Gleiches für Ungleiche

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Die Corona-Pandemie hat die Debatten um ein bedingungsloses Grundeinkommen neu entfacht. Anne Rieger geht der Sache auf den Grund

Lesezeit: 7 Minuten

Kann ein bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) eine Antwort auf die desaströsen, inhumanen Auswirkungen des kapitalistischen Systems, auf die Auswirkungen der Coronapandemie im Speziellen, sein? Hat es Potential, das kapitalistische Wirtschaftssystem zu überwinden, wie es Teile der Linkspartei in Deutschland formulieren?
Die Rufe nach Hilfe, nach existenzsicherndem Einkommen für alle ohne Repression führen immer häufiger zum bGE. Nach einer Umfrage im Herbst 2019 befürworten 48 Prozent in Deutschland lebender Menschen ein Grundeinkommen, „das die grundlegenden Lebenshaltungskosten deckt, viele bestehende Sozialleistungen ersetzt, jedem ausgezahlt wird mit dem Ziel, einen minimalen Lebensstandard zu garantieren. Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder anderen Quellen kann man behalten, finanziert wird es über Steuern“. In Österreich gibt es seit Februar ein Volksbegehren für ein bGE, das „jeder Person mit Hauptwohnsitz in Österreich ein menschenwürdiges Dasein und echte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen soll. Höhe, Finanzierung und Umsetzung sollen nach einem Prozess, an dem die Zivilgesellschaft maßgeblich beteiligt ist, gesetzlich verankert werden“. „Finanzsache“ befragte zwischen Februar und April Parteien, die mindestens 500 Stimmen bei vergangenen Nationalratswahl erhielten. 40 Prozent der Parteien waren dem bGE gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt, 60 Prozent lehnten es eher ab.


Ein gutes Leben für alle

Ein gutes Leben für alle, das ist der humanistische Gedanke, der hinter der hohen Zustimmung steht. Entsprechend der Forderung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte “Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ schlussfolgern sie, alle Menschen müssten gleich behandelt werden. Das Netzwerk Grundeinkommen fordert deswegen ein bedingungsloses Grundeinkommen als „universelles soziales Menschenrecht“.


Gleiches für Ungleiche

Das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen ist positiv. Es übersieht aber, dass Menschen sozial keineswegs gleichgestellt sind. Es ist deswegen ungerecht, wenn sozial Ungleiche gleiche soziale Zuwendungen vom Staat erhalten, wenn Reiche und sozial Abgehängte, finanziell gleich behandelt werden. Das Gerechtigkeitsempfinden, eingebunden in die Form des bGE, impliziert, dass alle Menschen ökonomisch gesehen gleich seien. Es führt weg von der sozialen Spaltung, den Klassenverhältnissen im Kapitalismus, und lenkt ab von Diskussion und Handlungen für die unmittelbaren notwendigen nächsten Schritte: die Verteidigung erkämpfter und erstrittener sozialer, demokratischer und Arbeitsrechte, kurz des Sozialstaats. Denn wir brauchen keine finanzielle Verbesserung für Reiche und Superreiche. Auch der gehobene Mittelstand und braucht kein bGE. Und sollen sie es über Steuern zurückzahlen, steht das Grundeinkommen nicht mehr jedem zu, ist bedingt.
In der aktuellen Situation wird deutlich, dass schutzlos Dastehende, Erwerblose, Kurzarbeiter*innen, Einpersonenunternehmer*innen, Kleingewerbetreibende, Handwerker*innen, Kulturschaffende, Freiberufler*innen, kleine Selbständige, ein existenzsicherndes Einkommen dringend benötigen. Nicht aber Superreiche wie die Porsche, Benko, Mateschitz, Kurz oder Lugner. Mit einfachen Gesetzesänderungen ließe sich das umgehend erreichen, z.B.

