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Kinder haben Recht auf Existenzsicherung!

„Armut ist kein Kinderspiel“ - Fachtagung der KPÖ am 28.3.2019

Jedes fünfte Kind in der Steiermark wächst an oder unter der Armutsgrenze auf. Das zeigt der Ende 2018 erschienene Armutsbericht des Landes. Die Fachtagung „Armut ist kein Kinderspiel“ des KPÖ-Landtagsklub wollte sich mit den Ursachen auseinandersetzen und einen Beitrag zur Lösung dieses Missstandes leisten.

Hochkarätige Referentinnen und Referenten, unter anderem Dr.in Laura Wiesböck (Universität Wien), Mag.a Denise Schiffrer-Barac (Jugendanwältin des Landes Steiermark) und Dr. Peter Stoppacher (Mitverfasser des Armutsberichts des Landes Steiermark). Franz Ferner stellte das Grundsicherungsmodell für Kinder der Volkshilfe vor.

2014 waren in der Steiermark 37.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. 2017 waren es bereits 51.000. Die Politik hat eine Verantwortung gegenüber den Schwächsten, sagte Gastgeberin Claudia Klimt-Weithaler, Klubobfrau der KPÖ im Landtag Steiermark, bei ihren Begrüßungsworten. Deshalb wurde die Fachtagung in Zusammenarbeit mit dem Bildungsverein der KPÖ Steiermark ins Leben gerufen.

Dr. Peter Stoppacher erklärte eingangs, wie Armut ermittelt wird und welche Daten dafür herangezogen werden. Hohe Armutsgefährdung besteht natürlich bei langer Beschäftigungslosigkeit, bei Ein-Eltern-Haushalten (zumeist Alleinerzieherinnen) und kinderreichen Familien. „Kinder, denen es schlecht geht, erreichen auch selten einen höheren Bildungsabschluss“, gab der Soziologe einen Hinweis, wie Armut weitergegeben wird. Während ein Teil der Kinder und Jugendliche jede erdenkliche Förderung erhält, bleiben andere auf der Strecke.

Die steirische Kinder- und Jugendanwältin Mag.a Denise Schiffrer-Barac berichtete, dass es armutsgefährdete Kinder in allen Gesellschaftsschichten gibt. Eine Hilfestellung sei in Einzelfällen möglich, aber nur als „Tropfen auf den heißen Stein“. Viele Kinder haben massive gesundheitliche Probleme, sind chronisch krank. Wenn wir ihnen gute Startbedingungen ermöglichen, sind die Auswirkungen eingrenzbar. Deshalb sind strukturelle Maßnahmen so wichtig.

In ihrem Vortrag sprach Dr.in Laura Wiesböck, Soziologin an der Universität Wien, über gesellschaftliche Ursachen und Auswirkungen von Armut. „Armut ist Indikator für Zustand einer Gesellschaft“ – deren Vermeidung eigentlich ein zivilisatorisches Ziel sein sollte. „Armut ist kein Naturereignis, sondern steuerbar“, betonte die Sozialwissenschaftlerin. Es gibt sehr gute, erfolgreiche Wege, gegenzusteuern. Es kommt auf den politischen Willen an, Maßnahmen gegen Armut zu ergreifen, die natürlich nicht von der Kinderarmut zu trennen ist.

Dass Arbeit nicht mehr vor Armut schützt, ist in Österreich ein relativ neues Phänomen. In Österreich liegen 300.000 Menschen trotz Vollzeit-Erwerbsarbeit unter der Grenze zur Armutsgefährdung. Für sie lohnt sich Arbeit also nicht. Die Zunahme von atypischen Beschäftigungsverhältnissen verschärft das Problem.

Welche Faktoren tragen zur Entstehung von Armut bei? Markt – Staat – Familie: Der Abbau des Sozialstaats führt dazu, dass Armut verstärkt entsteht. Auch die Familie ist nicht mehr im selben Ausmaß wie früher ein Schutz gegen Armut, ein ökonomisch brüchiges Auffangnetz.

Das Einkommen von Frauen sinkt nach Geburt des ersten Kindes rasant ab und liegt auch nach zehn Jahren noch deutlich unter dem der Männer. Arbeitszeitreduktion, geringere Aufstiegschancen, traditionelle Rollenaufteilung spielen dabei eine Rolle. Alleinerzieherinnen werden von der Sozialpolitik wenig berücksichtigt, obwohl sie besonders häufig von Armut betroffen sind. Das liegt daran, dass in Österreich das traditionelle Rollenmodell mit dem Vater als „Ernährer“ verankert ist, auch wenn es der gesellschaftlichen Realität häufig nicht entspricht: So erhält etwa nur jedes zweite Kind regelmäßige Unterhaltszahlungen, wenn die Eltern getrennt leben.

Bei Familien, die von Mindestsicherung abhängig sind, wird die Kinderarmut zunehmen. Grund dafür ist die Kürzung der Leistungen durch die Einführung der „Sozialhilfe neu“ durch die Bundesregierung, die Kindern deutlich weniger Unterstützung zugesteht. Elternarmut ist gleich Kinderarmut. Armut wird in Österreich vererbt, sozialer Aufstieg durch Erreichen eines höheren Bildungsstandes als die Eltern ist im bestehenden System kaum möglich. Es ist sehr schwer, aus diesem Muster auszubrechen.

