Interview: Renate Pacher und Erich Wilding über die Corona-Krise und was zu tun ist

Stadträtin Renate Pacher und Gemeinderat Erich Wilding

Das Leben im Murtal hat sich, wie auf der ganzen Welt,  dramatisch geändert. Wir erleben Einschränkungen der persönlichen Freiheit, ein Niederfahren der Wirtschaft und einen Stillstand im kulturellen Leben, wie wir es uns noch vor wenigen Wochen nicht hätten vorstellen können.  Viele sind schon jetzt betroffen, die längerfristigen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sind noch gar nicht abschätzbar.   Wir haben KPÖ-Stadträtin Ing. Renate Pacher aus Knittelfeld und den Spielberger KPÖ-Gemeinderat Ing. Erich Wilding  zum Interview gebeten:

Die Corona-Krise hat einige europäische Länder härter getroffen als andere, warum?

Erich: Die besonders schwer betroffenen Länder, wie Italien und Spanien, haben in den Jahren nach der Wirtschaftskrise radikale Kürzungen in ihren Gesundheitssystemen vorgenommen. Dies geschah vor allem auf Druck der EU und der Europäischen Zentralbank.

Renate: In Österreich ist der Abbau im Gesundheitssystem zum Glück noch nicht soweit fortgeschritten, doch auch bei uns wurde vieles verschlechtert. Im Bezirk Murtal gab es im Jahr 2009 noch 512 Spitalsbetten, diese wurden aktuell auf 450 reduziert. Nach den Plänen der ÖVP/SPÖ Landesregierung  soll die Bettenzahl bis 2025 weiter auf 433 sinken. Die Zahl der Intensivbetten ist im gleichen Zeitraum von 21 auf 18 gesunken, 2025 soll es nur noch 17 geben. Wir als KPÖ warnen seit Jahren vor dieser Entwicklung und fordern den Kahlschlag im Gesundheitssystem zu stoppen. Dass wir nicht gehört wurden rächt sich nun.

Ihr sprecht das Gesundheitssystem an, was können wir aus dieser Situation lernen?

Renate: Das Gesundheitssystem braucht strategische Reserven, die auch auf einen Krisenfall ausgelegt sind. Kein Mensch darf zurückgelassen werden, auch nicht in Ausnahmesituationen. Das kann nur sichergestellt werden, wenn man ins Gesundheitssystem investiert, also Aus- statt Abbau.

Erich: Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich müssen sich auch deutlich verbessern. Die Beschäftigten in diesem Bereich leisten einen unglaublich wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft, das muss finanziell und mit guten Arbeitsbedingungen gewürdigt werden.

Erich, du hast Eingangs die Politik der EU angesprochen, wie beurteilt ihr die Rolle der EU?

Erich: Wie schon in der Finanzkrise zeigt sich auch in der Corona-Krise: die EU ist keine  Solidargemeinschaft. Sie ist nicht dazu da, dass sich die Länder gegenseitig unterstützen. Ihr Zweck ist es die Rahmenbedingungen  zu schaffen, dass Konzerne und Banken möglichst hohe Gewinne machen können. Während sich die europäischen Länder gegenseitig Masken stehlen, schicken China, Kuba und Russland medizinisches Personal und Material in die besonders betroffenen Gebiete z.B in die Lombardei. Von dieser Solidarität sollten wir lernen.

Der Arbeitsmarkt ist, auch in unserer Region, angespannt. Was brauchen die Menschen die von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit betroffen sind?

Renate: Es braucht einige Sofortmaßnahmen zur Unterstützung von Menschen in Notlagen. Die KPÖ hat sich z.B. für die Aussetzung von Delogierungen eingesetzt, das wurde nun auch umgesetzt. Auch die Einrichtung von Härtefonds in den Gemeinden ist wichtig. In Spielberg wurde so ein Fonds ins Leben gerufen, auch in Knittelfeld wird er angedacht.