  • Erhöhung von Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld auf 90 bzw. 100 Prozent, der Notstandshilfe und Mindestlohn von15 Euro/Stunden, wertgesichert
  • Drastische Aufstockung und einfacherer Zugang zur Mindestsicherung/Sozialhilfe, Lernmittelfreiheit für die Bezieher*innen
  • Rettungsschirme und Krisenüberbrückungsfonds für diese Personenkreise
  • Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und Mieten, gekoppelt mit Preis- und Mietobergrenzen und -kontrollen
  • Kostenloser öffentlichen Nahverkehr
  • Verbot von Zwangsräumungen, und Stromsperren
  • Menschenwürdige Unterbringung von Obdachlosen
  • Abschaffung von Maklergebühren
  • Dauerhaftes Verbot von prekären Arbeitsverhältnissen und aktuellen Kündigungen.
  • Solche Gesetze können schnell geändert werden. Die Regierung hat im Lockdown vorgemacht, wie schnell sie 38 Mrd. Euro – vorrangig an Unternehmen – vergibt. Sinnvoll wäre es, diese Gesetze dauerhaft zu ändern.


Wer zahlt?

Das zeigt, wir brauchen kein bGE, damit es allen Menschen besser geht. Wenn nun aber bisherige Transferleistungen auf mehr Menschen übertragen werden sollen, also auf alle, und die Transferleistungen höher ausfallen sollen als derzeitig, dass dann auch Steuergelder und Abgaben steigen. Eine höhere Besteuerung von Vermögen, Erbschaften, Besteuerung ausländischer Konzerne, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, wie von bGE-BefürworterInnn gefordert, ist richtig, muss aber erkämpft werden. Denn die Regierung Kurz tut das Gegenteil. Sie will die Körperschaftssteuer senken und von einer Vermögenssteuer will sie nichts wissen.
Also müssten die Sozialleistungen anders verteilt werden. Da gibt es verschiedene Konzepte. Eine Beispielrechnung legen Zuckerstätter und Erlt vor. Sie gehen davon aus, dass alle derzeit bestehenden Geldleistungen des Sozialstaates in Österreich (Pensionen, Arbeitslosengeld, Familienbeihilfe etc.) gestrichen und als bedingungsloses Grundeinkommen an alle ausbezahlt werden. Durch die Beschränkung auf Geldleistungen würde das bestehende Gesundheitssystem weitgehend unangetastet bleiben. Die Summe der Geldleistungen für soziale Zwecke in Österreich betrug im Jahr 2017 rund 72 Mrd. Euro. Verteilte man dies gleichmäßig auf alle 8,79 Mio. BewohnerInnen in Österreich, so würde jede Person rund 680 Euro pro Monat (12-mal) erhalten. Im Vergleich dazu erhielt 2017 eine alleinstehende Person in der Mindestsicherung, die das letzte soziale Netz darstellte, zumindest 863 Euro (ebenfalls 12-mal). Damit würde es zu weniger Einkommen führen für diejenigen, die es dringend brauchen.
Das zentrale Problem des Bedingungslosen Grundeinkommens sei, dass viel Geld an Personen ausgezahlt wird, die es in ihrer aktuellen Lebensphase nicht brauchen, weil sie gerade gesund sind, eine Arbeit haben und Geld verdienen. Der Großteil der Leistungen würde nämlich an aktive Beschäftigte gehen, die dann anstelle eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld und öffentlicher Pension nunmehr eine pauschale Beitragsrückvergütung bekämen. Die Absicherung im Alter oder für den Fall der Arbeitslosigkeit müssten sie sich durch private Ersparnisse und Kapitalanlagen sichern.
Ralf Krämer von der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ (Memo-Gruppe) hatte bereits 2017 das „soziale“ bGE-Konzept von Teilen der Linkspartei umfassend durchgerechnet und kam zu dem Urteil, dass unter kapitalistischen Bedingungen ein solches „soziales“ bGE überwiegend durch die breite Masse der abhängig Beschäftigten finanziert werden müsste, und dabei die Mehrheit der Beschäftigten per Saldo Einbußen hinnehmen müssten.


