Katerina gegen das Monster

Die EU ist ein neoliberales, neofeudales und neokoloniales Monstrum

Wutrede von Matthias Lauer zur EU-Wahl

Von Solidarwerstatt

 

Angesichts der unerträglichen Scheingefechte, die im EP-Wahlkampf inszeniert werden, ist es wichtig, einen klaren Blick auf das Wesentliche zu behalten. Wir bringen dazu diesen Beitrag von Matthias Lauer, den er auf seiner persönlichen Facebook-Seite veröffentlicht hat (28.3.2019). Matthias Lauer ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie (ACUS). 

Die bevorstehende Wahl zum sogenannten Europäischen Parlament ist eine Falle. Die Bevölkerung und die vorhandenen politischen Strömungen sollen dazu gebracht werden, sich zwischen dem Europa von Merkel, Macron oder Orban und Salvini zu entscheiden. Und das ist genau das selbe Europa – das Europa der Oligarchie, des Rassismus und der Repression.

Scheinscharmützel

Nichts demonstriert die schiere Unsinnigkeit der Entscheidung zwischen diesem und jenem Übel mehr, als der schon im Juni letzten Jahres durchgesickerte Deal zwischen Kurz und Strache, dass Strache bei dieser Wahl den EU-Kritiker spielen soll und dafür die Linie der EU-Kommission durchsetzen hilft. Es ist genau die EU selbst, die das türkisblaue Regime nicht nur legitimiert hat, sondern im Länderbericht zum Europäischen Semester bereits 2018 zu noch weitreichenderen Angriffen auf das Pensions-, Sozial- und Gesundheitssystem angestiftet hat. Es sind die „rechtspopulistischen“ Parteien, die das ökonomische Diktat der EU mal besonders eifrig, mal garniert mit ein paar Scheinscharmützeln mit ihrem Fiskalrat brachial durchsetzen. Und es ist ausgerechnet Macron, der Europameister in Rückschiebungen, der Präsident der ausgeschossenen Augen und des Schießbefehls, der die Einfältigen nun in der Rolle des heldenhaften Kämpfers für Diversität und Demokratie für sein Label von Postdemokratie sammeln möchte.

Die EU ist ein neoliberales, neofeudales und neokoloniales Monstrum. Sie ist dies, weil sie so gemeint war, das ihrem Wesen entspricht, das ihre einzige Möglichkeit ist, zu sein, und sie alle Möglichkeiten, anders zu sein, ausgeschlossen hat und für immer ausschließt.

Die EU ist kein neutrales politisches Gefäß

Die EU ist kein neutrales politisches Gefäß, in das beliebige politische Inhalte hineingegossen werden können, sondern sie ist genau das, was in ihren Rechtsgrundlagen und Institutionen zum Ausdruck kommt, von Maastricht bis Lissabon. Sie hat Austerität und Militarisierung in Verfassungsrang erhoben. Sie ist ein Instrument, um das, was von den ArbeiterInnenbewegungen der in ihr zusammengefassten Länder errungen worden ist, zurückzuschlagen. Ihre Zentralbank hat das historische Wertschöpfungsprinzip der deutschen Reichsbank in den besetzen Gebieten Hitlerdeutschlands für heute wiedererrichtet. Ihre Kommission beruft sich in mehreren Dokumenten offen auf die Ideen des faschistischen Theoretikers Denis de Rougemont. Sie hat zusammen mit anderen Institutionen der neoliberalen, neofeudalen und neokolonialen Weltordnung die Bevölkerung Griechenlands ruiniert, die westafrikanischen Agrarökonomien devastiert, ein ökonomisches Diktat der Privatisierung und der Zerstörung öffentlicher Dienstleistungen auf ihre Mitgliedsstaaten errichtet. Sie hat in den Brexit-Verhandlungen ihre eigenen BürgerInnen zur Verhandlungsmasse gemacht. Sie hat ein ausgeklügeltes System der Beschränkung von Freiheiten und der Diskriminierung mit Images von „Vielfalt“ und „Integration“ verpackt. Sie ist verantwortlich für den Tod von tausenden Menschen an ihren Außengrenzen. Sie hat die Lager in Libyen erzeugt, in denen tagtäglich und genau in diesem Augenblick Menschen gefoltert, vergewaltigt und zu Tode gehungert werden. Die EU zu wollen, heißt genau das zu wollen, denn genau das ist die EU.

Aufrüstungsverpflichtung in Verfassungsgrundlagen

Die EU ist kein Friedensprojekt. Neben Nordkorea ist sie das einzige völkerrechtliche Subjekt der Welt, das eine Aufrüstungsverpflichtung in den Verfassungsgrundlagen hat. Ihre militärischen Instrumente von FRONTEX, Rüstungsagentur bis SSZ/PESCO sind Fleisch von ihrem Fleisch und fachen die gegenwärtige Zuspitzung von Militarisierung und Rüstungsproduktion erst mit an. Die vielzitierte deutsch-französische Verständigung nach dem 2. Weltkrieg kam nicht durch die EU zustande, sondern beruhte auf völlig entgegengesetzten europapolitischen Konzeptionen und wurde im Übrigen erst dann realisiert, als zwei zentrale Projekte der damaligen europäischen Einigungspolitik (die EVG und das Saarstatut) politisch gescheitert waren. Die Militarisierung der EU zielt auf die gewaltsame Unterdrückung möglicher Opposition auch in den Mitgliedsstaaten ab. Schon die damaligen EG verfügten in der sog. Antiterrorkoordination TREVI über ein Instrument, dessen Geschichte der Schaffung von Todesschwadronen in Nordirland, im Spanischen Staat und im Baskenland immer noch Gegenstand der Geschichtsbewältigung ist.

Mit den Institutionen der EU brechen

Die EU schließt jede gesellschaftliche Alternative aus. Das wissen auch die politischen Kräfte, die von einer „grundsätzlichen Veränderung der EU“ oder einem „sozialen Europa“ quasseln. Sie lügen sich und anderen etwas vor. Sie greifen zu Tricks, wie dem Lamento, man habe viel zu viele Instrumente neben den „eigentlichen“ Institutionen der EU geschaffen, wie den Fiskalpakt – schweigen aber ohrenbetäubend darüber, dass die Staaten, die den Fiskalpakt ratifiziert haben, diesen nur verlassen können, indem sie die EU verlassen oder diese zu existieren aufhört. Womit wiederum dort alle, die weiter für die EU sind, damit auch weiter für den Fiskalpakt sind. Und der, wie das deutsche Bundesverfassungsgericht ja so deutlich gesagt hat, nur befestigt, was bereits im Vertrag von Maastricht und im Euro-Stabilitätspakt Wesenszug der EU-Politik war.

Nein, bei der Europawahl geht es nicht darum, „unser Europa“ zu retten, oder ein „anderes Europa“ zu ermöglichen. Es empfiehlt sich stattdessen, sich auf etwas anderes zu konzentrieren: mit den Institutionen der EU und allem, wofür sie stehen, zu brechen und dafür zu kämpfen, dass an ihre Stelle etwas Besseres tritt.

Matthias Lauer
(28.3.2019)

13. Mai 2019