Im Kosmos der Ängste

Wie der Corona-Faschismus funktioniert

Text von Marlene Streeruwitz aus der Presse von 12. Dezember 2020

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Im Kosmos der Ängste

Die Regierungspolitik versagt uns die Einfühlung. Keine Einfühlung. Kein Verständnis. Keine Achtung. Nur Verwaltung der Person

Obwohl. Dann doch. Am Telefon. Dieser Ministeriumsmitarbeiter.

Nachgedanken zu einem Gespräch.

Von Marlene Streeruwitz

 

 

Die Musik ist sanft. Das Gesagte ist mit lang gezogenen Geigenklän­gen unterlegt. Auf dem Bild­schirm. Die Weltkugel im All. Hel­les Blau vor Dunkelblau. Die jun­ge Frau: ,,Wenn die Zeiten wieder besser wer­den, lasst uns eine bessere Welt erschaffen." Der junge Mann: ”Nicht nur wieder begin­nen, sondern neu anfangen."

Die junge Frau: „Wenn es der Welt wieder besser geht, lasst uns einen neuen Lebensraum schaffen.“ Der junge Mann: ,,Mit besseren Werten und Mög­lichkeiten. Besserer Luft und besserem Was­ser." Die junge Frau: ,,Mit einem saubereren Zuhause, sauberer Energie und saubereren Küsten." Der junge Mann: ,,Mit Zeit, die wir besser nutzen. Mit weniger Verschwendung und besseren Werten." Die Musik bleibt sanft. Die Bilder. Windkraftanlagen vor Mor­genröte. Meeresbrandung auf Sandstrand Auch die Bilder gleiten mit der Musik mit Die Stimmen. Sie sind unaufgeregt Frisch. Ruhig. Überlegt.

 

Das alles ist beruhigend. Dieser Videoclip ist vor allem beruhigend. Und Beruhigung. Das ist es, was wir brauchen. Beruhigende Ausblicke in eine beruhigende Zukunft. Die Aufforderung, an einer besseren Welt mitzubauen. Gemeinsam. Sich nicht allein wissen müssen. Das beruhigt auch das schlechte Ge­wissen, das, aus unserer Vergangenheit kom­mend, die Erwartung an das Kommende ver­dunkelt. Wir haben es nicht gut gemacht. Wir waren nicht gerüstet. Wir waren nicht vorbe­reitet. Wir taumeln durch die Covid-19-Krise. Wir werden getaumelt. Das beschädigt das Selbstvertrauen. Wir brauchen das Gemein­same. Wir hatten das ja auch. Ganz kurz. Am Anfang. Irgendwann im März. Und seither so viel Zeit und keine. In ein ewiges Einerlei ohne Anregung gezwungen. Wir haben die Zeit verloren. Die Zeit wurde uns verloren. Es geht um die Rückeroberung der Zukunft ge­gen die Covid-19-Maßnahmen, die uns in die ewige Erwartung bundeskanzlerischer Ver­kündigung zwingen. Denn Zukunft. Die Ver­fügung über die Zukunft. Das ist Freiheit.

 

Aber zurück zu diesem Videoclip. Es gäbe viel anzumerken. So sollte das Wort Lebens­raum vermieden werden. Und was sind bes­sere Werte. Aber darum geht es nicht Es ist so überzeugend, ernst genommen zu wer­den. Als Zuseherin. Als Zuseher. Es bleibt sogar überzeugend, wenn klar wird, dass es sich um ein Werbevideo der Firma Miele handelt.

Als Kunde, als Kundin ernstgenommen zu werden. Das wäre je wenigstens die Erfüllung der kapitalistischen Versprechung der Macht des Markts. Noch überzeugender wird dieses Vi­deo im Vergleich mit dem Sprechen in der Politik. Empathie. Sich in die Situation einer anderen Person zu versetzen. Die andere Person verstehen zu wollen. „Die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen." So definiert Wikipedia Empathie. Aber diese Bereitschaft ist keine leere Forderung. Empathie ist eine politische Voraussetzung für Demokrati­sches. Achtung kann nur gegeben werden, wenn die Einstellung der anderen Person zur Kenntnis genommen wurde. Dazu muss sie gewusst werden. Verstanden und akzeptiert.