Erich: Nach dieser Krise wird sich die Frage stellen wer für die Folgen bezahlt. Niemand darf wegen Corona in finanzielle Not geraten. Wir fordern, dass das Arbeitslosengeld deutlich erhöht wird. Die Kosten der Krise müssen vor allem jene zahlen die viel Geld haben. Eine Reichensteuer und eine Erbschaftssteuer ist das Gebot der Stunde. Jene Konzerne und Spekulanten, die an der Krise sogar verdienen, müssen einen besonders hohen Beitrag zahlen.

 

Stichwort Gemeinde. Was können die Gemeinden derzeit tun?

Erich: Wir haben in den Gemeinden einige Forderungen und Anfragen eingebracht. Einige davon, wie ein Entgegenkommen bei Zahlungsschwierigkeiten oder das Aussetzen von Kindergarten- und Musikschulgebühren,  wurden auch von den anderen Parteien unterstützt.

Renate: Besonders wichtig war uns schon immer die Einrichtung von Krisenwohnungen für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen. So etwas gibt es im ganzen Murtal  nicht. Bis jetzt stießen wir damit leider auf taube Ohren. Wir hoffen dass die Wichtigkeit zumindest jetzt erkannt wird.

Stichwort medizinische Produkte. Vieles ist derzeit auf dem Markt schwer oder nur teuer zu bekommen, wie beurteilt ihr diese Situation?

Renate: Auch hier zeigt sich ein der Wahnsinn des globalisierten Kapitalismus. Besonders bei Medikamenten und medizinischen Produkten ist die Abhängigkeit fahrlässig. In Zukunft muss dafür gesorgt werden, dass Produktion wieder regional stattfindet. Vielleicht wäre das auch eine Chance.  Unsere Region könnte sich z.B.  um die Produktion von medizinischen Gütern bewerben.  

Erich: Der globalisierte Waren- und Personenverkehr hat auch zur raschen Übertragung des Virus beigetragen. Hier muss endlich gegengesteuert werden. Was regional produziert werden kann, soll regional produziert werden. Insbesondere im Bereich der Grundversorgung müssen der Staat und auch die Gemeinden wieder an Einfluss gewinnen. Gerade in diesen Bereichen hat Gewinnstreben nichts verloren.

Den Gemeinden entgehen wesentliche Einnahmen aus Kommunalsteuern, Ertragsanteilen, usw. Was wäre zu tun um das aufzufangen?

Renate: Die Gemeinden sind schon seit Jahren unterfinanziert. Das kritisieren wir schon lange. Es braucht ein Hilfspaket, das den Gemeinden ermöglicht ihre Kosten zu tragen und in den Ausbau ihrer Infrastruktur zu investieren. Ein kommunales Investitionsprogramm würde Arbeitsplätze schaffen

Erich: Schon bisher haben wir kritisiert, dass viele Gemeinden so geringe Einnahmen haben, dass sie ihre Strukturen gerade noch aufrecht erhalten können. Das wird sich in Zukunft sicher verschärfen. Eine gerechte Besteuerung von Vermögen könnte auch dafür genutzt werden den Gemeinden ausreichend Mittel zu geben.

Zum Abschluss: Wie verbringt ihr die Isolation?

Renate: Das Leben ist ruhiger geworden, aber ich habe das Gefühl es ist die „Ruhe vor dem Sturm“. Abwechslung bringt, dass ich  Einkäufe für Menschen die zur Risikogruppe gehören erledige.

Erich: Auch habe mich bei „Spielberg hilft“ angemeldet. Trotz aller Besorgnis um die Zukunft zeigt diese Krise auch, wie lebenswert es in unserer Region ohne den massiven ständigen Lärm sein  könnte. Das kann und darf kein Widerspruch zu Arbeitsplätzen sein, sondern sollte als Auftrag  verstanden werden durch technische und organisatorische Maßnahmen die jetzt erlebte Ruhe zur „Normalität“ zu machen.

Wir wünschen frohe Ostern und viel Gesundheit!

Veröffentlicht: 8. April 2020