Bildung ist fundamentale Voraussetzung für Integration in den Arbeitsmarkt. Kinder, die in armutsgefährdeten Familien aufwachsen, erleben auch ein Schamgefühl gegenüber anderen. Eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ist so kaum möglich, was zu sozialer Isolation führt. Darunter leiden Kinder besonders, sie sind unter Druck, in einem an Statussymbolen orientierten Umfeld ihre Armut zu verbergen. Von Armut betroffene Kinder wachsen auch weniger gesund ernährt auf.

Mag.a Brigitte Brand und Isabella Holzmann stellten die Arbeit des Vereins Armutsnetzwerk Steiermark vor. Das Netzwerk umfasst 18 Organisationen und arbeitet eng mit der Armutskonferenz zusammen. Amir Mayer, Geschäftsführer von Kinderland Steiermark und Vorsitzender des Landesjugendbeirats, erklärte, welche Schwerpunkte es heute in der Arbeit von Kinder- und Jugendorganisationen gibt. Ein konkreter Erfolg war zuletzt die Erhöhung der Zuschüsse für Kindererholungsaktionen durch das Land Steiermark. Viele junge Menschen haben außerhalb von Kindererholungsaktionen keine Möglichkeit, Urlaub zu machen, weil es außerhalb der finanziellen Möglichkeiten ihrer Familien liegt.

Franz Ferner, Geschäftsführer der Volkshilfe, sprach über die Kindergrundsicherung, mit dem die Volkshilfe die Kinderarmut bekämpfen will. Ferner nannte die Zahlen „beklemmend“, sie waren ausschlaggebend dafür, dass das Modell entwickelt wurde. Es ist nicht ausreichend, im Einzelfall zu helfen, betonte Ferner. Kinder brauchen auch materielle Sicherheit. Die Volkshilfe hat deshalb anhand der realen Kosten berechnet, wieviel ein Kind wirklich braucht, um mit einem angemessenen Lebensstandard aufzuwachsen. Berücksichtigt wurden besonders die Bildungschancen und Entwicklungsmöglichkeiten eines Kindes, die soziale Teilhabe (etwa die Teilnahme an Freizeitaktivitäten und Geburtstagsfeiern) und die Gesundheit.

Die Kindergrundsicherung sieht vor, dass es einen Grundbetrag von 200 Euro pro Monat, 12 Mal jährlich, gibt, der bis zum 18. Lebensjahr ausbezahlt wird. Zusätzlich gibt es, gestaffelt nach den finanziellen Voraussetzungen einer Familie, Leistungen bis maximal 425 Euro pro Monat. Die Bedürfnisse des einzelnen Kindes werden in den Mittelpunkt gestellt. Die Volkshilfe hat dafür Kosten in der Höhe von 2,0 Milliarden Euro errechnet, das sind 1,9 % aller Sozialausgaben. Es geht aber nicht nur um die Auszahlung von Geld, sondern auch um die Begleitung von armutsgefährdeten Familien.

 

Forderungen und Ziele, die häufig zur Sprache gekommen sind:

  • Arbeitsmarkt: Kinder dürfen kein Armutsrisiko für Eltern bedeuten.
  • Bildungspolitik: Bildung muss attraktiv gemacht werden, im heutigen Schulsystem wird oft nach wie vor nur das kurzfristige Anhäufen von Wissen belohnt.
  • Soziale Mobilität: Armut darf nicht über das Bildungssystem vererbt werden.
  • Leistungen für Kinder müssen sich am Bedarf orientieren, anstatt wie derzeit der Familienbonus Familien mit höherem Einkommen bevorzugen.

Gastgeberin KPÖ-Klubobfrau Claudia Klimt-Weithaler, auf deren Initiative die Fachtagung veranstaltet wurde, freute sich über das große Interesse und die Anregungen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten haben. „„Heute haben wir viele Vorschläge gehört, wie Kinderarmut verhindert oder verringert werden kann. Für die KPÖ ist das ein Auftrag, jetzt konkrete Vorschläge und politische Initiativen zu entwickeln, damit die Kinderarmut wirkungsvoll bekämpft werden kann. Alle Kinder haben ein Recht auf eine gesicherte Existenz. Ich hoffe, dass sich Politikerinnen und Politiker aller Parteien auf dieses wichtige Bekenntnis einigen können.“

Die Politik müsste den Mut haben, ultrakonservative Vorstellungen und Vorurteile abzulegen und die Interessen der jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Leider geschieht das Gegenteil: mit der Abschaffung der Mindestsicherung und der damit verbundenen Kürzung der Unterstützung für Kinder und Jugendliche ist schon vorgezeichnet, dass diese Menschen auch als Erwachsene viel schlechtere Chancen haben und die Armut weitervererben werden.

 

Eine ausführliche Dokumentation der Fachtagung ist in Vorbereitung.

28. März 2019