 

Sprache der Hospitalisierung

Die Regierungspolitik versagt uns die Einfüh­lung und damit die Achtung als Staatsbürge­rinnen und Staatsbürger. In der Sprache der Hospitalisierung werden wir in ein Verfahren gebunden und stillgestellt. Währenddessen geht die Politik der Hospitalisierung der Bür­gerinnen und Bürger über Disziplinierung. Während wir in unsere Wohnungen verbannt bleiben müssen, läuft in einem virtuellen Draußen das· politische Erziehungsprojekt Österreich weiter. Dieses Draußen. Das ist dann eine reale Verschwörung, der hilflos zugesehen werden muss. Während wir zu Hause sitzen, wird „draußen" immer weni­ger Platz für das Leben. Der Staat traumati­siert das Kind in der Volksschule wieder durch die frühe Feststellung, „wo einer steht". Wo einer in seiner frühen Kindheit stand, das wird für die Ewigkeit und 60 Jahre dokumen­tiert. Wo einer stehen bleiben muss, das wird über Verschärfung der Studienbedingungen noch einmal sozial abgeurteilt. Wo einer steht, das wird dann zum Motto für den Schüsselschen Lebensarbeitszeitdurchrech­nungszeitraum. Wahrend wir uns einen Frei­gang nur um 500 Euro Strafe erkaufen könn­ten, geht das Geschäft unserer Hospitalisie­rung weiter. Und kein Verständnis, was das alles gerade bedeutet. Der Kanzler wird noch oft dastehen und sagen, er wüsste, wie schwer das alles ist, während wir wissen, dass er es nicht weiß, weil er Empathie nicht kennt. Keine Einfühlung. Kein Verständnis. Keine Achtung. Keine Demokratie. Nur Ver­waltung der Person. Verwahrung. Politisierter Narzissmus.

 

Obwohl. Dann doch. Am Telefon.

 

Am  Telefon.  Eine  angenehme Männerstimme. Die fürsorgliche Frage, was denn mein Problem sein könne. Er rufe an, sagt der Mitarbeiter des Ministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport. Er rufe an, weil man gehört habe, ich hätte keine Hil­fe für die Covid-19-bedingten Einnahmen­verluste bekommen. Was wäre denn nun meine Situation. Es wurde ein langes Telefo­nat, und am Ende gab mir der Ministeriums­mitarbeiter einen guten Rat.

Obwohl. So schwierig ist das Ganze auch nicht. Ich arbeite als Heimarbeiterin im Ver­lagswesen. Ich zahle meine Steuern. Ich be­zahle meine Krankenversicherung. Für mei­ne Generation gab es keine Möglichkeit, eine Pension einzuzahlen. Ich arbeite aber ohne­hin weiter. Alles ist gut. Und wenn das nicht der Fall wäre. Ich könnte mich an die Literar­ Mechana wenden. Dort wird das Geld aus den kollektiven Urheberrechten verwaltet. Dieses Geld habe ich mitverdient. Ich bin be­rechtigt. Es ist also wirklich alles gut. Aber. Ohne Mitgliedschaft in der Sozialversiche­ ung der Selbstständigen gibt es diese 12.000 Euro Unterstützung nicht, mit denen die Aus­fälle des Covid-Jahrs für alle in Kunst und Kultur Arbeitenden ausgeglichen werden sol­len. Es wird auch die geplanten 3.000 Euro im nächsten Jahr nicht geben. Und das wäre al­les steuerfrei.

Nun. Was hat eine Person, die so arbeitet wie ich, in diesem Covid-Jahr alles verloren. Wenn ich vom Staat an der Ausübung meines Berufs gehindert werde, dann sollte ich wie alle dafür entschädigt werden. Nun. Ich habe alles verloren. Zuerst sind da einmal die aus­ gefallenen Veranstaltungen. Die Öffentlich­keit. Es sollte eine große Lesereise mit dem Roman „Flammenwand.“ in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich geben. Die Ab­sagen bedeuten den Verlust des Honorars. Aber gleichzeitig gibt es keine Öffentlichkeit für den Buchverkauf. Der Roman „Flammenwand." erschien 2019. Seit dem Lockdown im März sind nur noch wenige Exemplare ver­kauft worden. Der Roman wird verschwun­den sein. An diesem Roman habe ich drei Jahre gearbeitet. Genaugenommen subven­tioniere ich das Romanschreiben mit dem Schreiben anderer Texte und mit den Lesun­en. Es geht also um weitaus mehr Zeit als um das Covid-Jahr. Die Einnahmen aus der Lesereise und den Symposien zu meinem Werk hätten das nächste Projekt vorfinanzie­ren sollen. Aber. Werke. Künstlerische Werke aller Art. Die entstehen so. Zeitungebunden und in Selbstverantwortung der werkenden Person. Und. Diese Selbstverantwortung ist das eigentliche Abenteuer.

 

In einer Demokratie sollte diese Selbst­,erantwortung ein Grundwert sein. Alle Per­sonen. die sich über Werke mit der Deutung des Jetzt beschäftigen. Alle diese Personen sollten die Helden und Heldinnen des De­mokratischen sein. In der Lebensform der künstlerischen Selbstverantwortung ist das demokratische Verantwortungssubjekt vorge­ lebt. Und. In den meisten Beispielen wird diese Lebensform ohne Ausbeutung anderer auskommen. Auch das beispielgebend.