BGE verfestigt das kapitalistische System

Diskussionen über das bGE, also eine andere Umverteilung von Sozialleistungen aus längst erarbeitetem und privat angeeigneter angehäufter Vermögen, lenken von der Entstehung und dem Aneignungsprozess des Mehrwerts ab. Dieses Ausbeutungsverhältnis ist aber nur möglich auf Grund der Eigentumsverhältnisse der Kapitalistenklasse an den entscheidenden Produktionsmitteln. Darüber wird bei der Diskussion über ein bGE vornehm geschwiegen. Es wird suggeriert, dass durch eine andere Verteilung der bereits privat angeeigneten Werte Gerechtigkeit entstünde. Eine Überwindung des kapitalistischen Systems ist dann ja nicht mehr notwendig.


Höhere Primäreinkommen

Schon im Kapitalismus jedoch ist der Kampf um einen höheren Anteil am Mehrwert im Entstehungsprozess notwendig, um höhere Primäreinkommen. Die ständig erhöhte Produktivität muss von den Unternehmern den Arbeitenden abgegolten werden durch höhere Löhne von denen man leben kann. Dadurch könnten Sozialleistungen verringert werden. Von den höheren Löhnen würden dann auch höhere Versicherungsbeiträge zu höheren Versicherungsleistungen führen. Die erhöhte Produktivität muss auch abgegolten werden durch drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, um mehr Menschen kürzere Vollarbeitsplätze zu ermöglichen, so dass weniger Menschen auf Transferleistungen angewiesen sind. Dazu gehört auch die drastische Herabsetzung des Pensionsantrittsalters und kostenlose Ausbildung bis zum Hochschulabschluss.  Um das zu erreichen, sind, wie wir aus der Vergangenheit wissen, starke, bündnisbreite Arbeitskämpfe notwendig. Sie sind Voraussetzung für Kämpfe zur Überwindung des kapitalistischen Systems.


Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Einkommen – Solidarität oder Egoismus

Es ist eine illusionäre Vorstellung, dass wir Einkommen von der Erwerbsarbeit lösen könnten. Auf der individuellen Ebene mag das gehen, nicht aber für eine Gesellschaft als Ganzes. Die Waren und Dienstleistungen, die wir brauchen um zu überleben, fallen nicht vom Himmel, sondern werden durch Erwerbsarbeit produziert. Solidarisch produzieren heißt, jede/r muss daran einen Anteil haben, selbstverständlich zu guten tariflichen Löhnen mit kurzer Vollzeit. Auf der individuellen Ebene gibt es heute schon die Entkoppelung unter bestimmten Bedingungen: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Pflege oder Alter. Auch Menschen mit großen Vermögen leisten sie sich. Aber all diese individuellen „Entkoppelungen“ müssen sind durch die Schaffung von Werten im Arbeitsprozess zustande kommen, von der Gesellschaft erbracht und finanziert werden.
Es widerspricht jedem emanzipatorischen Solidaritätsgedanken, dass die einen entscheiden, sie arbeiten nicht, andere aber dafür 12 oder mehr Stunden sich im Kapitalismus ausbeuten lassen müssen, um so das bGE zu erarbeiten. Denn alle Werte – die einer Gesellschaft zur Verfügung steht, seien es Löhne, Versicherungsbeiträge, Sozialleistungen, Steuern, Gewinne, Profite der Reichen, sind durch die Arbeit, durch die Schaffung der Werte im Arbeitsprozess zustande gekommen. Sie zu verteilen, sollte ein demokratischer Prozess sein. Dazu bedarf es im Kapitalismus einen solidarisch ausgebauten starken Sozialstaat mit ausreichend gut ausgebildeten und gut bezahlten Sozialbetreuer*innen die nach Bedarf und ohne Repression ausgeben.
Auch in einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft wird das so sein. Erst in einer höheren Phase einer kommunistischen Gesellschaft, wird die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!
 

Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und im erweiterten Bundesvorstand des GLB.

20. Mai 2020