionären Phrase, die rasch zur Abkapselung einer selbst ernannten Elite von der Masse der Bevölkerung führt. Wir kennen dergleichen zur Genüge. Gerade kleine Parteien unseres Typs sind davor nicht gefeit.

Wer aber die Schranken, die der bürgerliche Staat aufgerichtet hat, verinnerlicht und nicht mehr darüber hinaus denkt, der landet sehr schnell auf sozialdemokratischen Positionen und unterwirft sich ökonomischen und finanziellen Sachzwängen, die eine fortschrittliche Wohnungspolitik in letzter Konsequenz nicht mehr möglich machen. Eine Folge dieser Fehlhaltung ist es, dass sich der Zorn der Opfer von Wohnungsnot und teuren Mieten nicht gegen die eigentlichen Verursacher wendet, sondern gegen Politiker, die nicht in der Lage sind, ihre Wahlversprechen umzusetzen.

Ohne Einbettung in ein Konzept, das auf eine grundlegende Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsordnung hinausläuft, ohne marxistischen Kompass – und (was gleich wichtig ist) ohne grundlegende Kenntnisse der konkreten Bedingungen, unter denen wir arbeiten, ist fortschrittliche Wohnungspolitik schnell zum Scheitern verurteilt.

Elke Kahr hat auf einer Tagung zur Zukunft des Sozialen Wohnbaus am 12. Mai 2012 in Graz die Positionen der steirischen KPÖ dargelegt: „Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen. Dieses Grundbedürfnis darf nicht den Anforderungen des Markts und den Vorstellungen von Spekulanten und Profitentwicklern untergeordnet werden, die nur ein Ziel kennen: Die Rendite.

Die Auseinandersetzungen auf dem Wohnungssektor sind nicht nebensächlich, sondern wichtige Bestandteile des großen gesamtgesellschaftlichen Kampfes. Wenn es gelingt, die Angriffe auf den sozialen Wohnbau, die gerade auf breiter Front geführt werden, abzuwehren, wenn wir es schaffen, konkrete Beispiele dafür zu entwickeln, dass es auch anders geht, dann ist schon viel erreicht.

Unser Ziel bleibt die Wiederaufnahme des sozialen Wohnbaus durch die Gemeinden und die Gebietskörperschaften selbst. Das ist nur bei einer grundlegenden Veränderung des Kräfteverhältnisses möglich.

Wir treten dafür ein, dass das Wohnungswesen als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge organisiert und so weit wie möglich den Marktmechanismen entzogen wird. Wohnen darf keine Ware wie jede andere sein.

Unsere Arbeit in Graz ist Teil einer Bewegung, die den arbeitenden Menschen und der großen Mehrheit der Bevölkerung ein Bewusstsein ihrer Kraft und Bedeutung geben und die Angriffe auf ihre sozialen Rechte abwehren will.“

 Deshalb setzen wir den Vorstößen von Schwarzblau für ein marktkonformes Mietrecht unsere Forderungen entgegen und arbeiten daran, eine breite Bewegung für ein soziales Mietrecht zu entwickeln.

Wir fordern:

  • Einheitliche, niedrigere Obergrenzen für Mieten!
  • Abschaffung der Maklerprovision für Mieterinnen und Mieter!
  • Keine Privatisierungen öffentlichen Wohnraums!
  • Ausweitung des kommunalen, öffentlichen Wohnbaus!
  • Zweckbindung der Wohnbauförderung des Landes
  • Keine Befristung von Mietverträgen .

 

Veröffentlicht: 8. Mai 2018