 

Und. Die Deutung des Jetzt. Kulturhisto­risch ist diese Deutung das, worum sich die Politik spätestens seit dem 18. Jahrhundert dreht. Die spezifisch österreichische Form der Frühaufklärung hat diese Deutung immer dem Staat vorbehalten, der es wiederum den katholischen Priestern zur Aufgabe machte, diese Deutung zu verkünden. Die solide Basis eines gottgewollten Jetzt war Voraussetzung und Grundlage der vielen Absolutismen un­serer Geschichte. Die vage und ahnungsver­hangene Nostalgie der Zweiten Republik Ös­terreichs greift auf diese Deutung weiterhin zurück und übernimmt die darin gemeinste Mission der ständischen Geordnetheit des Gemeinwesens immer wieder neu. Es war Bruno Kreisky. Und mittlerweile können wir sehen, dass er und nur  eine  kleine  Gruppe um ihn dieser  Mission  entkommen  waren und andere Glücksvorstellungen ihrer Politik zum Ziel setzen konnten als das Glück staatli­cher Geordnetheit zur Erhaltung der gottge­wollten Eliten.

Diese Mission wird von der ÖVP welter­ betrieben. Elitenerhalt kann ja als „natürli­che" Geordnetheit verkauft werden. In der österreichischen Version dieses Vorgangs ist immer die reaktionäre Angst vor dem freien Denken eingewoben. Dazu wird nicht mehr die inhaltliche Zensur eingesetzt. Die neoliberaleZensur arbeitet über Strukturen. Die Disziplinierung der Lernenden wirkt besser und nachhaltiger als das Verbot von Büchern und Schriften. Die Lernenden werden angeleitet, sich selbst für ihr Versagen zu verant­worten. Das Verantwortungssubjekt wird in ein Verantwortungsobjekt umgebaut. Mutlo­sigkeit. Versagensängste. Verlust der Lebens­freude. Depression. Selbstzerstörung.

 

Gewaltanwendung durch den Staat

Ein solcher Erziehungsprozess führt in einen Kosmos der Ängste. Die Rückkehr in die schwarze Pädagogik des 19. Jahrhunderts ist die Rückkehr zu Gewaltanwendung durch den Staat gegen seine Bürger. Eigentlich ist das gegen die Freiheit der Person auch ver­fassungsrechtlich zu beurteilen. Diese Ten­denz der Führung in die Selbstzerstörung.

Letztlich tat der Ministeriumsmitarbeiter nichts anderes mit mir. Würde ich seinem Rat folgen, mein Leben wäre zerstört. Das ist die­sem Mann nicht einmal klar. Er hat es sicher gut gemeint. Aber in Ableitung von der allge­meinen Politik. Die guten Ratschläge führen ins Verderben.

Wie das mit den Covid-19-Maßnahmen enden wird. Das werden wir im nächsten Jahr beurteilen. Wenn abzusehen ist, wie sich der „draußen“ laufende Entindustrialisierungs­schub auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Wenn wir sehen können, welche Veränderungen die Verlagerung ins Homeoffice mit sich ge­bracht hat Wenn wir wissen, wer was zahlen muss. Verständnis für das Leben, das wir füh­ren müssen? Vielleicht müssen wir doch eine neue Partei gründen, die antiutopisch unser Schicksal in Gemeinsamkeit bewältigen will.

 

Jetzt Gerade. Diese Politik plant unser Unglück. Sorgfältig und genau werden alle Möglichkeiten freier Entfaltung verbaut, wird das Unglück schichtspezifisch vorbereitet. Und es gibt nur Einordnung. Selbst Aufstieg ist nicht mehr möglich. Kunst und Kultur so­ wieso nicht Der Staatsbürger oder die Staats­bürgerin als Verantwortungsobjekt seiner oder ihrer selbst. Das bedeutet einen Lebens­weg in die ansteigende Erstarrung. Katatonie. Dann wird Verbrechen das einzige Abenteuer sein. Das war schon im Faschismus so. In der Verstaatlichung des Verbrechens. Auf dem Weg dahin sind wir gerade wieder einmal. Ein neuer Weg in eine bessere Welt wäre schön. Wenn die Zeiten wieder besser sind.

 

 

 

MARLENE STREERUWITZ

Geboren 1950 in Baden. Prosa und Theater­ stücke. Bei S. Fischer die Romane „Jessica, 30.", ,,Die Schmerzmacherin.", ,,Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland. ", ,,Yseut.", ,,Flammenwand.". Jüngst bei Ba­hoe Books der Covid-19-Roman „So ist die Welt geworden."

14. Dezember 2020